Mit „Im Versteck“ beschert uns Matthew Griffin einen so traurigen wie schönen Debütroman
Gute Liebesgeschichten über gleichgeschlechtliche Paare sind – wie gute Liebesgeschichten überhaupt – keine Selbstverständlichkeit. Zu oft treten Autoren in die offensichtlichen Fallen, die Themen mit sozialkritischem Gehalt bereithalten. Dann wird mit gängiger Stilisierung (wir, die Liberalen vs. die bösen Konservativen) auf die gesellschaftskritische Tränendrüse gedrückt und das betroffene Publikum kann sich nach der Lektüre selbstbestätigt auf die Schulter klopfen; schließlich steht man auf der richtigen Seite. Nur, das eigentliche Thema, die Liebe, wird dabei zum Nebenschauplatz.
Matthew Griffins Debütroman „Im Versteck“ ist glücklicherweise nicht solch ein Roman. Der Amerikaner erzählt darin unsentimental und sprachgewandt von Frank und Wendell, einem Paar jenseits der 80, deren Leben durch den geistigen Verfall Franks nach einem Schlaganfall aus den Fugen gerät. Die beiden sind seit 60 Jahren zusammen, sie stammen aus einer Zeit, in der Homosexualität in den USA noch als „Verbrechen gegen die Natur“ galt. Das Paar lebt in einem kleinen Haus auf dem Land in North Carolina, abgeschieden von der Welt, anfangs aus Angst vor dem Gesetz, später aus Gewohnheit und Isoliertheit. Die Schwulenemanzipation ging an den beiden vollkommen vorbei, Wendel verachtet sie sogar:
„Und jetzt laufen sie herum, als ob es ganz normal wäre, jetzt sind sie „stolz“ (…) und grapschen aneinander herum wie Bacchanten, die in ihrem Rausch Orpheus in Stücke reißen. Kein Wunder, dass sie alle an Geschlechtskrankheiten sterben, so wie sie sich benehmen.“
Oberflächlich betrachtet passiert nicht viel in Franks und Wendells Leben. Es dreht sich um Blaubeerkuchen und Pasteten, den Gemüsegarten mit Tomaten und Kürbissen, um den Hausputz, den gemeinsamen Hund und kleine Streitereien. Das klingt nach biederer Häuslichkeit, möchte man meinen, allerdings stellt Griffin den häuslichen Alltag stets in unmittelbare Nähe zum Morbiden: Zerdrückte Tomaten, die „bluten wie Schusswunden“, der drastisch beschriebene Tod des Hundes und die Fernseh-Berichterstattung über den Mord an einem kleinen Jungen, die als wiederkehrendes Motiv den Roman durchzieht.
Griffin erzeugt mitten in den unspektakulären Alltagsgewohnheiten eine Spannung, in der sich die Komplexität der dunklen und hellen Aspekte des gemeinschaftlichen Älterwerdens wunderbar verdichtet: die täglichen Zärtlichkeiten, die großen Entbehrungen, der Verdruss, die Hingabe und das Zusammenwachsen.
Der 32-jährige Autor ist damit weit weg von den entpolitisierten Toleranzphrasen, mit denen sich neoliberale Politiker und Silicon-Valley-CEOs wie Hillary Clinton und Tim Cook derzeit so gerne schmücken. Denn ohne den sozialen Aspekt komplett zu liquidieren erzählt er von universellen Themen, ohne diese in ihrer Universalität einzuschränken. Ihm gelingt dies mit widersprüchlichen, nicht immer sympathischen Protagonisten und einer Sprache, die einmal mehr bestätigt: Das Ästhetische ist politischer als platte Imperative. / Ulrich Thiele / Autorenfoto Raymie Wolfe
Männerschwarm Verlag, 272 Seiten, 22 Euro
Tipp: Am 9. Februar liest Matthew Griffin um 20 Uhr im Buchladen im Schanzenviertel (Schulterblatt 55) aus seinem Roman
Kann posen, ist aber kein Poser – unser Autor Ulrich Thiele