Golden Toast an der Wand oder an der Bar: VIS in Rothenburgsort bietet mehr.
Ganz wie die Kommandozentrale eines Frachtschiffs schwebt das ehemalige Pförtnerhäuschen über dem Gebrauchtwagenhändler-Areal in Rothenburgsort. Über ein paar Stufen geht es hinauf in den kleinen, schnörkellosen Raum mit Terrazzoboden und umlaufendem Fensterband. Seit Ende Juni heißt der Raum Vis (lat. für „Kraft“) und nimmt, volle Kraft voraus, ganz entschieden Kurs auf Kunst.
An Eröffnungsabenden stehen Nadine Droste und Nick Oberthaler, die Macher des neuen Kunstraums, draußen vor der gelb geklinkerten Wand hinter einem improvisierten Tresen. Mit Wein, Wurst oder Toast überbacken sorgen sie dann für das kunstsinnige Völkchen, das nach konzentriertem Begucken der Ausstellungen gern noch ein wenig verweilt.
Droste ist freie Kuratorin, sie hat an der HFBK Kunst studiert und in Frankfurt Curatorial Studies und zwei Jahre im Hamburger Kunstverein gearbeitet. Oberthaler hat in Wien und Genf Malerei studiert, früher mal in der Nomadenoase ausgestellt und wird heute von der Galerie Ropac vertreten. Gemeinsam haben sie Fördergelder von der Kulturbehörde Hamburg und dem österreichischen Bundeskanzleramt angeworben und ein rasantes Programm ausgeheckt: durch den Sommer hindurch und bis erst einmal November alle zwei Wochen eine neue Ausstellung. So sorgt VIS dafür, dass die neu aufkeimende Dynamik unabhängiger Kunsträume in der Hansestadt – das Come Over Chez Malik’s, Benzene oder der Projektraum 14a – noch zusätzlich Fahrt aufnimmt.
Nebelkammer der Sinne
Mit seiner Schau dense cloud verwandelte Torben Wessel Mitte Juli den VIS-Raum in eine Nebelkammer der Sinne. Er verschnitt ein Wandgemälde aus per Laser getoasteten Tramezzinischeiben mit einer von ASMR-Tönen untermalten 3-D-Animation zu einer Art Kritik der digitalen Ökonomisierung von Empfindungen. Im August beschwört der Norweger Marius Engh das tschechische Jáchymov herauf, das durch Silber- und Uranabbau mit der Geschichte des Geldes wie der Kriege verbandelt ist. Engh bestückt die Schau aus dem Koffer, den er von einer Recherchereise mitbringt. Ende August performt Barbara Kapusta ihr Stück We Make the Place by Playing und erkundet mit Sprechblasen, wie sich Raum konstituiert.
VIS steht für Kunst, die Gesellschaft reflektiert, ohne sich auf ökonomische oder politische Effizienz zu verpflichten. So ist ein echter Frei-Raum entstanden am südlichen Ende der Kunstmeile: Wer von den Deichtorhallen den Radweg entlang des Oberhafens nimmt, ist in nur zehn Minuten da.
Text: Karin Schulze
Foto: Fred Dott
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2018. Das Magazin ist seit dem 28. Juli 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!
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