SZENE HAMBURG: Soeben ist „Liegen Sie bequem?“ des vor neun Jahren leider verstorbenen Roger Willemsen erschienen. Du hast das Buch herausgegeben. Wie kam es dazu?
Insa Wilke: Das Lesen und die Bücher waren so ein fester Bestandteil von Rogers Leben. Aber es gibt kein Buch von ihm über Literatur. Das kam mir absurd vor. Darum habe ich angefangen, all die längeren und kürzeren Texte zusammenzusuchen, die Roger in seinem Leben der Literatur und dem Lesen und der Welt der Bücher gewidmet hat. Es war eine sehr schöne Arbeit und ich hoffe, das Buch spiegelt das.
Du bist die Nachlassverwalterin von Roger Willemsen. Wie bist du das geworden?
Roger und ich haben uns über Jahre täglich begleitet, über unsere Texte gesprochen, über unsere Arbeit, die Politik, das Leben. Ich denke, diese Nähe und auch ein gewisser Gleichklang in vielem Grundlegenden, haben Roger das Gefühl gegeben, er kann diese Aufgabe in meine Hände geben.
Mit „Liegen Sie bequem?“ hast du nun das vierte Buch von ihm posthum auf den Markt gebracht. Auf wie viele Bücher können wir uns mutmaßlich noch freuen?
Roger hat ja glücklicherweise geschrieben, um dann auch zu veröffentlichen. Insofern wird es keine geheimen Romane geben, die ich aus dem Nachlass veröffentliche. Aber er war zum Beispiel ein hinreißender Briefeschreiber. Es gibt die Fernseharbeiten, die ich so gern gesammelt veröffentlichen würde, da scheitere ich aber bisher leider am ZDF und dem mangelnden Willen, das zu unterstützen – obwohl ich immer wieder gefragt werde, ob man Rogers Sendungen irgendwo gesammelt bekommen kann. Es wird schon noch einiges erscheinen können, wenn die Zeit dafür richtig ist.
Der Einfluss von Roger Willemsen auf Insa Wilke
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Ich war Volontärin in Göttingen, als Roger zu einem Vortrag über Geschwindigkeit eingeladen war. Ich sollte die Einführung halten und wollte es besonders gut machen. Damals stellte ich mir darunter vor, dass man so einem berühmten Mann dann auch kritisch begegnen muss. Das hat Roger so amüsiert, dass es uns sofort verbunden hat. Er hatte ja eine große Begabung zur Freundschaft.
Auf der Verlagsseite steht: „Roger Willemsen und die Bücher – das war eine mitreißende Liebe, übermütig und intensiv.“ Kannst du das ein bisschen näher ausführen, inwiefern Bücher für Roger wichtig waren?
Er war einfach nie ohne sie. Die Bücher waren immer da. Er hat sie so ernst genommen und nie auf die leichte Schulter. Roger war der Literatur und den Büchern ein wirkliches Gegenüber, in dem, was er ihnen abverlangt hat, und in dem, wie er sie zu beantworten verstanden hat. Der Übermut lag dann in seiner eigenen immensen rhetorischen Begabung. Er hatte so einen Spaß am Formulieren. Ich kenne keinen übermütigeren Erwachsenen als Roger.
Welchen Einfluss hat und hatte Roger Willemsen auf dich und dein Verständnis, deinen Umgang mit Literatur?
Dass es kein „egal“ gibt – das ist die wichtigste Lehre, die ich aus den Gesprächen mit Roger über Literatur und das Weltgeschehen verinnerlicht habe. Man muss es ernst meinen, so wie die Literatur es ernst meint. Und dazu gehört aber auch: die Fähigkeit zu lachen, das Leben zu genießen. Roger war darin sehr gut, diese Zusammengehörigkeit zu erkennen und auch zu leben.
Roger Willemsen „Liegen Sie bequem?“
Das Buch beginnt mit „10 Regeln für Leserinnen und Leser“. Warum braucht es überhaupt Regeln zum Lesen?
Damit man sie umgehen, variieren, durchlässig werden lassen kann. Damit man sich über sie unterhalten kann. Und weil es solchen Spaß macht, sie zu formulieren – und dann zu lesen.
