SZENE HAMBURG: Lisa, wie bist du zu „Amrum“ gekommen? Musste Fatih Akin dich überreden oder hast du sofort zugesagt?
Lisa Hagmeister: Ich glaube, seine Frau Monique Akin, die immer Fatihs Filme castet, hat mich vorgeschlagen und mich zum Casting eingeladen. Laura Tonke war schon für die Rolle der Mutter besetzt und es ging darum, jemanden zu finden, der gut zu ihr als Schwester passt. Wir kannten uns schon, und ich glaube, dass Fatih gemerkt hat, dass wir Lust aufeinander hatten und gut zusammenpassen. Die Geschichte war toll, der Cast super, der Regisseur natürlich total spannend – da muss niemand überredet werden. Ich habe sofort zugesagt.
„Amrum“ ist ja eine sehr persönliche Geschichte von Hark Bohm. Macht es für dich einen Unterschied, ob du in einem rein fiktionalen Film oder einem sehr autobiografischen Film spielst?
In diesem Fall hat es für mich keinen großen Unterschied gemacht. Es war immer klar, dass Fatih eine bestimmte künstlerische Freiheit behält, mit dem Stoff umzugehen, die ich auch für uns vor der Kamera empfunden habe. Aber es gibt im Film ganz am Ende einen Moment, in dem Hark Bohm selber erscheint. Das hat mich im Nachhinein sehr berührt, wenn klar wird, dass das seine Geschichte ist, auf die er nach einem langen Leben zurückblickt.
Gegen das Verdrängen: Filme schaffen Aufmerksamkeit für die relevanten, schmerzhaften Themen, die viele lieber meiden
Der Film spielt ja vor ziemlich genau achtzig Jahren, die Geschichte selbst wirkt traurigerweise aber sehr aktuell. Wie wichtig ist eine solche Aktualität für einen Kinofilm, um sein Publikum zu finden?
Manchmal fürchte ich, dass das Publikum die brennendsten Themen fast meidet, weil es schmerzhaft ist, sich mit dem zu beschäftigen, was einen ohnehin besorgt oder bedrückt. Das gilt natürlich nicht für alle. Nichtsdestotrotz ist es für uns Filmschaffende natürlich unheimlich wichtig, die relevanten Themen zu behandeln. Es ist sinnstiftend und befreiend.
Es ist so schwer, immer den Mund aufzumachen, immer mutig zu sein
Lisa Hagmeister
Du spielt in „Amrum“ Ena, die sich von den Nazis nicht hat blenden lassen, aber mit ihrer Schwester zusammenlebt, die überzeugte Nationalsozialistin ist. Trotz der konträren Einstellungen und der damit einhergehenden Konflikte lieben sich die beiden. Auch solche Clashs von Weltanschauungen dürften hierzulande zugenommen haben, seit die AfD so viel Zuspruch findet und dadurch Familien auseinanderreißt. Wie hast du dich schauspielerisch diesem Konflikt genähert: Der Liebe zur Schwester einerseits und der absoluten Ablehnung ihres Menschenhasses?
Das ist das Leben in seiner Komplexität, wie es jeden Tag passiert. Diese Widersprüche finde ich mehr als natürlich. Da musste ich mich gar nicht vorbereiten. Da sehe ich mir die Szene an und spiele sie.
Was mir an deiner Figur so gut gefällt, und du spielt es ganz hervorragend, ist, dass Ena eben nicht den Mund hält, sondern sich ganz klar gegen die Nazis positioniert. Wie wichtig findest du es, dass so ein Mut, gerade in diesen Zeiten, in einem so großen Film mit mutmaßlich viel Publikum gezeigt wird?
Soo wichtig! Es ist so schwer, immer den Mund aufzumachen, immer mutig zu sein. Ich bewundere Ena so sehr dafür. Ich habe auch manchmal Angst, selber nicht mutig genug zu sein. Deswegen müssen wir Vorbilder haben und uns gegenseitig zeigen, dass wir nicht alleine sind.
Die Ablehnung deiner Figur kumuliert ja in einer Szene, in der du ein Foto Hitlers verbrennst. War diese symbolische Szene für dich besonders aufgeladen?
Das war natürlich eine der krassesten Gesten, die zu diesem Zeitpunkt möglich waren. Aber für diese starke Person Ena war es einfach folgerichtig. Sie hatte keine Angst, und so war es für mich dann auch.
Mehrere Generationen am Set: Gegenseitiges Lernen

Die Hauptrollen spielen in „Amrum“ ja Kinder. Der Dreh mit Kindern gilt ja immer als „anders“, als besonders. Wie hast du den Dreh mit ihnen, insbesondere mit dem Hauptdarsteller Jasper Billerbeck, empfunden?
Jasper war immer total diszipliniert und sehr professionell. Die Erwachsenen müssen sich natürlich immer nach den Kindern richten und warten, bis alles mit den Kindern stimmt. Das ist manchmal auch anstrengend, aber man wird dafür immer wieder mit tollen Momenten belohnt. Und es war ja von Anfang an klar: Im Zentrum der Geschichte steht ein Kind!
Als Schauspieler sieht man sich ja immer an, wie Kollegen und Kolleginnen spielen und schaut sich gegebenenfalls auch mal was ab. Gab es bei den jungen Darstellern ebenfalls Dinge, die du dir abschauen konntest?
Was ich mir immer wieder von Kindern abgucken kann, wenn sie gut sind, ist ihre Unverstelltheit, ihre Frische und Spontaneität, ihre Freiheit und Furchtlosigkeit. Eigentlich ist es das immer gewesen, was mich am Spielen überhaupt interessiert hat.
Du drehst fürs Fernsehen, fürs Kino, machst Serien, machst Filme, stehst im Theater auf der Bühne – wie bekommst du das alles unter einen Hut?
Das freut mich, dass es so aussieht. (grinst) Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen, mit der Anmerkung, dass es oft entweder zu viel ist oder zu wenig. Aber wenn es schöne Projekte sind, geht auch viel!
Außerdem warst – oder bist? – du Sängerin einer Punkband namens N.R.F.B, was für Nuclear Raped Fuck Bomb steht. Gibt es N.R.F.B eigentlich noch?
Das Projekt hatte Jens Rachut ins Leben gerufen. Ich bin ihm nach wie vor sehr dankbar für diese Erfahrung. Es liegt aber seit einiger Zeit auf Eis. Wer weiß … vielleicht machen wir ja noch mal was zusammen!
Du bist bald seit zwanzig Jahren festes Ensemblemitglied am Thalia Theater. Was geht in dir vor, wenn du dir das bewusst machst?
Dankbarkeit! Dafür, an so einem tollen Haus so lange arbeiten zu dürfen; dafür, meine Familie so lange nicht verpflanzen zu müssen. Aber auch Zweifel, ob nicht auch das Sich-Immer-Erneuernde, das Sich-Stets-Wandelnde zum Kunst machen dazugehört.
Demnach verbringst du viel Zeit in Hamburg. Was bedeutet dir die Stadt?
Ich liebe Hamburg. Ich habe hier ein künstlerisches Zuhause gefunden. Das Wetter macht mich manchmal fertig – aber wem sage ich das?!