Kolumne: Wie digital ist noch normal? Oder: Warum es doof ist, 13.000 Posts vom letzten Festival in der Timeline zu haben
In unserem heutigen Leben spielen Monitore eine Hauptrolle. Es gibt große im Büro und im Wohnzimmer, kleinere in der Aktentasche und noch kleinere in der Hosentasche. Die Digitalisierung hat viele Vorteile, aber meine heutige Kolumne ist wahrscheinlich die millionste Publikation, die sich diesem Thema widmet: Kinder, bitte legt eure Geräte mal beiseite.
Wer auf einem angesagten Festival oder bei einer fancy Ausstellung ist, möchte seinen Freundeskreis daran teilhaben lassen. Das ist verständlich. Aber muss man sich wirklich auf einem Bierbecher markieren? Wie wäre es mit etwas mehr Tiefe? Man könnte den liebevoll eingerichteten Backstagebereich zeigen. Oder sein Lieblingskunstwerk mit einer sinnhaften Begründung posten.
Am Wochenende pilgerte gefühlt halb Hamburg rund 70 Kilometer gen Südwesten zum Hurricane. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe 13.000 Posts vom Festival in meiner Timeline. Zum Beispiel Marteria aus 1.000 Metern Entfernung. Ich hätte fast gar nicht mehr hinfahren müssen. Was ist nur aus der Zeit geworden, wo man da keinen Empfang hatte und sein bestes Stück einfach mal drei Tage weggesteckt hat.
Apropos „aus der Zeit“: Ich bin in meiner Schulzeit von 1987 bis 2000 tatsächlich nicht einem einzigen Computer im Schulgebäude begegnet. Jetzt hat sich doch tatsächlich ein Abitur-Jahrgang ein T-Shirt mit der Aufschrift „Abipedia – 13 Jahre copy & paste“ machen lassen. Witzig und traurig und wahr. Es hat alles seine Vor- und Nachteile.
Am Donnerstag war ich bei einem Vortrag des Marketeer Club Europe e.V. Dort stellte eine Medienwissenschaftlerin gegenüber, dass unsere Eltern im Büro täglich mit 300 Informationen zu tun hatten – unsere Generation scrollt und klickt sich dagegen durch 13.000. Das muss doch auch physisch mal eine Grenze haben?
Ihr könnt euch am Sonntagabend ja überlegen, wie so ein Tag früher ausgesehen haben mag. Fast unvorstellbar, finde ich.
Habt einen schönen Start in die Woche, wir lesen uns Sonntag wieder, Jannes
Foto: Julia Schwendner
Who the fuck is Jannes?
Jannes Vahl hat den gemeinnützigen Verein Clubkinder e.V. gegründet. Mit Konzerten, Partys oder Events sammelt er Spenden für soziale Projekte in Hamburg, beispielsweise mit der Tagebuchlesung. Außerdem leitet er die Kreativagentur Flutlotsen mit Büro auf St. Pauli. Mit seinem Compagnon Joko setzt er hier Projekte um. Jannes Vahl hat 5.000 Facebookfreunde, trinkt Craft-Bier, mag die Band Pearl Jam und versendet digitale Herzchen. In seiner neuen Kolumne berichtet er jeden Sonntag über ein Hamburger Thema, das ihn in der letzten Woche beschäftigt hat.