Kolumne: Positive Energie! Während in Jenfeld um Flüchtlingsunterkünfte gekämpft wird, beten Massen auf dem Kiez Helene Fischer an
Mit der Energie ist es so eine Sache. Oft hat man das Gefühl, dass sie dort viel zu sehr ausgegeben wird, wo sie nicht hingehört. Wo sie gebraucht wird, kommt dann nicht mehr genügend an. Das kann man universell auch anwenden auf Geld, Lebensmittel oder andere Dinge. Energie wird sowieso oft als Synonym für alles benutzt, was fließt.
In dieser Woche sind mir zwei Sachen aufgefallen:
Situation 1
In Jenfeld sollte ein Zeltdorf als Not-Unterkunft für 800 Zuwanderer aufgestellt werden. Einige Anwohner waren dagegen. Wohl, weil sie nicht rechtzeitig oder ausreichend darüber informiert wurden, es kursierten allerdings auch dumme Parolen durch Internet, Medien und Köpfe.
Dass man den Zuwanderern helfen muss, darüber waren sich zumindest alle meiner Freunde einig. Einige haben online protestiert, einige sind sofort nach Jenfeld geradelt, um vor Ort zu protestieren und – da wird es interessant – vor Ort zu schauen, wie die Sachlage ist.
Siehe da: Man kann mit einigen Anwohnern reden. Man kann auch mit Fernsehsendern vor Ort reden, um nicht nur Empörte oder Verirrte (es kommt immer wieder zu verfassungswidrigen Gesten) zu Wort kommen zu lassen. Man kann mit den Hilfseinrichtungen reden und helfen beim Zeltaufbau, bei der Kleidungsausgabe oder einfach beim Bespaßen der Kinder.
Man kann mit den Zuwanderern reden und ihnen erklären, aufmalen oder symbolisieren, dass nicht alle Menschen in Hamburg so sind wie die bedrohlichen Ewiggestrigen ohne Argumente. Zum Beispiel auch schon mit Kuchen: ein Stück Normalität und Fröhlichkeit.
Situation 2
Auf Sankt Pauli ein ganz anderes Bild: Hier gibt es für viele deutlich zu viel Fröhlichkeit. Unser Büro ist direkt über dem Hans-Albers-Platz, wir brauchen also wahrlich keine Informationen über die Umstände hier – zuletzt haben wir einen Termin mit Gastronomen verlegt, weil uns jemand in den Hausflur gekackt hat.
Und nun war am Samstag wieder Schlagermove. Wir sind gegen Lärm, Prügeleien, Alkoholleichen, gegen Erbrochenes, Urin und benutzte Kondome, vor allem gegen Müll allenorts, aber: Dieses Fest ist 30 Stunden im Jahr und räumlich stark begrenzt. Abgesehen davon sind die Besucher meistens weder feindselig noch gefährlich für andere als sich selbst.
Stumpfsinn durch Caipirinha ist das eine, Stumpfsinn durch Vorurteile und Wissensresistenz das andere. Überlegen wir, gegen wen wir unsere Wut – besser: Energie – richten. Und wie. PS: Nazis sind Scheiße. Überall.
Habt einen schönen Start in die Woche, wir lesen uns Sonntag wieder, Jannes
Foto: Julia Schwendner
Who the fuck is Jannes?
Jannes Vahl hat den gemeinnützigen Verein Clubkinder e.V. gegründet. Mit Konzerten, Partys oder Events sammelt er Spenden für soziale Projekte in Hamburg, beispielsweise mit der Tagebuchlesung. Außerdem leitet er die Kreativagentur Flutlotsen mit Büro auf St. Pauli. Mit seinem Compagnon Joko setzt er hier Projekte um. Jannes Vahl hat 5.000 Facebookfreunde, trinkt Craft-Bier, mag die Band Pearl Jam und versendet digitale Herzchen. In seiner neuen Kolumne berichtet er jeden Sonntag über ein Hamburger Thema, das ihn in der letzten Woche beschäftigt hat.