SZENE HAMBURG: Nika, Felix und Florian, ihr feiert bereits eure fünfte Ausgabe. Wie ist Papiripar entstanden?
Felix: Papiripar, als quasi-palindromischer Propeller, wurde 2018 von Florian und mir gegründet. Zwar gab es damals in Hamburg schon einige interessante Festivals aktueller Musik, aber keines, das experimentelle (Pop-)Musik mit anderen Disziplinen in den Ring warf und auf unsere eingeschlafenen Füße trat. Insofern ist Papiripar aus einer Leerstelle entstanden, aus dem Wunsch, ein Festival zu machen, das es so bisher nicht gab und sowohl uns als auch das Publikum irritiert und überrascht. Denn gerade die Grauzonen von Kunst, Musik und Performance sollte unser Festival ausleuchten. Seit 2019 sind wir zu dritt – Nika hatte im Jahr 2018 das kongeniale Festival Eruption im Golden Pudel Club initiiert, woraufhin wir sie ins Papiripar-Kuratorium einluden. Seitdem sind wir drei Sonnen.
Neben Kunst und Pop setzt ihr die Schlagworte Rotation und Schallgeschwindigkeit. Was rotiert, wer rast?
Nika: Um es mit Hans Richter zu sagen: „Alles dreht sich, alles bewegt sich“! Es rasen die Herzschrittmacher!
Was genau heißt Papiripar?
Florian: Papiripar kommt vom ungarischen Papíripar, was so viel bedeutet wie Papier-Industrie. Der Name sollte vor allem die Gedanken beschleunigen und positive Verwirrung stiften. Jedoch ist das Wort nur ein halbes Palindrom, denn wenn man es von hinten nach vorn liest, bekommt man lediglich: Rapirípap.
Vergangene Papiripar-Festivals: Spektakuläre Überraschungen ohne Vorwarnung
An welche Ereignisse müsst ihr direkt zurückdenken, wenn ihr auf die letzten Ausgaben blickt?
Nika: An Jean-Hervé Peron von der Band Faust, der aus dem Nichts erschien und im Publikumsraum plötzlich im Funkenhagel Stahlfässer zerflexte!
Felix: The Modern Institute, die im satten Licht einer orangenen Brom-Lampe einen riesigen goldenen Wurm über dem Publikum flattern ließen.
Florian: An Victoria Shen, die ihre Performance mit einem lauten Peitschen-Hieb beendete, dem die Zuschauer:innen nur knapp entgehen konnten. Alles passierte ohne jegliche Vorwarnung!
Alles dreht sich, alles bewegt sich – Es rasen die Herzschrittmacher!
Nika Son
Wo seid ihr in der Hamburger Szene sonst aktiv, und werdet ihr euch künstlerisch ins Festival einbringen?
Nika: Musikalisch untermauern wir am letzten Festivalabend den großen Abriss. Florian: Felix ist als Musiker, Komponist und Hörspielmacher unterwegs. Er betreibt das Plattenlabel Gagarin Records. Nika ist Musikerin, Künstlerin, DJ und Kuratorin der Reihen Next Time und Noctui im Golden Pudel Club. Und ich arbeite als (Klang-)Künstler, Filmvorführer, Performer und Kurator.
Wer steht noch hinter Papiripar?
Nika: Ein extrem tolles und wuseliges Team, mit dem wir seit vielen Jahren arbeiten, und ohne das unser Festival undenkbar wäre. Die meisten sind Freund:innen aus dem Hamburger Kunst-Untergrund und schon seit vielen Jahren Teil von Papiripar! Seit Beginn an ist das Westwerk als eines der ältesten und renommiertesten Atelierhäuser Hamburgs Zentrum und Landestation. Hier findet immer die Ausstellung statt, die von einer Gruppe Bildender Künstler:innen, die wir einladen, kuratiert wird. In der Regel sind die sehr soundaffin und auch selbst Veranstalter:innen oder Herausgeber:innen von Publikationen wie Büchern, Filmen, Tonträgern. Die meisten Konzerte veranstalten wir aber mittlerweile an wechselnden Orten, weil wir zum einen immer neue Zusammenhänge schaffen wollen, zum anderen das Westwerk mittlerweile für den Publikumsandrang zu klein geworden ist.
