SZENE HAMBURG: Ronald, der Film spielt im Jahr 1990, da warst du gerade 13 Jahre alt. Wie war dein Leben damals?
Ronald Zehrfeld: Mein Elternhaus damals stand immer offen, wir hatten permanent Leute da, die auch häufig bei uns übernachtet haben. Bei uns ging es immer zu wie in einem Taubenschlag.
Kannst du dich an die Wende als solches denn auch noch erinnern?
Ich weiß jedenfalls noch, dass bereits im Frühjahr 1989 die Diskussionen und Gespräche zwischen meinen Eltern und ihren Freunden interessanter wurden, weil nicht mehr nur Ost-, sondern auch Westfernsehen gesehen wurde. Beim Judo-Training waren viele Trainingsoffiziere nicht mehr so oft da – da habe ich gemerkt, dass sich was verändert. Der 9. November 1989 war dann ein Donnerstag, ich bin aber am Samstag erst zum ersten Mal rüber. Und ich weiß noch: Als es dann ein paar Wochen später das Begrüßungsgeld von hundert D-Mark gab, habe ich mich gewundert, wieso sich manche Menschen davon West-Waschmittel gekauft haben. (lacht)
„Zwei zu eins“ trifft „den Ton und den Geschmack dieser Zeit“
Für Begrüßungsgeld warst du noch zu jung, aber was hättest du dir gekauft?
Doch, ich habe Begrüßungsgeld bekommen plus 25 D-Mark von meine Eltern, das sie mir von ihrem Begrüßungsgeld abgegeben haben. Ich hatte bis dato keine Musikanlage, habe mir aber mit dem Stern-Rekorder, den wir zu Hause hatten, aus dem Radio bei Rias immer Songs aufgenommen und mir eigene Mixtapes zusammengestellt. Also habe ich mir dann von den 125 D-Mark einen Doppelkassettenrekorder gekauft.
„Zwei zu eins“ ist zwar ein fiktiver Film, wenn er auch auf wahren Geschehnissen beruht, er spielt aber eben in einer Zeit, die du aktiv miterlebt hast. Konntest du das irgendwie in deine Rolle einbringen?
Ja, natürlich. Das Tolle ist ja auch, dass Natja die Temperatur, den Ton und den Geschmack dieser Zeit getroffen hat. Nimm nur mal die Anfangsszene des Films, in der die Nachbarn zusammensitzen, sich eine Melone teilen und der Spirit dieser Zeit so eingefangen wird – da möchte man sich doch am liebsten dazusetzen. Damals hatten alle aber auch schon um 16 Uhr Schluss, und dann hat man Zeit miteinander verbracht. Das war eine tolle Gemeinschaft. Heutzutage schauen viele ja nur noch auf ihre Handys und reden kaum noch miteinander. Das finde ich schade.
Vermisst du dieses Gemeinschaftliche dieser Zeit?
Ja, tue ich – obwohl ich mir selbst manchmal eine Zeitgrenze auferlegen muss, damit ich nicht zu lange bei Tiktok hänge. Ich gucke mir so was ja selbst ab und an gerne an, aber auf einmal sind zwei Stunden rum – das ist einfach verlorene Zeit.
Ronald Zehrfeld: „Wir Schauspieler geben immer ein Vorschussvertrauen.“
Welches sind denn für dich die ausschlaggebenden Kriterien, um sich für oder gegen ein Filmprojekt zu entscheiden?
Erst mal lese ich das Buch, das ist der größte Schlüssel, dabei merke ich: Macht das etwas mit mir oder nicht? Das Tolle ist ja: Da kann sich keiner bescheißen, denn in der Fantasie ist immer alles richtig. Und wenn mir das gefällt, was ich mir da ausmale, muss ich überprüfen, für wie hoch ich die Wahrscheinlichkeit halte, dass das am Ende auch so aussieht, wie ich mir das vorstelle.
Aber das geht doch sicher manchmal auch eklatant auseinander, oder?
Ja, das ist manchmal ernüchternd, gehört zu unserem Beruf aber dazu. Da geben wir Schauspieler immer ein Vorschussvertrauen. Viele Antworten auf Fragen, die ich während des Arbeitsprozesses habe, bekomme ich erst zur Premiere beantwortet, wenn ich den Film dann zum ersten Mal sehe. Gerade in diesem Film spielt viel Verschiedenes mit rein: die Komik, das Fiktive, das Zeitgeschichtliche – das muss man auch erst mal alles unter einen Hut kriegen.
„Es gab gute Sachen im Osten, es gab Scheißsachen im Osten“
Ronald Zehrfeld
Wie wichtig sind die Kollegen?
