Expertin für Liebe, Sex und Lebenslust: Was macht eigentlich Lilo Wanders?

Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders, bekannt aus der Schmidt-Mitternachtsshow und der VOX-Sendung „Wa(h)re Liebe“, steht seit mehr als 40 Jahren auf deutschen Bühnen. Zum 70. Geburtstag im September erschien nun die Autobiografie „Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?“. Im Interview mit SZENE HAMBURG spricht Ernie über Leben, Karriere und die aktuelle Buchtour
Lilo Wanders gilt als Deutschland bekannteste Aufklärerin
Lilo Wanders gilt als Deutschland bekannteste Aufklärerin (©Imago/Panama Pictures)

SZENE HAMBURG: Ernie, was hat dich dazu bewogen, jetzt deine Autobiografie zu veröffentlichen? 

Ernie/Lilo Wanders: Das hat sich so ergeben. Ich habe ganz viele Sachen schon geschrieben, beziehungsweise Unterlagen vorliegen, aus dem Nachlass meiner Mutter. Eigentlich wollte ich damit einen Roman schreiben, so eine Art Autofiktion, die mit meiner Geburt endet. Ein solch großes Projekt habe ich mir dann aber doch nicht zugetraut. Bei einer Veranstaltung lernte ich eine Literaturagentin kennen, wir kamen ins Gespräch und sie sagte: Na, dann schreib doch deine Lebenserinnerungen. Dass die nun auch noch zu meinem 70. Geburtstag herauskamen, war eine wohlüberlegte Fügung.

In deiner Autobiografie sprichst du sehr offen über deine Familie – über das Kennenlernen deiner Eltern, die Sterbehilfe an deiner Großmutter und auch über deinen eigenen Suizidversuch. Gab es Momente, in denen du gezögert hast, solche persönlichen Themen wirklich zu veröffentlichen? 

Ach, wirklich explizit etwas ausgelassen habe ich kaum. Es kommt aber schon vor, dass ich die eine oder andere Szene in ihrer Dramatik nicht ganz so tief aufgegriffen habe. Zum Beispiel, wie ich von dem Aus meiner Sendung „Wa(h)re Liebe“ nur über eine Handynachricht erfahren habe. Das tat schon sehr weh, aber es ist lange her und rückblickend ein Ereignis unter vielen. Ein Freund meinte, dass ich meine Ehe mit meiner Frau Brigitte als viel zu selbstverständlich dargestellt habe, obwohl es damals doch etwas Revolutionäres war: ein offen schwuler Mann, der mit einer Frau verheiratet ist. Aber letztlich war es genau das für mich: selbstverständlich.

Vom kleinen Dorf auf die großen Bühnen

Du bist in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide aufgewachsen. Was waren dort deine ersten Berührungspunkte mit Schauspiel oder Theater? 

Mir war schon als kleines Kind klar, dass ich anders bin, deshalb war ich sehr schüchtern. Im Kaufladen meiner Großeltern traute ich mich nicht, die Kundschaft zu grüßen, und wechselte immer die Straßenseite, um den Nachbarn nicht Hallo sagen zu müssen. Später, in der Pubertät, habe ich gemerkt, dass ich alles schaffen kann, wenn ich mir einfach vorstelle, jemand anderes zu sein. Das war der Beweggrund, über die Schauspielerei nachzudenken. Ich wollte mich sogar bei einer Schauspielschule bewerben, ich dachte damals aber, das wäre viel zu hoch gegriffen für mich.

In Hamburg hast du dann aber zunächst Bibliothekswesen studiert und nicht Schauspiel. Was führte schließlich zum Entschluss, beruflich auf die Bühne zu gehen? 

