SZENE HAMBURG: Erwähnt man Ihren Namen in der Kunstszene, kommt sofort: Die ist cool, interessant, nett. Sind Sie das?
Joanna Warsza: Das klingt gut, aber das können natürlich nur die anderen beurteilen. Und wenn ich etwas wirklich wichtig finde, bin ich vielleicht auch nicht immer nur nett. Dabei ist es mir wichtig, nett zu sein. Besonders im öffentlichen Raum. Wir sind alle unterschiedlich, und um diese Unterschiede leben zu können, müssen wir tolerant und nett zu einander sein. Der öffentliche Raum ist, wie der US-amerikanische Theoretiker Michael Warner, Autor des wichtigen Buches „Publics and Counterpublics“, gesagt hat, ein „Begegnungsort von Fremden“.
Sie haben wichtige Projekte in Berlin, Prizren, St. Petersburg oder Venedig kuratiert, Sie kommen aus Polen, leben in Berlin, in Hamburg aber sind auch Sie eine Fremde. Ist es gut, eine Fremde zu sein?
Eine gute Frage. Ich sehe es so: Ich bin hier erst einmal eine Fremde, ein Gast. Aber mit der Zeit werde ich zu einer Gastgeberin werden. Und ich werde diese Begriffe auch problematisieren, denn besonders in der postmigrantischen Gesellschaft hat nicht jeder das Gefühl, ein Gast sein zu dürfen.
Bismarck? „Leider immer noch da“
Wird das ein Schwerpunkt Ihres auf fünf Jahre angelegten Programms?
Nein. Das ist eher der Rahmen. Mein Programm bezieht sich auf den Begriff der „planetaren öffentlichen Sphäre“. Es geht um die Vorstellung von den fünf grundlegenden Elementen, die es in allen Kulturen gibt. Wasser, Luft, Erde, Feuer und auch Kosmos werden als die Ressourcen verstanden, die wir alle zum Leben brauchen – welche Hautfarbe oder Kultur wir auch immer haben. In einer Zeit der Polarisierung möchte ich Projekte initiieren, die zeigen, was uns verbindet. Jedes Jahr wird ein Element im Vordergrund stehen, zu dem es dann jeden Sommer eine Ausstellung geben wird – etwas, das nach der Logik einer Biennale funktioniert, aber nachhaltiger ist. Es gehört auch zu meinen Aufgaben als Stadtkuratorin, die Denkmale und die bestehenden Arbeiten im öffentlichen Raum zu aktivieren.
Auch das umstrittene Bismarck-Denkmal?
Vielleicht. Es ist ja leider immer noch da. Der Holocaust-Experte Michael Rothberg spricht von der „multidirektionalen Erinnerung“. Erinnerung ist nicht Sache einer Gruppe, sondern wir können gemeinsam erinnern, auch wenn wir unterschiedlicher Herkunft und Geschichte sind. Wie etwa können wir Kolonialismus mit Antisemitismus zusammen sehen in einem großen Bild? Darum wird es in meiner Arbeit mit den Hamburger Denkmalen gehen. Zusammen mit Nora Sternfeld mache ich ein HFBK-Seminar zu Denkmalen und Counter-Denkmalen in Hamburg. Es gibt hier in der Stadt eine traditionsreiche und experimentelle Geschichte, auf die ich mich freue.
Wie würden Sie den Job einer Stadtkuratorin einem Laien erklären?
Eine Stadtkuratorin ist wie ein Seismograf dessen, was in der Stadt geschieht, und übersetzt dies in Kunst im öffentlichen Raum.
Dieser Kunst begegnet man auf der Straße – unvorbereitet
Joanna Warsza
Joanna Warsza versteht sich als Politikerin und Aktivistin
Was kann Kunst im öffentlichen Raum, was sie im Museum nicht kann?
Dieser Kunst begegnet man auf der Straße – unvorbereitet. Anders im Museum: Da geht man gezielt hin und bringt seine kulturelle Codierung mit. Im Stadtraum dagegen ist Liebe oder Hass auf den ersten Blick, eine schnelle unmittelbare Verbindung möglich. Dafür müssen die Arbeiten Inhalte berühren, die auch Communitys erreichen, die nicht ins Museum gehen. Ich glaube hier besonders an den visuellen Aspekt. In den letzten Jahren war konzeptuelle Kunst oft trocken, man brauchte immer eine Hintergrundinformation. Ich denke, Kunst sollte erst einmal für sich sprechen – wenn auch manchmal auf geheimnisvolle Weise.
Sie haben beispielsweise 2018 das Projekt Public Art Munich kuratiert. Da hat Massimo Furlan im Olympiastadion das DDR-BRD-Fußballspiel von 1974 wiederaufgeführt, und Ari Benjamin Meyers konzipierte ein Konzert, bei dem Straßenmusiker als Orchester zusammenspielten. Können wir Derartiges auch für Hamburg erwarten?
Klar. Ich mache seit zwanzig Jahren das Gleiche (lacht). Nur die Städte ändern sich, die Möglichkeiten und der politische Kontext.
Verändern Attacken – wie etwa auf Nicole Eisenmans Brunnenarbeit in Münster – das Feld dessen, was im Stadtraum möglich ist?
Die Stadtkuratorin sollte inzwischen tatsächlich ein bisschen wie eine Politikerin und wie eine Aktivistin arbeiten. Sie muss verschiedene Szenarios antizipieren, sie durchdenken und bereit sein, zu reagieren. Es klingt kompliziert, aber Kunst ist wirklich eine Kraft, und es lohnt sich, auf sie zu setzen.
Am 5. Dezember 2024 findet um 19 Uhr im Kunsthaus Hamburg ein Gespräch zwischen Joanna Warsza und Anna Nowak statt, der Eintritt ist frei
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 11/2024 erschienen.