HSV-Ikone, Ehrenbürger und feiner Mensch: Hamburg nimmt Abschied von Uwe Seeler
Text: Andreas Daebeler
Uwe Seeler ist tot. Eine Nachricht, die irgendwann kommen musste. Nach all den Unheil verkündenden Meldungen von Stürzen und Krankenhausaufenthalten. Dann ist sie da. Und sie trifft ins Herz. Auch Menschen, die Hamburgs größten Fußballer nicht mehr haben kicken sehen. Wie mich, geboren 1972. Im Jahr, in dem 60.000 Menschen zum ersten Mal Abschied nehmen. Vom Spieler und Mittelstürmer. Von einem, der sein Herz auf dem Rasen ließ. Noch nicht von „Uns Uwe“. Der ist an diesem Tag, an dem er auf Schultern aus seinem Stadion getragen wird, längst mehr als nur Sportler.
Die Fußballlegende
Um das Leben Uwe Seelers nachzuzeichnen, bedürfte es mehr als ein paar Tausend Zeichen. Von der Kindheit mit „Vadder“ Erwin, Mutter Anny und den zwei Geschwistern in einer kleinen Butze unweit des Eppendorfer Markts über die frühen Dribblings auf Trümmergrundstücken bis hin zur ersten Rothose. Am 1. April 1946 bekommt Uwe den Spielerpass beim HSV. Schnell nennen sie ihn liebevoll den „Dicken“. Leicht untersetzt, tiefer Schwerpunkt – Gardemaß geht anders. Doch das ist Bundestrainer Sepp Herberger ein paar Jahre später egal, denn dieser Hamburger Jung mit dem früh schütteren Haar hat Willen, Durchsetzungsraft, Talent. Und er zieht aus jeder Lage ab.
1960 schlenzt, köpft und stochert Uwe seinen HSV fast im Alleingang zur Deutschen Meisterschaft. Dass er kurz darauf den Boss von Inter Mailand mit seinem Koffer voller Geld nach Hause schickt und lieber neben dem Job als Fußballer als Vertreter arbeitet, macht ihn zur Vereinslegende. Ein paar Jahre später schießt er Deutschland gegen Schweden zur WM in England, nachdem er dem wegen eines Achillessehnen-Risses drohenden Karriere-Ende ein Schnippchen geschlagen hat. Den Finalrasen von Wembley verlässt Uwe mit hängendem Kopf – um sich Minuten später lächelnd bei der Queen für die Ehrung als Zweiter zu bedanken. Ein anständiger Kerl. Einer, der verlieren kann. Bilder, die um die Welt gehen. Wie das Jahrhunderttor mit dem Hinterkopf vier Jahre später – wieder gegen England.
Der schönste Treffer
Seinen schönsten Treffer, das sagt Uwe immer wieder, landet er 1959, als er in der Eppendorfer Hochzeitskirche seine resolute Ilka heiratet. Mit ihr bekommt er drei Töchter, lebt in einem bescheidenen Häuschen in Ochsenzoll, fährt bodenständig an die Nordsee in den Urlaub. Und sagt irgendwann mal, im Hause Seeler treffe er die wichtigen Entscheidungen. Welche wichtig sei, das entscheide natürlich seine Frau. Die falscheste ist vielleicht, sich 1995 überreden zu lassen, HSV-Präsident zu werden. Uwe wird fast zerrieben.
Ein fast normaler Hamburger
Uwe Seeler über den Weg zu laufen, ist all die Jahre nie schwer. Etwa beim Einkaufen in Norderstedt, auf dem Parkplatz des Stadions, vor dem seit 2005 sein in Bronze gegossener, etwas knorpeliger rechter Fuß steht – oder auch mal in der Provinz. Wie damals, Ende der 1990er, am Rande eines Benefizspiels nahe Pinneberg. Uwe an der Seitenlinie, im Gespräch mit einem Sponsor, die geliebte Bockwurst in der Hand. Ein paar kleine Jungs im Trikot des Heimatclubs trauen sich heran, er bückt sich runter zu ihnen, streichelt Köpfe, lacht. Als er zum Bierwagen schlendert, wird er mit „Uwe, Uwe“-Rufen begrüßt. Und grinst dieses typische Grinsen. Schelmisch und zugleich etwas peinlich berührt. Dann wird geprostet. Er ist einer von ihnen, Ehrenbürger hin, HSV-Ikone her.
„Keine Angst, auch im Himmel wird Fußball gespielt!“
Uwe Seeler
Am 21. Juli ist Uwe Seeler im Alter von 85 Jahren im Kreise seiner Familie eingeschlafen. „Keine Angst, auch im Himmel wird Fußball gespielt“, soll er mal gesagt haben. Da oben haben sie jetzt einen Mittelstürmer. Und einen feinen Menschen. Tschüss, „Dicker“.