Das war ein langer Prozess. Als ich in den 70er-Jahren nach Hamburg gezogen bin, hatte ich erst nur zögerlichen Kontakt mit der schwulen Szene. Das war wie eine Offenbarung für mich als jungen Schwulen aus der Provinz vorher. In dieser Zeit bin ich in eine Theatervorstellung der Gruppe „Brühwarm“ geraten. Die brachte bisher Ungesehenes auf die Bühne, mit Musik von Rio Reiser und sehr frechen Texten, die ein Stück weit die Lebenswirklichkeiten von Homosexuellen widerspiegelten. Dieser Abend hat mich fasziniert und auch inspiriert. Später wohnte ich mit zwei anderen schwulen Männern in einer WG in der Nähe vom Hauptbahnhof. Bei der Einweihungsparty habe ich mich das erste Mal getraut, in einem Fummel vor unseren Gästen aufzutreten und anzügliche und sentimentale Lieder zu singen. Das war so ein Erfolg, dass ich mir dachte: Ach, das geht.

Es zog mich einfach zur Bühne. Ich brach mein Studium ab, finanzierte mich mit Gelegenheitsjobs und trat mit verschiedenen Theatergruppen und Soloprogrammen auf. Schließlich tourte ich mit Corny Littmann und wechselnden Kollegen mit etlichen Programmen als „Schmidt Familie“ durch Deutschland. Wir wurden immer erfolgreicher und gründeten 1988 gemeinsam das Schmidt-Theater. Durch Corny vorangetrieben, lief bald fast vier Jahre lang unsere „Schmidt Mitternachtsshow“ einmal im Monat in den dritten Fernsehprogrammen und brachte uns bundesweite Bekanntheit.

Das war der Punkt, an dem meine private Person und Lilo eins wurden. 

Lilo Wanders
Ernie Reinhardt als Lilo Wanders (©Michael Reh)

Du bist mittlerweile vor allem als Lilo Wanders bekannt, aber wie ist diese Figur überhaupt entstanden?

Wir haben damals im Schmidt an verschiedenen Theaterproduktionen gearbeitet, und ich sollte eine Figur für das Stück „Blaue Jungs“ entwickeln. So entstand Lilo Wanders, eine alte Theaterdiva, die von der Sängerin Evelyn Künneke inspiriert war, bekannt für ihre Starallüren. Nach diesem Stück fragte man mich, ob ich zusammen mit Corny Littmann und Marlene Jaschke die Fernsehshow „Schmidt Mitternachtsshow“ als Lilo Wanders mitmoderieren möchte. Das war der Punkt, an dem ich der Figur mehr Charakter geben musste, praktisch Lilo die Zweite. Als dreieinhalb Jahre später die Anfrage für „Wa(h)re Liebe“ kam, habe ich die Figur noch einmal umgewandelt, weil Lilo Wanders für diese Sendung zu einem Menschen werden musste. Meine Produzenten wollten eigentlich, dass ich meine Gäste sehr abfällig behandle. Dagegen habe ich mich aber gewehrt. Vor allem, wenn ich über Liebe, Sex, Erotik und Partnerschaften rede, muss Lilo Wanders auch menschlich sein. Das war der Punkt, an dem meine private Person und Lilo eins wurden.

Gab es einen Moment, in dem klar wurde: Lilo Wanders ist mehr als nur eine Theaterfigur – sie bleibt? 

Das habe ich damals noch gar nicht gedacht, aber sie schob sich dann so in den Fokus, dass alle meine anderen von mir erfundenen und gespielten Figuren in den Hintergrund traten. Heute bedauere ich das ein wenig, weil man mir nichts anderes mehr zutraute. Dazu sollte man wissen: Ich bin keine Dragqueen, ohne dass das jetzt abfällig klingen soll. Ich bin ein Damendarsteller oder Female Impersonator. Vielen Drags ist öffentliches Erscheinungsbild extrem wichtig, es ist ihr Leben. So war es bei mir nie. Ich habe immer zu meinen Kindern gesagt: „Papa zieht den Blaumann an und geht auf Schicht.“ Lilo zu sein, war also praktisch meine Arbeitsuniform. Ich hätte gerne auch noch andere Rollen gespielt, aber das kam dann erst später. So eine leichte Unzufriedenheit bleibt aber, obwohl ich der Figur Lilo so viel zu verdanken habe. Aber vielleicht kommt da ja noch was. Ich würde zum Beispiel gerne mal eine schräge, heterosexuelle Männerrolle übernehmen oder einen Kommissar im „Tatort“ spielen, das wäre mal ganz was anderes und abseits von den Erwartungen, die man an mich hat.

