Der chilenische Regisseur Pablo Larraín porträtiert die frühere First Lady Jackie Kennedy – und zwar die Tage nach der Ermordung ihres Ehemannes. Eine provokante, facettenreiche Charakterstudie einer Ikone. Ab 26. Januar im Kino
Eine Frau nachts unter der Dusche, aus ihren Haaren fließt Blut den Rücken entlang. Es ist Jacqueline Kennedy (Natalie Portman). Sie war eine First Lady wie aus dem Märchen, elegant, kultiviert, populär, voller Ambitionen. Das Weiße Haus verwandelte sich unter ihrer Regie zu einem glamourösen Ort, an dem sich High Society und Künstler trafen. Doch dann fallen am 22. November 1963 in Dallas die tödlichen Schüsse auf Präsident John F. Kennedy, Jackie sitzt direkt neben ihm.
Der chilenische Regisseur Pablo Larraín schildert die Tage nach dem Attentat aus ihrer Perspektive. Die Protagonistin ist mehr als eine trauernde Witwe, sie wird zur Wächterin des Erbes ihres Mannes, seines politischen Vermächtnisses. Jackie weiß, wie schnell ein Präsident, auch ein ermordeter, vergessen werden kann. Verzweifelt kämpft sie um ein Begräbnis wie das von Abraham Lincoln, kein Autokorso, die Trauergäste sollen dem Sarg zu Fuß folgen.
Atemberaubend Natalie Portman: ihr Gesicht ist Maske und Bühne zugleich, voll widersprüchlicher Emotionen: benommen vor Schmerz, verstört, trotzig, ängstlich, einsam, zornig. Jackie wirkt erschreckend fragil und beweist doch jeden Moment unglaubliche Durchsetzungskraft.
Den Rahmen der Handlung bildet ein Interview fürs Life-Magazin kurz nach den Trauerfeierlichkeiten. Der Journalist (Billy Crudup) hofft, hinter der beherrschten Fassade der ehemaligen First Lady deren wahre Gefühle aufspüren zu können. Doch Jackie kontrolliert sarkastisch virtuos das Gespräch und macht den Fremden zum unfreiwilligen Komplizen. Ihre Beobachtungen sind scharfsinnig, erschütternd, aber was immer sie dem Reporter anvertraut, er darf es nicht veröffentlichen. Jacqueline Kennedy spielt immer eine Rolle, sie bleibt introvertiert, undurchschaubar, ein Geheimnis. Nur wenn sie allein ist, lässt sie die Maske fallen wie in jener Nacht, als sie sich das Blut ihres Mannes aus den Haaren wäscht.
Tagsüber hatte sie sich geweigert, das pinkfarbene blutverschmierte Kostüm zu wechseln. Es ist ihre Form öffentlicher Anklage. Nun endlich unbeobachtet, kann sie ihrem Schmerz nachgeben. Wie im Trance wandert sie durch die Räume, trinkt, schluckt Tabletten, probiert Kleider an, lauscht der Schallplatte mit dem Lieblingssong ihres Mannes aus dem Musical „Camelot“. Die Erinnerungen überwältigen sie. „Nichts ist mein“, gesteht sie irgendwann.
Das Weiße Haus, es war ihr Camelot, ein magischer Ort wie der Hof des Königs Artus. Diesen Mythos um JFK kreiert sie in diesen Tagen und wird dabei selbst zur Legende.
Das Biopic von Pablo Larraín und Drehbuchautor Noah Oppenheim sprengt alle Konventionen des Genres. „Jackie“ ist ein mitreißendes, schwindelerregendes collageartiges Drama, mehr rational als emotional. Es wirbelt zwischen den Ereignissen hin und her, ohne Rücksicht auf Chronologie, während Mica Levis’ Soundtrack zur betörenden Totenklage wird. Die Ästhetik spiegelt die Verworrenheit, das Albtraumhafte jener Woche nach dem Attentat. / Anna Grillet /Foto: Tobis Film
Regie: Pablo Larraín Mit: Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Richard E. Grant. Ab 26.01.17 im Kino
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