SZENE HAMBURG: Claudi, Dezember 2023 haben wir ein Interview zum Ende an der Sternbrücke geführt. Was vermisst du am meisten?
Claudia Mohr: Das scheppernde, rollende, krachend-lärmende ewig lange Ratatatatat der Züge, die über deinem Kopf hinwegrollen, während du krankhaft versuchst, die gleiche Sprachaufnahme das zehnte Mal einzusprechen, aber immer wieder noch ein Waggon kommt. Die Ratten, die dich langsam vorbei schlurfend morgens nach der Veranstaltung um tausend Uhr bei der Abrechnung mit einem dezenten Kopfnicken begrüßen, du aber zu fertig bist und nur lethargisch mit dem Zeigefinger auf deinen Fischerhut klopfst, den du aufhast, weil es wieder mal einen Wassereinbruch horizontal im Techniklager gegeben hat.
Die kurzfristigen DJ-Absagen zehn Minuten nach ihrer eigentlichen Set-Time oder die Mitarbeitis, die nicht da sind, da sie sich an einem Kracher-pickepackevollen-Feiertag mit Magen-Darm beim gemeinsamen Kuschel-Muschel-After-Filme-Abend gegenseitig angesteckt haben und deshalb die halbe Crew ausfällt und man ASAP Leute akquiriert, die das letzte Mal mit dir vor 15 Jahren hinterm Tresen standen und es da auch schon nicht konnten. Oder die Stelle, die du das achtunddreißigtausendste Mal mit Schimmel-Ex behandelst – jede Woche (lacht).
Es war also auch eine Befreiung?
Im Ernst, nein! Ich vermisse alles. Die Musik, die Bau-Family, die Menschen, die eine Minute nach Mitternacht so energisch die Tanzfläche entern, als gäbe es kein Morgen mehr, die Crowd, die vorm Pressure schon eine halbe Stunde vor Öffnung des Floors ungeduldig mit den Rave-Hüftlein scharrt. Die Leute, die ihr Spiegelbild höflich bei der Garderobe vorlassen wollen, die ganzen Artists von überall, mit ihrem aberwitzigsten Raver-Garn, von dem sie im Office farbenfroh und mit 109 Dezibel zu erzählen wissen – ich vermisse einfach alles!
Du sagtest damals, es wird eine Exil-Lösung geben …
An der Exil-Lösung basteln wir seitdem und ehrlich gesagt habe ich auf dem Weg den Glauben daran, dass wir noch mal an die Brücke zurückdürfen, verloren. Das Gebäude, welches unser Architekt komplett fertig entworfen hatte und die Lawaetz-Stiftung, die das ganze Projekt mit uns realisieren wollte, es war alles fertig. Es stand nur die Frage im Raum, wer der Bauherr wird. Der Bezirk wollte nicht, die Lawaetz nicht. Tja, das war’s dann. Bewegung sehe ich im Moment keine, aber die Hoffnung schwindet bekanntlich zuletzt. Vielleicht dürfen wir ja in unserer Zwischenlösung bleiben, das wäre für uns natürlich großartig, dann würde all die Energie und seien wir ehrlich, ziemlich viel monetäre Ressourcen, die dort in diesen wundervollen Ort fließen, auch wirklich nachhaltig sein. Wir wären mehr als happy.
Eröffnung noch 2024?
Wir dürfen es verraten: Dieser neue Ort ist auf dem Thyssen-Krupp-Gelände am Diebsteich. Wie ist der Stand der Dinge?
Jupp … Dit isser. Wir werkeln nun seit Beginn des Jahres und haben nun wirklich alles, was man unter „Rückbau“ verbuchen kann, getan. Nun haben wir tatsächlich endlich die Baugenehmigung erhalten, fehlt nur noch das von der Stadt versprochene Geld, um die städtische Immobilie auf den jüngsten Stand der Sicherheitsvorschriften zu bringen, dann kann alles rucki, zucki losgehen.
Um welche Räumlichkeiten geht es genau?
Wir sind im alten Verwaltungsgebäude auf dem unteren Souterrain und ersten Stockwerk. Die Aufteilung innen ist noch ein Geheimnis, schließlich soll es doch noch den großen Überraschungseffekt geben, wenn die Leute das erste Mal die neuen Hallen betreten.
Wenn nicht bald das Geld von der Stadt kommt, weiß ich nicht, was wir machen sollen
Claudia Mohr
Wann ist es so weit?
Sobald die Gelder da sind, können wir loslegen. So viele Menschen, Handwerker:innen, Artists, Graffiti und grafische Künstler:innen, Gestalter:innen und Helping Hands stecken in den Startlöchern, um endlich loszulegen. Bloß bevor nicht die Lüftung und die Brandschutzmauern stehen, der eigentliche Zugang vom Tiefbauer hergerichtet und alle Fenster für den Schallschutz vermauert sind, macht es wenig Sinn, sich an die Raumgestaltung, Deko, Sounddesign, Einrichtung und Fun-Projects zu machen. Wir warten quasi täglich auf das Geld, um endlich, endlich loslegen zu können. Wenn jetzt alle Zahnräder perfekt ineinandergreifen: noch dieses Jahr. Ich hoffe es so sehr!