Viele kennen Lilo Wanders aus der VOX-Sendung „Wa(h)re Liebe“. Du schreibst in deinem Buch aber, dass du das Angebot zunächst abgelehnt hast. Wie ist es dann doch dazu gekommen? 

Die Anfrage kam per Mailbox und ich habe noch in der Nacht mit einer Sprachnachricht abgesagt. Am nächsten Tag wurde ich dann von SPIEGEL TV zu einem „informellen“ Gespräch eingeladen und dazu konnte ich nicht Nein sagen. Als ich mit den Redakteuren zusammensaß, hat man mich mit reichlich Champagner abgefüllt und ich habe noch am selben Tag den Vertrag unterschrieben. Am nächsten Tag stand ich schon im Studio, völlig unvorbereitet. In der ersten Folge saß mir der Pornostar Dolly Buster auf der Couch gegenüber und ich hatte tatsächlich überhaupt keine Ahnung, wer das war. Wo ich damals diesen Mut hergenommen habe, weiß ich nicht.

Für mich gibt es zwei große Themen im Leben: die unabwendbare Endlichkeit unseres Daseins und die Sehnsucht danach, zu lieben und geliebt zu werden.

Lilo Wanders

Du bist im Moment auf großer Buchtour. Wie sehen diese Veranstaltungen aus?

Bis ins Jahr 2027 trete ich unter dem Titel „Waren Sie nicht mal Lilo Wanders?“ mit einem Programm zu meinem Buch auf. Dabei lese ich aber nicht vor, ich erzähle und beantworte anonym gestellte schriftliche Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer, die mir nach der Pause zugereicht werden. Das ist viel spannender als vorzulesen, weil das geschriebene Wort doch ein anderes ist als das gesprochene und ich die Chronologie meines Lebens durcheinanderwirbeln kann. Jeder Abend ist anders als der vorangegangene, das Publikum und ich interagieren und wir alle haben viel Spaß dabei.

Und welche Fragen stellen dir die Leute so?

Viele dieser Fragen zielen auf meine speziellen Lebensumstände, andere betreffen persönliche Befindlichkeiten der Fragesteller und drehen sich um Beziehungen, Liebe und Sex. Zum Beispiel kam neulich die Frage, ob es okay sei, dreimal oder öfter am Tag Sex zu haben. Natürlich ist es das. Wenn man die Lust, die Zeit und die Energie hat, ist es doch fabelhaft. Nach der Vorstellung kam dann eine 89-jährige Frau auf mich zu und erzählte mir, dass der Zettel von ihr stammte. Sie hat als Witwe nach 60 Ehejahren einen neuen Mann kennengelernt und die beiden können die Finger nicht voneinander lassen. Das war schon eindrucksvoll, und ich hatte das Gefühl, sie wollte es einfach mal jemandem erzählen.

Das heißt, die Leute sehen dich immer noch als eine Art Sex- und Liebesexpertin?

Auf jeden Fall! Ich glaube, im Grunde habe ich fast alle Personen, die heute über 35 Jahre alt sind, mit meinen 545 Sendungen in über zehn Jahren aufgeklärt und bin im kollektiven Gedächtnis der Nation verankert. Die mir gestellten Fragen bewahre ich alle auf und werde wohl irgendwann mit meinen Antworten darauf ein Buch daraus machen. Das liegt aber noch in der Zukunft, bis mindestens Ende 2026 bin ich mit meinen Programmen gut gebucht und werde durch ganz Deutschland reisen.

Stört es dich manchmal auch, dass viele dich bis heute vor allem mit dieser Rolle verbinden?

Nein, überhaupt nicht, ich fühle mich geehrt. Für mich gibt es zwei große Themen im Leben: die unabwendbare Endlichkeit unseres Daseins und die Sehnsucht danach, zu lieben und geliebt zu werden. Damit beschäftige ich mich ständig, auf der Bühne wie auch in meinem Leben.

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