Hamburger Wohnungsmarkt: Lara Schulschenk, leben wir in einer Mietkrise?

Bei Kiss, Marry, Kill entscheidet sich Lara Schulschenk für Kiss – private Vermieter, Kill – Wohnungskonzerne, Marry – Genossenschaften. Anstelle von Genossenschaften standen zunächst kleine Hausverwaltungen zur Auswahl. Allerdings kam es da zu Entscheidungsschwierigkeiten
Lara Schulschenk kam aus eigener Frustration zum Thema Mietwahnsinn in Deutschland
Lara Schulschenk kam aus eigener Frustration zum Thema Mietwahnsinn in Deutschland (©Luisa Höppner)

Aufgewachsen in Eckernförde, hat Lara Schulschenk in Frankfurt Soziologie und in München an der Deutschen Journalistenschule studiert, für die „Frankfurter Rundschau“ und den „SPIEGEL“ gearbeitet. Erst kürzlich ist die Journalistin zum zwanzigsten Mal umgezogen. In Wohnpolitik habe sie sich deshalb zunächst aus eigener Frustration reingefuchst. Und sich später auch aus soziologischer Sicht gefragt: Was macht eine Wohnkrise mit unserer Gesellschaft?

Lara, seit wann befinden wir uns deiner Meinung nach in einer Mietkrise?

Lara Schulschenk: Wann beginnt die Krise? Das ist die große Frage. Es gibt keinen klaren Startpunkt, aber seit 2010 steigen die Miet- und Immobilienpreise in Deutschland rapide an. Mittlerweile werden 5,4 Millionen Menschen nur durch ihre Mietzahlung arm. Das bedeutet: Die haben ein Einkommen, von dem sie akzeptabel leben könnten. Aber nachdem sie die Miete bezahlt haben, rutschen sie unter die Armutsgrenze. Das ist definitiv eine Krise, die sich da seit mehr als einem Jahrzehnt entwickelt. Und entsprechend hätte man schon früher effektiv politisch eingreifen können.

Gegen politische Maßnahmen wie etwa den Mietendeckel oder gar Enteignung großer Wohnungskonzerne wird häufig argumentiert, dass Investoren abgeschreckt und nicht mehr gebaut würde. Wäre das nicht kontraproduktiv?

Wenn man ehrlich ist, muss Ziel der Mietpreisregulierung ein Stück weit sein, gewinnorientierte Investoren abzuschrecken. Denn die machen aus Wohnen ein Produkt. Und man braucht kein Hintergrundwissen, um zu verstehen, dass das immer teurer werden muss, um weiter Profit zu erzielen. Als Beispiel: 2021 hat Vonovia aus jedem Euro Miete, der gezahlt wurde, 43 Cent direkt an Aktionär:innen ausgeschüttet. Da kann man sich ausrechnen, warum die Miete so teuer ist. Im Übrigen war nicht zu beobachten, dass Investitionen während des Berliner Mietendeckels weniger geworden wären. Es wurden Wohnungen zurückgehalten, ja, aber das ist illegal. Und deshalb zu urteilen, die Mietpreisregulierung funktioniere nicht, ist, finde ich, als würde man sagen: Die Leute fahren trotzdem zu schnell, also können wir Blitzer abschaffen.

Wie wichtig ist denn Neubau in der Krisenbewältigung?

Ich finde es wichtig zu wissen: Neubau muss Teil, aber nicht Hauptziel der Lösung sein. Dass Mieten dadurch sinken, ist illusorisch: Gerade in Städten wie Hamburg fehlt schlicht der Platz, um so viel zu bauen, dass der Markt geflutet wird. Und Bauen ist im Moment unglaublich teuer. Vielmehr brauchen wir eine Wohnraum-Umverteilung. Es gibt viel Fläche – etwa Gewerbefläche –, die umgewandelt und neu verteilt werden könnte. Außerdem kommt gerade eine große Boomer-Welle auf uns zu, die derzeit noch in riesigen Familienwohnungen leben, für die es kleinere, altersgerechte Wohnungen bräuchte. Aber wie sollen Menschen zu große Wohnungen verlassen, wenn die neue Wohnung im Zweifel mindestens genauso viel kostet wie der alte Mietvertrag? Es ist nur umsetzbar, wenn Vermieter nicht mit jeder Neuvermietung die Miete erhöhen können. 

In politischen Diskursen ist häufig von sogenannten Miethaien die Rede, damit sind große Wohnungskonzerne gemeint. Dabei argumentierst aber du, dass private Vermieter nicht unbedingt besser sind. Warum ist das so?

Private Vermieter sind oftmals besser als große Wohnungskonzerne, aber eben nicht immer. Ihnen gehören über zwei Drittel des Wohnungsmarktes – und das Narrativ lautet immer, dass das doch liebe Leute seien, die nur ihre Altersvorsorge sichern wollten. Aber auch unter ihnen gibt es solche, die Situationen ausnutzen. Das sind eben Privatpersonen, die ohne jegliche Ausbildung über das Grundbedürfnis anderer Leute entscheiden. Man könnte einen Führerschein für private Vermieter einführen. Das wäre doch mal was.

Wie würde der Führerschein aussehen?

Etwa ein Kurs, in dem erklärt wird: Wohnen ist ein Grundbedürfnis, mit dem man sorgsam umgehen muss. Man muss Beschwerden ernst nehmen, man muss Reparaturen wirklich durchführen. Man könnte die Frage stellen, ob es wirklich fair ist, den eigenen Kredit von Mietern abbezahlen zu lassen. Im Grunde muss einfach für die eigene Verantwortung sensibilisiert werden. Es gibt bei Wohnungsbesichtigungen ja auch immer wieder Fälle von sexueller Belästigung.