Die zweite dieser Regeln beginnt mit den Worten „Überlegen Sie sich gut, welches Buch es wert ist, Ihnen Gesellschaft zu leisten“. Wie findet man das denn am besten heraus?
Thomas Brasch hat mal gesagt: Bücher kosten Lebenszeit. Ich habe diese Zeit nicht. Anders gesagt: Man sollte seine Lebenszeit nicht mit kleingeistigen Büchern verschwenden, die es nicht ernst meinen, die einem nichts schenken, die einen sich nicht hervorbringen lassen, sondern ausschließen und kleinhalten wollen. Und was das genau bedeutet, muss eben jedes Leseindividuum für sich erkennen.
Wie schwierig war es für dich, die Texte von Roger für dieses Buch zusammenzutragen?
Es ging eigentlich recht schnell, als erst mal alle beisammen waren. Die Dramaturgie eines Buches ergibt sich auf magische Weise recht schnell. Und dann tauschen Rogers Lektor Jürgen Hosemann und ich uns immer noch einmal aus und sind uns meistens recht schnell einig. Der Maßstab ist: So viel wie möglich zugänglich machen und trotzdem die stringente Linie herstellen, die für Roger immer wichtig war. Es soll ja ein gutes Buch werden und keine Sammlung.
Nachdem du dich nun intensiv dem Buch gewidmet hast, was ist für dich persönlich der wichtigste Aspekt darin?
Gerade heute die Gleichzeitigkeit von Humor und Kritik. Die Konsequenz, mit der Roger auf seinen Anspruch an die Erkenntniskraft der Literatur und aber auch den Erkenntniswillen ihrer Leser:innen bestanden hat. Und das heißt immer auch eine Literatur im Dienste der Humanität, ohne dass sie zum Dienstboten wird. Der Humor ist bei Roger der Witz seiner geistreichen Formulierung, die Lust an der Sprache und am originellen Gedanken. Und das eine findet man ohne das andere selten bei ihm. Darum liest man ihn so gern, darum wirken seine Gedanken so sehr nach.
Roger Willemsen hat, das steht auch im Buch, sein Werken als „Arbeit am Relevanten“ bezeichnet. Wie relevant ist Roger, ist seine Arbeit heute noch?
Das kommt auf seine Leser:innen an. Ich habe den Eindruck, wir leben in einer Zeit, in der sich die Menschen innerlich verhärten. Wer verhärtet ist, wird auch nicht mehr erreichbar sein für Gedanken und Literatur, für Lebensfreude und Mitgefühl und Verstehen und Verständnis. Roger wurde schon zu Lebzeiten immer wieder vorgeworfen, er würde nerven mit seinem Pochen auf Menschenrechte. Seine Texte sprechen immer noch davon. Sie wissen immer um die Verantwortung, die wir für unser Reden und Handeln haben.
„Ein gutes Buch hat einen Knacks, mit dem es nicht fertig wird“
Insa Wilke
Was macht für dich überhaupt ein gutes Buch aus? Gibt es Formeln, Regeln, Bedingungen, die ein solches für dich definieren?
Keine Formeln, sondern etwas, das sich schwer dingfest machen lässt. Ein wirklich gutes Buch hat für mich einen Knacks, mit dem es nicht fertig wird. Henri Bergson hat so ähnlich übrigens auch den Humor definiert. In Rogers Texten lese ich diesen Knacks, deswegen werde ich nicht fertig mit ihnen. Deswegen sprechen sie immer noch zu mir und bleiben Begleiter.
Was, im Gegensatz dazu, macht eine gute Buchkritik aus?
Augenhöhe. Das Wissen um die Arbeit des Schreibens und der Versuch, sein Gegenüber (den Text) zu beantworten.
Gibt es so etwas wie das wichtigste Buch deines Lebens?
Das gibt es nicht. Es ist das Lesen an sich, das für mich am wichtigsten ist. Dieser nie endende Prozess des Lesenlernens. Und ich verdanke da sehr vielen Schriftsteller:innen sehr viel, weil sie mir und uns die Möglichkeiten schaffen. Roger ist einer von ihnen.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 11/25 erschienen.

