OFF THE RADAR: „Wir fangen grade erst an“ 

Nach drei Jahren Pause meldet sich das Stadtfestival OFF THE RADAR zurück: Musikalisch, künstlerisch, dezentral. Gesine Kästner, Bookerin und Teil des Planungsteams, über fortschreitende Bedrohungen der Subkultur, kulturelle Vernetzung und ein spannendes Programm in zahlreichen Kulturorten der Stadt
Die Freaks sind in Ekstase: OTR-Dezentrale am Klosterwall
Die Freaks sind in Ekstase: OTR-Dezentrale am Klosterwall (© OTR)

SZENE HAMBURG: Gesine, bei unserem letzten Interview im Mai 2022 hast du gesagt, Hamburg sei subkulturell ein abgegraster Landstrich. Hat sich daran etwas geändert?

Gesine Kästner: Ja, um genau zu sein wurde es seither noch beschissener. Die Nachwehen der Pandemie sind immer noch übelst krass. Produktions- und Betriebskosten sind gleichzeitig heftigst gestiegen, damit zwangsläufig auch Eintritts- und Getränkepreise. Früheres Stammpublikum kommt nicht wieder so zahlreich und regelmäßig zurück in die Clubs. Dass zusätzlich Gentrifizierung und fragwürdige Stadtplanung die Clubs fast reihenweise in die Knie zwingen, wird dabei auch oft übersehen. Eher werden seelenlose Großveranstaltungen hofiert und bis an die Halskrause durchsubventioniert. Manchmal fällt es schon schwer, dabei nicht depressiv oder zynisch zu werden. Aber es gibt natürlich auch erfreuliche Entwicklungen! Ich bemerke seit einiger Zeit so ein ganz beherztes, mithin auch herrlich naives „Zurück zum DIY“. Da geht mir ja das Herz auf!

In den letzten Jahren ist es ruhiger um OFF THE RADAR (OTR) geworden …

Festivals auf der grünen Wiese mit Camping und Chemietoiletten sind längst nicht mehr die ultimativen, spaßbringenden Cash-Cows, die sie mal waren. Wobei Festivals wie das OTR noch nie satte Überschüsse eingefahren haben. Da geht es immer eher um die „rosa Null“ und ausreichend Energie, Irrsinn und Wahnwitz, das im nächsten Jahr zu wiederholen. Festivals sind massiv zunehmenden und kaum steuerbaren Belastungen ausgesetzt: Seien es schlechte Ticketverkäufe bei extrem gestiegenen Produktionskosten und zahlreiche Konkurrenz, oder seien es Schwierigkeiten, überhaupt ein passendes Gelände zu finden.

Der politisch-gute Zweck: diesmal das Clubsterben selbst 

OTR war immer auch politisch, wie zeigt sich das im Jahr 2025?

OFF THE RADAR-Ultra: Gesine Kästner (©Django Knoth)

Nachdem wir in der Vergangenheit oftmals Projekte der Geflüchtetenhilfe und humanitäre Arbeit unterstützt haben, nehmen wir diesmal unsere eigene Branche in den Fokus. In Hamburg hat das traurige Lied vom Clubsterben ja schon einige Strophen. Daneben – und das ist doch das eigentlich Skandalöse – schreitet eine übelste Durchkommerzialisierung, Megalomanisierung und Monopolisierung voran. Der Hype um Großveranstaltungen kennt kaum moralische Grenzen der Widerlichkeit.

In diesem Jahr findet ihr dezentral statt. Gibt es in Hamburg keine Fläche an einem zentralen Ort?

Es gäbe sie schon. Aber dazu gehört auch, dass es (politisch) gewollt ist. Meine Vermutung ist: Dazu sind wir zu sperrig und zu unbequem. Und vor allem zu unkommerziell. Es geht uns ja nicht um die totale Vermarktung und das absolute Auspressen von Verwertungsketten. Das ist im herkömmlichen Veranstaltungszirkus ja schon die totale Exotik. Ein kleines OTR ist weder etwas, das die Übernachtungen in der Stadt signifikant in die Höhe treibt, noch lässt unser Publikum anderweitig nennenswert viel Geld in der Stadt.

Dass viele Clubs und Läden struggeln und nicht wissen, ob sie nächstes Jahr überhaupt noch einen Geschäftsbetrieb haben, ist keine festivalexklusive Entwicklung

Gesine Kästner

Was müsste sich ändern?

Es ist nicht so, dass wir gar keinen Stein im Brett hätten. Es gibt städtische Schnittstellen, die den Mehrwert von subkulturellem Angebot verstehen. Aber wenn es einmal so ist, dann ist der ganze Apparat dahinter so behäbig, dass man am Ende drüber stolpert. Das Demorave-Bündnis ruft wieder zu einer Großdemo am 30. August auf – zentrale Forderung, die wir absolut unterstützen, ist die Bereitstellung von Flächen für spontane und unkommerzielle Veranstaltungen.

Letzte Rettung: Dezentrales Konzept?

Gibt es noch andere Gründe für die Dezentralität?

Ja, ziemlich viele: Es liegt uns daran, uns zu vernetzen und mit ähnlichen Problemen vereint zu positionieren. Dass massiv weniger Leute kommen, ist ja nicht nur unsere Beobachtung. Dass viele Clubs und Läden struggeln und nicht wissen, ob sie nächstes Jahr überhaupt noch einen Geschäftsbetrieb haben, ist keine festivalexklusive Entwicklung. Es betrifft das gesamte Veranstaltungsbusiness. Und da ist es übrigens auch egal, ob bis zum gebrandeten Klopapier durchkommerzialisiert, oder subkulturell wirtschaftend. Dass diese Clubs nicht alleine sind, darum geht es uns seit Anfang an. Das dezentrale Konzept ermöglicht auch eine ganz andere Ausbreitung auf fast die ganze Stadt. Und damit auch noch mehr musikalische und künstlerische Genres und Vielfalt. Auch infrastrukturell ist es natürlich viel einfacher als ein Festival auf dem platten Land.