Als ich die Besetzung gesehen habe, wusste ich, dass das nur toll werden kann. Im Film spielen ja viele meiner Lieblingskollegen mit: Peter Kurth, Kathrin Wehlisch, Uschi Werner, Martin Brambach. Nicht zu vergessen Uwe Preuss, Sandra Hüller und Max Riemelt – bei der Bagage wusste ich, das kann nur gut werden. Und Natja Brunckhorst hat als Regisseurin ganz tolle Antennen gehabt, um die Leute alle zusammenzuhalten und uns mitzunehmen auf diese Reise.
Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit
Wenn es um den Osten geht, gibt es stets viele Klischees …
… und deshalb ist es mir immer ganz wichtig, den Menschen aus dem Osten nicht über den Mund zu fahren, dass man die Geschichte aber auch nicht verklärt. Es gab gute Sachen im Osten, es gab Scheißsachen im Osten. Und Natja ist es gelungen, der Zeit und der Geschichte eine Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit zu verleihen, dass man ein Teil davon sein möchte. Für mich ist es toll, diese Zeit in diesem Film noch mal zu sehen – und was da innerhalb eines Jahres alles passiert ist.
Ich finde es verrückt, wie tief diese Trennung von Ost und West auch immer noch in vielen Menschen verwurzelt ist. Das ist ja immer noch permanent ein Thema – und wird scheinbar auch wieder schlimmer.
Nimm doch nur mal Friedrich Merz, der ist doch das beste Beispiel. Was hat er letztens doch wegen des Russland-Kriegs gegen die Ukraine gesagt: „Man muss im Osten mehr erklären als im Westen, das ist wahr, aber ich tu’s gern.“ Da denke ich mir auch nur: Sag mal – hast du den Schuss nicht gehört?! Überhaupt tut die Politik ja alles dafür, dass dieser Prozess der Einswerdung so lange dauert durch das Lohngefälle, Renten et cetera. Aber eigentlich sind das Luxusprobleme. Wir sind alle in Frieden aufgewachsen. Da haben andere Menschen ganz andere Sorgen, wenn man sich ansieht, was auf der Welt so passiert.
Sandra Hüller ist einer der tollsten Menschen ist, die ich kenne
Ronald Zehrfeld
Du hast bereits in vielen Filmen mitgespielt, die in der damaligen DDR spielen: „Barbara“, „Wir sind das Volk“, „Der Rote Kakadu“ und nun „Zwei zu eins“. Zufall oder ist das ein Thema, das dir sehr am Herzen liegt?
Letzteres – weil das ja immer auch ein bisschen Teil meiner Geschichte ist. Und bisher hatte ich das große Glück, dahingehend ein paar tolle Projekte machen zu können. Und wenn mich eine Story packt, mache ich auch noch hundert weitere Ostfilme – denn Geschichten gibt es wahrscheinlich Millionen.
Ronald Zehrfeld und zwei große Frauen des Films
Die Regisseurin Natja Brunckhorst ist ebenfalls Schauspielerin. Hat das die Arbeit mit ihr leichter gemacht?
Hilfreich ist das immer. Natja wusste, wie wichtig es ist, Schauspielern ein Nest zu bereiten, damit sie sich wohlfühlen, damit sie aufmachen können in all ihrer Empathie, in ihrer Sensibilität. Denn nur so kann man auch ans Eingemachte gehen und eine Figur mit Leben füllen, mit kleinen Details, mit Nuancen. Für mich gibt es nichts Langweiligeres als bei einer Figur bereits nach zehn Sekunden zu wissen: Aha, der spielt den Bösen. Spannend wird es doch immer erst dann, wenn man einer Figur eine Vielschichtigkeit mitgeben kann, wie sie ja auch im realen Leben jeder Mensch hat.
Wenn mich eine Story packt, mache ich auch noch hundert weitere Ostfilme
Ronald Zehrfeld
Ebenfalls eine Hauptrolle spielt Sandra Hüller, auf der durch das Aufsehen durch „The Zone of Interest“ nun viel mediales Interesse liegt. Ist das ein bisschen schade, wenn dadurch der mediale Fokus vor allem auf einer Person liegt oder ist das vielleicht auch ganz gut, weil das womöglich auch „Zwei zu eins“ mehr Aufmerksamkeit bringen kann?
Beides. Aber ich habe überhaupt kein Problem damit, dass die Welt jetzt mit großen Augen auf Sandra blickt, weil die einer der tollsten Menschen ist, die ich kenne. Und die ist trotz der Oscars, trotz Cannes einfach sie selbst geblieben. Die ist nicht etepetete, sondern immer noch total greifbar, und das liebe ich an ihr.
„Zwei zu eins“; Regie: Natja Brunckhorst. Mit Sandra Hüller, Max Riemelt, Ronald Zehrfeld. 116 Minuten. Den Film gibt es seit dem 25. Juli 2024 im Kino
Hier gibt’s den Trailer zum Film:
Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.