Würden sich dann nicht viele Leute dagegen entscheiden, diese Aufgabe anzunehmen?

Ja. Aber ich finde: Wer nicht bereit ist, die soziale Verantwortung zu übernehmen, die mit Vermietung einhergeht, ist eben kein geeigneter Vermieter. Man lässt doch auch niemanden Arzt sein, der nicht wirklich an der Gesundheit von Menschen interessiert ist. Aber das Problem sehen wir – bis auf Genossenschaften – bei allen Arten der Vermietung. Deshalb braucht es ein Umdenken, ob Gewinne wirklich die Motivation sein sollten.

„No Sweet Home“ klärt über die Mechanismen hinter dem Mietenwahnsinn auf (©Gutkind Verlag) 

Was sind neue Erkenntnisse, die du während der Recherche für das Buch hattest?

Da gibt es eine Zahl, an die ich oft denken muss, weil sie an das Existenzminimum geht: Bei zwölf Prozent der Haushalte mit Bürgergeldbezug kann die Wohnkostenbeihilfe nicht die Miete decken. Im Schnitt zahlen diese Haushalte monatlich 118 Euro für die Wohnungskosten drauf. Man kann durchaus davon ausgehen, dass Vermieter, die an Menschen im Bürgergeldbezug oder solche, die Wohngeld zur Unterstützung beziehen, vermieten, einkalkulieren, dass das Wohngeld immer wieder erhöht wird. So entsteht eine erpresserische Situation: Mit Wohngeld treibt man indirekt auch die Mieten an. Dabei ist das natürlich nicht verhandelbar. Die Leute landen sonst im schlimmsten Fall auf der Straße.

Du meintest vorhin, dass viele Menschen durch die Miete unter die Armutsgrenze rutschen. In Wohnungsanzeigen gilt häufig die Faustregel, dass die Monatsmiete nicht mehr als ein Drittel des Einkommens betragen soll. Die Realität ist aber eben, dass viele Menschen mindestens die Hälfte dafür ausgeben.

Dabei geht es um die Wohnkosten generell. Also es ist nicht nur die Miete, sondern auch um Heizung, Elektrizität und die Nebenkosten. Alles bis 30 Prozent des Einkommens wird als okay eingestuft, ab 40 Prozent gilt man als überlastet. Und 50 Prozent ist einfach ein Unding. Den Menschen fehlt es an Geld für Kultur, für Bildung, für ein gutes oder zumindest okayes Leben. Und ich finde, das wird viel zu wenig besprochen. Wir stecken in Deutschland in einer Konsumkrise: Die Wirtschaft schwächelt. Und gerade Mietende haben nicht viel Vermögen, wenige Ersparnisse. Wenn die mehr Geld zur Verfügung haben, mündet das schnell im Konsum, landet also in der Wirtschaft. Im Prinzip kann man deshalb sagen: Das Vermögen, dass sich durch hohe Mieten bei Vermietern anhäuft, schadet der Gesamtwirtschaft.

Was gibt es denn, was die Politik effektiv kurzfristig durchsetzen könnte, um die Mietkrise aktuell zumindest zu entlasten?

Mietwucher hart sanktionieren. Dafür gab es mal ein Gesetz, durch zwei Entscheidungen im Bundesverwaltungsgericht ist es aktuell aber quasi unanwendbar. Das Gesetz hatte besagt, dass Vermieter, die mindestens 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dafür belangt werden können – ab 50 Prozent sogar strafrechtlich. Sie müssten die Miete anpassen und das Geld zurückzahlen. Das wäre sehr wirksam. Mittlerweile kommt es häufig vor, dass Mieten 20 oder 50 Prozent über der durchschnittlichen Vergleichsmitte liegen. Aus diesem Grund hat die SPD mit der neuen Regierung eine Experten-Kommission eingerichtet, um das Gesetz nachzubessern. Es wäre schön, wenn das noch vor der nächsten Wahlperiode umgesetzt wird, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Eigentlich gibt es gar nicht so viele Fragen, was getan werden müsste, eine Kommission zieht das nur in die Länge.

Du lebst nicht schon immer in Hamburg. Wie hast du denn den Wohnungsmarkt hier vielleicht im Vergleich zu anderen Städten erlebt?

Hier am härtesten, weil ich aber hier auch am spätesten auf langfristiger Suche war. In München ist es grundsätzlich noch krasser als in Hamburg – da habe ich aber in den berühmt-berüchtigten möblierten Zwischenmieten gelebt. Weil ich wusste, dass ich nur für eine begrenzte Zeit dort sein werde. In Köln und Mainz hatte ich Glück. Glück ist sowieso das Geheimrezept für eine erfolgreiche Wohnungssuche.

Du warst jetzt zwei Jahre lang auf Wohnungssuche. Ist man irgendwann abgehärtet?

Nee, im Gegenteil. Die Nerven werden mit jeder Absage dünner und auch mit jeder Antwort, die man gar nicht erst bekommt. Nach einem halben Jahr hat man noch Hoffnung. Nach einem Jahr macht es einen nur noch wütend.

Gibt es was, was du Hamburgern auf Wohnungssuche geben möchtest?

Ich möchte lieber den Freundinnen und Angehörigen von Wohnungssuchen etwas mitgeben: Gebt keine Tipps. Es sei denn, man hat einen konkreten Vorschlag oder Kontakt. Die Leute haben in der Regel schon alles gehört und probiert. Ich halte es für hilfreicher, sich zusammen aufzuregen und zu trösten.

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