Es ist das bekannteste Kontorhaus Deutschlands, ein Meisterwerk der Architekturgeschichte, stieg von einem der ersten Hochhäuser Hamburgs zum Wahrzeichen der Stadt auf und gehört seit 2015 zum UNESCO-Welterbe: das Chilehaus. Mit seinem spitzen Fassadenwinkel erinnert das expressionistische Backsteingebäude an einen Schiffsbug und gilt als Symbol moderner hanseatischer Architektur. Dieses Jahr feiert es seinen 100. Geburtstag – Grund zur Freude also.
Zugleich sollte man aber auch bedenken, unter welchen Umständen der Bau damals erst entstehen konnte: Denn in Auftrag gegeben hatte ihn der Hamburger Geschäftsmann Henry B. Sloman, der mit chilenischem Salpeter zu Geld kam und als sogenannter Salpeterbaron in die Geschichte einging. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts avancierte der Rohstoff als Basis für Dünger, Farbe und Sprengstoff zum gefragten Export-Gut – und so blieben in Chile, trotz der kurz zuvor erlangten Unabhängigkeit, viele kolonial geprägten Strukturen erhalten.
MARKK-Ausstellung: „Weißes Wüstengold. Chile-Salpeter und Hamburg“
Auf all diese komplexen Hintergründe blickt aktuell die Ausstellung „Weißes Wüstengold. Chile-Salpeter und Hamburg“ im MARKK – und verlegt das Augenmerk vom Norden Deutschlands in die Atacama-Wüste im Norden Chiles. Zahlreiche Exponate unterschiedlicher Gattungen und Entstehungszeiten werfen Schlaglichter auf die harten Arbeits- und Lebensbedingungen der Salpeterarbeiter vor Ort sowie auf deren Widerstandskraft und Identität.
So kommen historische Fotografien aus Privatarchiven, die die Arbeiter beim schweißtreibenden Ausschaufeln von Auslaugungswannen zeigen oder als uniforme Idealtypen einer nimmermüden menschlichen Kraftmaschine inszenieren, zusammen mit Objekten, bei denen sich Geschichte nicht motivisch offenbart, sondern in Form und Material angelagert hat – wie etwa bei einem gestrickten Geldbeutel aus Schafswolle, den ein Arbeiter dem Sohn eines Salpeterwerkdirektors geschenkt hatte.
Salpeterhandel: MARKK zeigt auch gegenwärtige Perspektiven
Eine gegenwärtige Perspektive auf die bewegte Historie des Salpeterhandels wiederum bietet die Künstlerin Juana Guerrero mit einer emotionalen Videoperformance von 2015, in der sie unter anderem die gewaltige Einwirkung des Rohstoffabbaus auf die Landschaft thematisiert – genauso wie Tom Hegen mit seinen weiträumigen Luftaufnahmen der Atacama-Wüste von 2021.
Dort fängt er allerdings nicht den Abbau von Salpeter ein, sondern von Lithium, das in riesigen Verdunstungsbecken gewonnen wird und dabei auf den ersten Blick wunderschöne Gelb-, Grün- und Blautöne annimmt. Doch die Farbpracht trügt: Denn offenbar hat die Rohstoffausbeutung auf Kosten der Umwelt nichts an Aktualität eingebüßt, das weiße Wüstengold trägt schlichtweg neue Kleider.
„Weißes Wüstengold. Chile-Salpeter und Hamburg“, MARKK Museum am Rothenbaum, 24. Mai 2024–26. Januar 2025
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.