Welche Locations sind dabei?

3001 Kino, Beatboutique, Egalbar, Freiheit & Roosen, Gartenkunstnetz, Gängeviertel, Golden Pudel, Hafenklang, Hochwasserbassin, Kachelraum, Markthalle, MS Stubnitz, Obst & Gemüse, Slot.

Die Nachwehen der Pandemie sind immer noch krass

Gesine Kästner

Ihr erschließt auch neue Orte …

Neben einigen Locations, die bisher nicht explizit als Orte der Kulturversammlung und/oder der kollektiven Ekstase in Erscheinung getreten sind, haben wir eine heftige Off-Location aufgetan: Unsere Dezentrale am Klosterwall unter der Markthalle. Leider können wir sie nun doch nicht in dem geplanten Umfang bespielen, aber machen das Beste draus und zeigen dort einiges an erlesener Kunst inklusive eines vorübergehenden Gastspiels der ehemaligen Egal Bar.

Was war das Problem?

Wir sind über den Elbkulturfonds gefördert und konnten damit unsere Planungen auf stabilem Fundament angehen. Insbesondere mit der Kulturbehörde haben wir gute Erfahrungen gemacht und sind im guten Austausch. Auch die Sprinkenhof GmbH als städtische Vermieterin war mehrheitlich sehr zuvorkommend. Als sehr unschön und unsere Planungen letzten Endes praktisch auf der Zielgeraden kreuzend hat sich dann aber die interbehördliche Zusammenarbeit erwiesen: Wir mussten einen Nutzungsänderungsantrag vorlegen – bisher war der Ort ja ein Verkaufsraum und kein Kulturbetrieb. Es fehlte uns letztlich an Geld und ausreichend Zeit, den äußerst umfangreichen Anforderungskatalog fristgerecht nachzureichen. Ich möchte betonen: Die machen auch nur ihre Arbeit. Und die machen sie gewissenhaft. Das ist ja auch beruhigend. In unserem Fall aber eben auch nicht bar an Aberwitz: Wenn man ein Schallschutzgutachten vorlegen soll für eine Halle, die auf der einen Seite von rund 15 Gleisen begrenzt ist, auf der anderen eine achtspurige Straße und obendrüber eine der lautesten Konzerthallen der Stadt hat und keine Anwohner:innen.

Welche Musikrichtungen erwartet Menschen, die euch noch nicht kennen?

Bassmusik, Breakbeat, Footwork, Jungle, Experimentelles und Nischiges, Punk, Garage, Rrrriot Girl, Rap/Live MCs, HipHop, UK Bass und Hardcore, Ghettotech, Gabba, Rave, Kraut- und Progrock, Live nerdism, Jazz und Multiintrumentalism, Acid House.

Kannst du ein paar deiner Line-up-Highlights nennen?

Als Bookerin empfehle ich die ALL FLINTA Soirée am Freitag. Als OTR-Ultra empfehle ich The Bug & Warrior Queen. Und als leidenschaftliche Konzertmaus komme ich nicht ohne Ausgehempfehlung für das große Finale aus. Die Füße tanz ich mir zwischen Slot, Kachelraum und Pudel wund. Ein paar Viertagespässe gibt es noch. Würde sagen, dass das eine alles in allem extrem lohnenswerte Investition ist.

Euer Fokus liegt nicht nur auf Musik. Wie macht sich das bemerkbar?

Wir haben den Kunstverein St. Pauli am Start: Die heißesten Trüffelschweinchen der Stadt für exklusive, multiperspektivische und visionäre Kunstpräsentation. Auch sind sie Spezialist:innen des Kunsterlebens außerhalb von „traditionellen“ Galerieräumen. Außerdem entstehen mit der OTR-exklusiven Ausstellung GETARNT in der Galerie Oel-Früh und in der Dezentrale vorübergehende Hotspots zur in Anwendung kommender Kunst dieser Tage. Am Freitag und Samstag haben wir zudem mit TAM TAM SPAZIERGÄNGE Profis für kollektiven Unfug im öffentlichen Raum am Start. Auf zwei Routen wird die Stadt neu entdeckt und es bieten sich Spektakel an Orten, die gemeinhin alles andere als spektakulär gelten. Im 3001 Kino gibt es Live-Hörspiel und Lesung und DIESELKARAOKE am Hochwasserbassin.

Wie können sich Besuchende orientieren?

Wir haben unsere Website komplett überarbeitet und bieten jetzt ein browserbasiertes Appsystem an. Das heißt, unser Publikum kann darüber ein persönliches Festivalprogramm kuratieren. Die pseudonymisierten „Likes“ geben uns darüber Auskunft, bei welchen Veranstaltungen mit viel Andrang zu rechnen ist. Füttern alle Besucher:innen fleißig ihre eigenen Timetables, können wir relativ genau Auslastungen und eventuelle Wartezeiten vorhersagen und sie im personalisierten Bereich ankündigen.

Plant ihr das Stadtfestival auch im nächsten Jahr?

Also ich formuliere es mal vorsichtig so: Wir sind heiß. Wir haben Bock. Wir fangen gerade erst an.

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