SZENE HAMBURG: Nicolette Krebitz, du standest, wenn mich nicht alles täuscht, das erste Mal 1984 für „Sigi, der Straßenfeger“ vor der Kamera, hast also letztes Jahr dein 40-jähriges Schauspieljubiläum gefeiert …
Nicolette Krebitz: Da muss ich gleich einhaken, denn das stimmt nicht ganz. Mein erster Film hieß „Tina, Verena und M.“ (heute häufig geführt unter dem Titel „Ich wette, es wird ein Junge“; Anm. d. Red.) von Rudi Bergmann und Caspar Harlan – das war ein Spielfilm, der vom SFB produziert wurde. Das war 1983. Als ich den gedreht habe, war ich in der 5. Klasse.
Das ist also bereits 42 Jahre her. Was geht in dir vor, wenn Leute wie ich dich darauf ansprechen?
Mir fällt es dann selbst erst auf. Sonst denke ich nicht darüber nach. Ich war eben schon Kinderdarstellerin, wie man früher gesagt hat. Als ich in die 7. Klasse aufs Gymnasium gekommen bin, hat das wieder aufgehört. Da war dann Schule erst mal wichtiger. Ich hatte Schauspielerei aber auch nie als Beruf in Erwägung gezogen.
Sondern?
Als Kind habe ich hauptsächlich getanzt. Jeden Tag nach der Schule. Aber als ich die Schule abgebrochen habe, um eine Tanzausbildung zu machen, kam dann wieder ein Filmangebot.
Nicolette Krebitz blickt auf eine ereignisreiche Karriere zurück
In diesen 42 Jahren hast du logischerweise immens viel gemacht. Gibt es so etwas wie den wichtigsten Film deiner Karriere?
Mein erster Film im halb erwachsenen Alter war „Amok“ von Peter Schulze-Rohr, der seinerzeit Intendant vom Südwestfunk war. Der Film war in den ersten Jahren aber verboten, den hat also niemand gesehen. (lacht) Darin habe ich einen Junkie gespielt und zum ersten Mal kein Mädchen, das eigentlich ich war. Peter Schulze-Rohr war ganz toll, hat unheimlich viel mit mir gearbeitet. Da habe ich ganz viel gelernt und zum ersten Mal auch verstanden, was Filmschauspielerei überhaupt bedeutet. Es gab aber noch andere wichtige Filme für mich.
Welche denn?
Auf jeden Fall „Ausgerechnet Zoé“, weil ich da das erste Mal das Gefühl hatte, dass ich den Film ein bisschen mittrage. Darin habe ich eine HIV-infizierte junge Frau gespielt, und das war damals auch ein bisschen skandalös, weil diese Erkrankung zu dem Zeitpunkt vorwiegend Homosexuellen zugeschrieben und im Milieu verortet wurde. Es lag also eine Art Stigma auf dieser Krankheit. Dadurch habe ich gemerkt, was für einen Einfluss ein Film auch gesellschaftspolitisch haben kann. Und dann kam „Bandits“, der natürlich wichtig war, weil ich den mit meinen Freundinnen zusammen realisiert habe und wir dabei wahnsinnig viel Spaß hatten.
Weil du gerade „Bandits“ ansprichst, der für viele als dein Durchbruchsfilm gilt. Der stammt aus dem Jahr 1997 – eine Zeit, in der „Kino made in Germany“ als Qualitätssiegel galt. Derzeit wird die deutsche Filmbranche eher in einer Krise verortet. Wie beurteilst du die Lage des deutschen Films?
Deutsche Filmemacher:innen haben das europäische Arthaus-Kino oft inspiriert und damit auch weltweit Akzente gesetzt – Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders oder zuletzt die Berliner Schule mit Filmen von Angela Schalenec oder Maren Ade. Der kommerzielle deutsche Film wirkt auf mich aber meistens wie eine nicht so gute Kopie eines amerikanischen Films und in dieser Nachahmung auch irgendwie holprig. Oder wie mein Sohn sagen würde: „cringe“.
Die deutsche Filmbranche in der Krise?
