Max Frisch „Fragebogen“: Christian Baron antwortet

Literarisch begabter Klassenkämpfer: Christian Baron (Foto: Hans Scherhaufer)

Autoren der Gegenwart antworten auf den berühmten Fragebogen von Max Frisch. Dieses Mal antwortet Christian Baron, Autor des preisgekrönten Romans „Ein Mann seiner Klasse“ 

Wenn Sie einen Menschen in der Badehose treffen und nichts von seinen Lebensverhältnissen wissen: woran erkennen Sie nach einigem Gespräch (nicht über Geld) trotzallem den Reichen?

Gehen wir von einem Menschen fortgeschrittenen Alters aus: Je glatter das Gesicht, umso wahrscheinlicher ist es, dass es sich um eine Person ohne materielle Sorgen handelt. Denn Falten kommen vom Nachdenken und Grübeln, wozu Reiche in der Regel keinen Anlass haben.

Da zwar ein Recht auf Eigentum besteht, aber erst in Kraft tritt, wenn Eigentum vorhanden ist: könnten Sie es irgendwie verstehen, wenn die Mehrheit Ihrer Landsleute, um ihr Recht in Kraft zu setzen, Sie eines Tages enteignen würde?

Nicht, wenn es um „der Oma ihr klein Häuschen“ geht. Zu mehr Reichtum will und werde ich es nie bringen. Es gibt auf Erden eine obszöne Ungleichheit. Die 85 reichsten Milliardäre besitzen genau so viele Vermögenswerte wie 3,5 Milliarden Personen. Das muss sich ändern. Ich würde da aber nicht von Enteignung sprechen, weil konzentrierter Reichtum bereits auf einer Enteignung der Gesellschaft beruht. Es wäre also eher eine Vergemeinschaftung.

Gibt es einen klassenlosen Humor?

In einer Klassengesellschaft macht es einen Unterschied, wer über wen lacht. Ich halte es mit Harald Schmidt: „Keine Witze über Leute, die weniger als 10.000 Euro im Monat verdienen.“ Kurt Tucholsky schrieb, Satire gewinne ihre Daseinsberechtigung dadurch, dass sie es wage, „dem dicken Kraken“ an den Leib zu gehen. Damit meint er den Kapitalismus. Guter Humor funktioniert also „von unten nach oben“, niemals aber „von oben nach unten“.

Was bezeichnen Sie als männlich?

Meine erste Assoziation: mit hinter dem Rücken verschränkten Armen spazieren zu gehen. Ansonsten habe ich meiner lebensklugen Tante zu verdanken, dass ich mich lieber damit beschäftige, was „menschlich“ ist als mit dem, was als „männlich“ gilt. Und noch etwas hat sie mich gelehrt: Viele gemeinhin als „unmännlich“ und „Schwächen“ titulierten Eigenschaften sind aus humanistischer Sicht große Stärken.

Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?

Meinen Vater habe ich damals nicht auf dem Sterbebett besucht. Diesen verpassten Abschied würde ich für ihn und für mich gern nachholen – und bei dieser Gelegenheit meinen Frieden machen mit diesem Mann.

Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschten Sie, daß der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?

Ich wüsste unheimlich gern, was meine viel zu früh verstorbenen Eltern an mir als Erwachsenem zu kritisieren hätten.

Max Frisch: „Fragebogen“, Suhrkamp, 96 Seiten 

Christian Baron: „Ein Mann seiner Klasse“, Claassen, 288 Seiten 


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, September 2020. Das Magazin ist seit dem 29. August 2020 im Handel und  auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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