Kolumne: Echte Mails. Oder: Schreibt mal wieder einen Brief, bevor die Evolution die Stifthaltemuskeln abschafft
Wann habt ihr eigentlich (vor dem Poststreik) zum letzten Mal einen Brief bekommen? Einen richtigen mit Handschrift, Umschlag und Briefmarke? Ich bin ein großer Freund dieser altertümlichen Kommunikationsform.
Heute hat man hauptsächlich Rechnungen oder Werbung im Briefkasten. Man bekommt standartisierte Briefe. Da steht die Adresse auf einem Aufkleber aus dem Computer. Der Absender? Ein Aufkleber aus dem Computer. Und die Briefmarke? Richtig. Sogar die ist mittlerweile oft ein Aufkleber aus dem Computer. Im Umschlag findet sich dann eine ausgedruckte Seite mit einer vielleicht echten, vielleicht eingescannten Unterschrift.
In meiner Familie wird Wert auf Details gelegt. Geschenke. Kleine Aufmerksamkeiten. Kleine Dankbarkeiten. Die Wahl des Geschenkpapieres. Diese Details können verraten, was das eigentlich Wertvolle ist: die Zeit, die man investiert hat. Die Gedanken, die man sich gemacht hat. Die Intensität, mit der man sich kennt und sich in das Gegenüber hineinversetzen kann. Empathie halt.
Der neue eBrief ist doch so, als würde man seiner Mama zum Geburtstag einen 20 Euro Gutschein schenken. Auf einer Tafel Nussschokolade von Aldi. Gut, schlechtes Beispiel: Über den 5 DM Taler auf einer Tafel Nussschokolade von Aldi von meiner Oma habe ich mich zehn Jahre lang immer enorm gefreut.
Trotzdem: Wichtige Gedanken verdienen einen richtigen Brief. Mit Füller geschrieben. Mit Fehlern oder durchgestrichenen Wörtern, weil einem beim Schreiben ein besseres eingefallen ist. Am Ende tut die Hand weh von der ungewohnten Anstrengung. Beim Schreiben mit dem Stift werden offensichtlich andere Muskeln bewegt als beim Tippen auf dem Smartphone. Vermutlich entsorgt die Evolution diese Muskeln eh demnächst.
Darum: Schreib mal wieder Briefe. Ich hab das diese Woche auch getan. Nimm Dir Zeit für Deine Gedanken. Beschrifte auch den Briefumschlag mit Deiner schönsten Schönschrift. Vielleicht sogar mit Schnörkeln und Herzen. Und freue Dich über den ungläubigen Blick, wenn Du in der Postfiliale (diese gelben Häuser) nach der schönsten Sondermarke fragst.
P.S.: Wer diese Kolumne in Briefform bekommen möchte, schickt bitte einen frankierten Rückumschlag an Jannes Vahl, Friedrichstr. 11, 20359 Hamburg
Habt einen schönen Start in die Woche, wir lesen uns Sonntag wieder, Jannes
Who the fuck is Jannes?
Jannes Vahl hat den gemeinnützigen Verein Clubkinder e.V. gegründet. Mit Konzerten, Partys oder Events sammelt er Spenden für soziale Projekte in Hamburg, beispielsweise mit der Tagebuchlesung. Außerdem leitet er die Kreativagentur Flutlotsen mit Büro auf St. Pauli. Mit seinem Compagnon Joko setzt er hier Projekte um. Jannes Vahl hat 5.000 Facebookfreunde, trinkt Craft-Bier, mag die Band Pearl Jam und versendet digitale Herzchen. In seiner neuen Kolumne berichtet er jeden Sonntag über ein Hamburger Thema, das ihn in der letzten Woche beschäftigt hat.