Der Journalist Alf Burchardt hat mit seinem Kollegen Bernd Jonkmanns ein haptisch wie inhaltlich wunderschönes und üppiges Buch veröffentlicht. „Sounds of Hamburg“ streift durch sechs Jahrzehnte Hamburger Musikgeschichte
Interview: Ulrich Thiele
SZENE HAMBURG: Alf, in „Hamburg Calling“ hast du dich zusammen mit Bernd Jonkmanns dem Punk in Hamburg gewidmet. Warum jetzt dieser breite Überblick, anstatt noch mal einen Stil unter die Lupe zu nehmen?
Das war, wie schon beim Punk-Buch, Bernds Idee. Zu Beginn unserer Arbeit dachten wir eigentlich, dass es von Vereinen wie Rock City bereits einen Überblick darüber gibt, was in Hamburg musikalisch so alles passiert ist. Gibt es aber nicht. Deswegen haben wir uns selbst durch die Jahrzehnte und die Musikstile gewühlt, was ein großer Spaß war. Manche Jahrzehnte füllten sich schnell, andere waren mühseliger.
Welche denn?
Die Zeit ab der Jahrtausendwende. Ich habe mit Marcus Wiebusch von Kettcar telefoniert und ihm dabei auch unser Konzept erläutert. Er meinte: „Habt ihr überhaupt was für die Nuller- und die Zehner-Jahre? Da sind doch alle nach Berlin gegangen.“ Stimmt, einige sind gegangen. Aber wir haben zum Glück viele Namen auch von André Luth, dem Hamburger HipHop-Papst, von Peter Urban, den Jungs von Michelle und von der Hanseplatte bekommen.
Von Bernd Begemann bis Meute
Für wen ist das Buch?
Das Buch ist ein Bilderbogen für Leser mit Liebe zum Haptischen, der zeigt, wie reichhaltig die Musik dieser Stadt in den letzten 60 Jahren war. Im besten Fall werden die Leser dazu angeregt, sich in bestimmte Stile weiter zu vertiefen. Wir erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit, das ist unsere subjektive Auswahl.
Was habt ihr weggelassen?
Es fehlt ganz viel Jazz aus Hamburg. Das Thema haben wir bewusst nicht so intensiv aufgenommen, weil es so groß ist, dass wir ihm nicht hätten gerecht werden können, ohne den Rahmen zu sprengen. Der Hamburger Jazz hat vielleicht mal ein eigenes Buch verdient.
Bernd Jonkmanns war vor allem für die Bilder zuständig, du für die Texte. Worauf hast du da geachtet?
Ich habe mit vielen Musikern persönlich gesprochen, weil die Texte über sie mehr sein sollten als ein Wikipedia-Eintrag. Ob Bernd Begemann oder Digitalism, ob Meute oder Trümmer: Ich habe mich bemüht, in die längeren Texte Kleinigkeiten einzuarbeiten, die auch Fans vielleicht noch nicht kennen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Die Geschichte über die Beginner habe ich über DJ Mad aufgezogen, der kommt ja sonst gern mal zu kurz.
„Hamburg war immer ein guter Boden zum Experimentieren“
Hast du ein persönliches Lieblingsjahrzehnt?
Vielleicht von 1975 bis 1985, als der Punk nach Hamburg kam. Man kann gar nicht hoch genug einschätzen, was es für Hamburg bedeutet hat, als es damals losging mit Bands wie Abwärts und den Platten auf Albrecht Hilsbergs Label. Das erste Album von Abwärts, „Amok Koma“ von 1981, steht weiterhin vorn in meiner Sammlung. Gute Platte, wichtige Platte.
Was ist so gut daran?
Es nimmt diesen Punk-Geist, dieses Aufbruchsgefühl auf und macht etwas Eigenes daraus. Abwärts ist ein großer Wurf gelungen, weil ihre Musik sich absetzt von anderen Hamburger Punkbands, die einfach nur versucht haben, ihre englischen Idole zu kopieren. So war es ja schon zur Star-Club.Zeit: Manchen Bands wie den Rattles gelang das besser, anderen schlechter. Zu der Abwärts-Platte gibt es keinen vergleichbaren Stil.
Was macht die Sounds of Hamburg eigentlich Hamburg-spezifisch?
Ich weiß nicht, warum das so ist, aber Hamburg war immer ein guter Boden zum Experimentieren. Hier wurde immer genau hingehört, was an neuer Rock- und Popmusik unterwegs war, Musiker haben sich davon inspirieren lassen und es weiterentwickelt. Der frühe Krautrock zum Beispiel, der in Hamburg sehr gitarrenlastig war, oder die Hamburger Schule um Tocotronic mit diesem spröden Rock.
Tocotronic werden ja auch für ihre Texte gefeiert. Und da wir hier im Literaturressort sind: Was ist dir wichtiger – Text oder Musik?
Musik.
Die Texte müssen für dich also nicht unbedingt gut sein?
Schlecht sollten sie nicht sein. Bei englischen Texten aber ist es immer leichter, darüber hinwegzuhören. Bei deutscher Musik bin ich manchmal schon unglücklich, dass ich den Text verstehe. Aber vielleicht bin ich für die neue Befindlichkeit auch zu alt.
Jan Delays Texte haben Wumms
Wen magst du textlich?
Ich finde, dass Jan Delay immer ein gutes Niveau hinlegt und hält. Ich fand auch sein Album „Hammer und Michel“, das einhellig schlecht gemacht wurde, ganz in Ordnung. Bei ihm höre ich auch gerne den Texten zu.
Lieblingsline?
Lass mich mal kurz überlegen. Wie ging noch mal diese Stelle in „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“ über Axel Springer? Ach ja: „Ich möchte mich nicht in Köpfen befinden zusammen mit Gedanken, die unter Einfluss vom Axel Springer Verlag entstanden!“ Oder aus „Vergiftet“: „Meine Mudder mag RTL 2 nicht, denn das ist vergiftet. Und mein Vadder mag Phil Collins nicht, denn der ist vergiftet.“ Super, das hat Wumms!
Alf Burchardt, Bernd Jonkmanns, Frank Spilker (Vorwort): „Sounds of Hamburg. Die Musik der Stadt: 1960–2020“, Junius, 300 Seiten, 49,90 Euro.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, November 2021. Das Magazin ist seit dem 28. Oktober 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!