Wie lange kann ein geschlossener Club überleben?
Ich habe all mein privat Erspartes in den Erhalt der drei Arbeitsplätze, die noch geblieben sind, gesteckt, aber nun sind auch diese Ressourcen erschöpft. Wenn nicht bald das Geld von der Stadt kommt, weiß ich nicht, was wir machen sollen.
Weiter ohne „Waagenbau“?
Warum seid ihr nicht mit an die Kasematten an den Deichtorhallen gezogen. Fundbureau und Beat-Boutique haben mittlerweile geöffnet …
Wir wollten auf jeden Fall im Viertel bleiben und ich wollte so gerne endlich eine Location, in der man auch leise kulturelle Dinge tun kann, wie Mensch mit Gitarre, Spoken Words, Kiddy-Zeug und so weiter. Letztendlich wären wir in den Deichtorkasematten-Gemäuern wieder mit einigen Widrigkeiten konfrontiert, mit denen wir uns die letzten 20 Jahre rumgeschlagen haben. Ich bin mit unserer jetzigen Lösung mega happy.
Es wird sich einiges ändern, sowohl konzeptionell als auch crewmäßig
Claudia Mohr
Willst du eigentlich unter dem Label Waagenbau weitermachen?
Darüber habe ich in den letzten Monaten viel nachgedacht. Es gab einige dramatische Wendungen, die vor allem mich privat getroffen haben, aber somit eben auch den Waagenbau, sodass ich eigentlich gerne mit den alten Steinen auch die alte Geschichte hinter mir lassen wollte. Da gehört der Name Waagenbau natürlich unweigerlich dazu. Ich bin nun seit knapp zehn Jahren die geschäftsführende Hauptgesellschafterin und habe den Waagenbau mit meinem großartigen Team zu dem gemacht, was er das letzte Jahrzehnt war, ein Technotempel. Nun ist es vielleicht Zeit, etwas komplett Neues zu kreieren, auch namentlich. Aber das letzte Wort ist noch nicht gefallen, mein Team und ich brainstormen seit knapp elf Monaten herrlich bekloppt vor uns hin.
Perspektive bis Ende 2026 – ohne die „Astra-Stuben-Gang“
Also ein kompletter Neustart?
Es wird sich einiges ändern, sowohl konzeptionell als auch crewmäßig. Aber es wird auch einiges beim gut bewährten Alten bleiben. Ihr werdet viele Gesichter wiedersehen und ich werde auch weiterhin das Booking selber machen, natürlich auch wieder mit Unterstützung von meinen Liebsten „Youngstern“ Nicky9000 aka Sabura und Jules aka Hans Hammer. Mir juckt es jetzt schon unter den Nägeln und meine Listen, wen wir alles einladen müssen, werden immer länger.
Ich habe die Leerlaufzeit sinnvoll genutzt, um so viele Festivals, Events und Partys zu besuchen, wie es nur ging. Und bin wirklich beeindruckt, was meine Kolleg:innen alles auf die Beine gestellt haben, was ich endlich mal wieder aus der Gastsicht bewundern durfte. Chapeau und Fischerhut ab. Vor allem mein neues Wohnzimmer, Wahlheimat und Herzens-Wahlverwandtschaft Südi (Anm. d. Red.: Südpol), hat ein fantastisches Booking und gibt sich in allem so unfassbar Mühe, eine Zauberwelt zu kreieren, die uns alle unseren Alltag vergessen lässt. Ich liebe euch. Aber auch das Moyn war ein echtes Highlight, vor allem Felix aka Laxberger, der dort einen unfassbaren Job macht. Love it. Thanks for having me.
Wie steht es um eure ehemalige Nachbarin, die Astra Stube. Wird diese auch mit an den Diebsteich ziehen?
Die Astra-Stuben-Gang hat sich leider dagegen entschieden, mit uns mitzuziehen. Vor allem aus finanzieller Sicht. Das bekommen wir ja nun selber hautnah zu spüren, was Existenzängste sind.
Die Stadt hat gerade einen Diebsteich-Rahmenplan beschlossen, unter anderem mit neuem Regionalliga-Stadion und Musikhalle. Wie beeinflusst das eure Zukunft?
Ähnlich wie damals mit Brückenplanung bei der Venue unter der Sternbrücke: Wenn es diese Pläne nicht gäbe, hätten wir dort niemals eine Zwischennutzung bekommen. Wir hoffen, dass wir eine ähnliche Dauer der Zwischennutzung bekommen, wie die an der Sternbrücke. Aber erst mal geht unser Mietvertrag bis 31. Dezember 2026, mal schauen, wie es dann weitergeht.