Regisseurin Chloé Zhao gewann für den Film „Nomadland“ als zweite Frau überhaupt einen Oscar in der Kategorie „Beste Regie“. Im Gespräch gibt Zhao Einblick in die Entstehung des Films und erklärt, warum sie es vorzog, mit echten Nomaden zu drehen
Text & Interview: Patrick Heidmann
SZENE HAMBURG: Chloé Zhao, „Nomadland“ war zunächst nicht Ihre Idee, sondern die Ihrer Hauptdarstellerin und Produzentin Frances McDormand, nicht wahr?
Chloé Zhao: Das stimmt. Sie hatte sich die Rechte an dem Sachbuch „Nomadland: Surviving America in the 21st Century“ gesichert. Nachdem sie beim Festival in Toronto meinen Film „The Rider“ gesehen hatte, schrieb sie mir eine E-Mail. Ich sah nur ihren Namen und den Titel des Buches und dachte mir – ohne Näheres darüber zu wissen – dass, wenn sich mit jemanden ein solches Projekt umsetzen lässt, dann mit ihr.
Es geht im Buch und im Film um modernde Nomaden, Menschen ohne festen Wohnsitz, die mit ihren Wohnwagen oder Kleinlastern durch die USA ziehen. Waren Sie mit dieser Welt vertraut?
Interessanterweise war ich gerade dabei, mir so einen kleinen Laster auszubauen, als „Nomadland“ meinen Weg kreuzte. Natürlich wusste ich, dass es Menschen gibt, die in ihren Fahrzeugen leben. Aber die Ausmaße waren mir nicht klar, und ich wusste nicht, dass es die Gemeinschaft und Zusammenkünfte solcher Nomaden gibt. Von dieser faszinierenden Welt erfuhr ich erst durch das Buch.
Die jeweilige Welt
Jeder Ihrer Filme spielte bislang in sehr speziellen Milieus. Wonach suchen Sie ihre Geschichten aus?
Tatsächlich ist für mich die jeweilige Welt das wichtigste Kriterium. Ich gehe danach, von welchem Setting ich glaube, dass es mich die nächsten zwei Jahre interessieren wird. Erst an zweiter Stelle kommen für mich die Figuren, in die ich mich auf die eine oder andere Weise verlieben muss. Und danach erst geht es mir um die Geschichte. Entsprechend ist für mich die Kameraarbeit bei meinen Filmen fast noch wichtiger als die Besetzung der Rollen.
Sie haben oft gesagt, dass Sie Ihre Filme nicht als politische Statements verstehen. Kann ein Film überhaupt apolitisch sein, wenn er – wie „Nomadland“ – von weißen, nicht mehr ganz jungen und vor allem eher mittellosen Menschen in jenem Teil der USA erzählt, der in den vergangenen Jahren oft „Trump Country“ genannt wurde?
Es hängt vermutlich von der Perspektive ab, ob und wie man das Gezeigte politisch einordnet. Es liegt am Ende beim Zuschauer, was wie wahrgenommen wird. Was ich aber nach gut acht Jahren, die ich in „Trump Country“ verbracht habe, sagen kann: Politik steht bei den Menschen dort selten weit oben auf der Tagesordnung.
Ach ja?
Die größte Sorge dort ist, wann der nächste Tornado droht oder wie man sich vor einem Buschbrand schützt. Der Versuch zu überleben, stiftet mehr Gemeinschaftssinn in diesen Gegenden als die Frage, für wen der Nachbar bei der Präsidentschaftswahl gestimmt hat.
Tatsächlich geht es mir bei meinen Filmen auch darum: zu zeigen, dass uns als Menschen letztlich viel mehr verbindet als trennt.
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Genähert haben Sie sich dieser Welt der Nomaden auch dieses Mal nicht bloß von außen, sondern eher immersiv …
Stimmt, wir sind über Wochen mit ihnen mitgezogen, haben selbst in unseren Wagen gewohnt und das Leben mit ihnen geteilt. Auch Frances wollte unbedingt so arbeiten, dass sie sich komplett in diese Welt einfügte. Das bedeutete auch, dass sie für eine Weile als Aushilfe auf einem Campingplatz anheuerte.
War von Anfang an klar, dass Sie größtenteils mit realen Menschen statt mit professionellen Schauspielern arbeiten werden?
Ich arbeite gern mit Laien. Als ich zur Vorbereitung all die Menschen traf, von denen die Autorin Jessica Bruder in ihrem Buch erzählte, wusste ich, dass ich mir gar keine besseren Figuren würde ausdenken können.
Mit „The Eternals“ kommt Ende 2021 Ihr nächster Film in die Kinos, eine Marvel-Comic-Verfilmung. Haben Sie damit Ihre Komfortzone verlassen?
Erstaunlicherweise nicht wirklich. Meine Arbeitsweise hat sich eigentlich nicht verändert, selbst wenn das ein Film von einer ganz anderen Größen ordnung ist. Klar, der Druck ist etwas größer, weil mehr Erwartungen dran hängen. Aber als Geschichtenerzählerin und Regisseurin waren meine Aufgaben die gleichen wie immer. Ich habe mich mit einer Welt und Figuren umgeben, die mich fasziniert haben und mir Mitstreiter vor und hinter der Kamera gesucht, mit denen die Arbeit tagein, tagaus eine Freude war.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2021. Das Magazin ist seit dem 26. Juni 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!