Insbesondere junge Filmemacher abseits des Mainstreams haben im vergangenen Jahr aber tolle Filme ins Kino gebracht wie Chiara Fleischhacker mit „Vena“ oder Fabian Stumm mit „Sad Jokes“. Ist so eine Krise also vielleicht auch eine Chance für eine Erneuerung?
Ich unterrichte ja gerade Spielfilmregie an der Kunsthochschule für Medien in Köln, und da sind unheimlich tolle, intelligente und wahnsinnig begabte Leute, die eine feine Art haben, ihren Ansatz zu finden und zu artikulieren. Insofern gebe ich dir recht: Es gibt immer wieder Aufbruchstimmung – auch hier in Deutschland.
Die Filmbranche hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Wo spürst du das am meisten?
Ich habe bisher noch nie in einer Netflix- oder Amazon-Serie mitgespielt. Da weiß ich gar nicht, wie das ist. Aber bei den Öffentlich-Rechtlichen merkt man schon, dass die unter Druck geraten sind und moderner sein, auch mal andere Formate ausprobieren wollen. Da war ich zum Beispiel in „Testo“ von Kida Ramadan dabei. Heute wird ein Film auch gerne mal in drei Teilen gesendet, was früher nicht so war. Da merkt man: Es verändert sich was.
Was viele nicht (mehr) wissen: Du bist eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, denen mal ein Lied gewidmet wurde: „Nicolette Krebitz wartet“ von Fettes Brot und Tocotronic aus dem Jahr 1998, eine Anders-Interpretation des Songs „Robert De Niro’s Waiting“ von Bananarama. Weißt du noch, wie du damals von dem Lied erfahren hast?
Ich hab das von irgendwem erzählt bekommen, dass es diesen Song gibt und hatte erst ein bisschen Angst. Aber das Lied ist ja total nett und war wie so ein kleiner Flirt in meine Richtung. Und beide Bands finde ich auf ihre Weise toll und bedanke mich an dieser Stelle noch mal sehr.
Nicolette Krebitz über ihren neuen Film „Das Licht“

Darin heißt es unter anderem: „Irgendwas schien heute nicht wie normal/Sie stand an der Bar und erleuchtete das Lokal“ – passt eigentlich total gut zum anstehenden Start von „Das Licht“, deinem neuen Film, gedreht von Tom Tykwer. Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Während der Dreharbeiten von „Testo“ habe ich eine SMS bekommen, dass Tom mich dringend sprechen will. Ich hab erst einen Schreck gekriegt, weil ich dachte, es sei was passiert, aber beim Telefonat hat er mir dann die Rolle angeboten.
Ihr kanntet euch also.
Ja, Tom hat 2001 meinen ersten Film „Jeans“ mit seiner Firma X-Filme ins Kino gebracht, hat dann meinen nächsten Film „Das Herz ist ein dunkler Wald“ produziert und mich als Regisseurin eigentlich immer total unterstützt. Und da ich wahrscheinlich die einzige Schauspielerin Deutschlands bin, die nicht bei „Berlin Babylon“ mitgespielt hat, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass er mich überhaupt als Schauspielerin sieht. Ich war also überrascht und habe für meine Verhältnisse ziemlich schnell zugesagt – und es war eine ganz tolle Zusammenarbeit.
Du hast also ungelesen zugesagt?
Nein, es war einfach ein tolles Buch. Mir war allerdings nicht bewusst, wie schwer meine Rolle zu spielen sein wird. Es gibt fünf Hauptrollen in dem Film und jede Figur ist megakomplex. Ich wollte einerseits, dass Tom uneingeschränkt den Film machen kann, der ihm vorschwebt, andererseits aber auch Widerstände bieten, an denen er seine Sicht vielleicht noch schärfen kann. Das war eine schwierige Position für mich, weil wir eben befreundet sind. Aber es hat ganz gut geklappt, und jetzt kann man sagen: Das ist ein richtiger Tom-Tykwer-Film.
Dieses Interview ist in SZENE HAMBURG 04/2025 erschienen.