Welche weiteren Spielorte gibt es?
Felix: In diesem Jahr wandeln wir zwischen dem Hafenklang und der Laeiszhalle, dem Mineralogischen Museum und dem Fleetstreet Theater. Das gezielte Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Spielorten und Programmpunkten ist bei uns Konzept. Wir haben auch schon multiphonische Konzerte in Hinterhöfen mit Beschallung aus Wohnungsfenstern und Objektzerstörungen in einer ehemaligen Kfz-Werkstatt veranstaltet, die live in London und Paris via Internetradio ausgestrahlt wurden.
Florian: Im Metropolis Kino zeigen wir dieses Mal in Kooperation mit der dokumentarfilmwoche hamburg das Kurzfilmprogramm „DER KLANG, DIE WELT…“ kuratiert vom schottischen Künstler und Filmemacher Luke Fowler. Zum Grand Finale spielen in der Kleinen Laeiszhalle der international hochgeschätzte Hamburger Elektronikmusiker Asmus Tietchens und das legendäre Schlagzeug-Ensemble Les Percussions de Strasbourg zusammen mit dem Ton-Wizzard Anthony Laguerre.

Ein großer Gewinn: Der große Altersunterschied bringt unterschiedliche Sozialisationen mit sich
Wie entsteht dieses Line-up, und ergeben sich Schwierigkeiten durch die Dreifach-Kuration?
Nika: Zu dritt zu sein sowie aus verschiedenen künstlerischen Bereichen und Generationen zu kommen – wir liegen alle zehn Jahre auseinander und haben dadurch unterschiedliche Sozialisationen –, hat den großen Vorteil, dass Facetten-Augen und -Ohren mehr sehen und hören: Wir berichten uns tagtäglich von Konzerten, Performances und Ausstellungen, die uns begeistert haben, tauschen neue Tonträger aus, auch eigene Produktionen. Dann destillieren wir in unzähligen Stunden aus diesem Sammelsurium ein Programm, das möglichst vielseitig und überraschend ist. Manchmal fühlt es sich an, als würden wir gemeinsam an einer übergroßen Plastik schnitzen.
Was würdet ihr noch programmatisch hervorheben?
Felix: Ein besonderer Fokus liegt in diesem Jahr auf der britischen Musikerin, Erfinderin, Klang-Pionierin und Gründerin des BBC Radiophonic Workshop Daphne Oram, die im Dezember 100 Jahre alt geworden wäre. Angelehnt an Orams bahnbrechende Erfindung „Oramics“, eine Maschine, die auf transluzenten Film getuschte Zeichnungen in Klang wandelt, haben wir unsere geladenen Gäste aufgefordert, sich von diesem Instrument und ihrem einzigartigen Werk inspirieren zu lassen.
Florian: Die Ausstellung von Luke Fowler und Ryoko Akama nimmt direkten Bezug auf das Werk Orams – das Duo lässt ihre Stimmen- und Lichtgestalt im Westwerk aufflackern. Außerdem freuen wir uns auf die Zusammenarbeit der Brüsseler Akkordeonistin Suzan Peeters und der Tonband-Künstlerin Augustė Vickunaitė, sowie auf Agnès Pe aus Barcelona, die eine Komposition von Oram neu interpretieren wird.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Zwei Uraufführungen beim Papiripar 2025
Es soll auch Uraufführungen geben?
Nika: Während des Festivals werden zwei Werke uraufgeführt: Freitag und Samstag präsentieren Yôko Higashi, Lionel Marchetti und Pit Przygodda im Fleetstreet Theater das Stück „J Orbit — g…“, eine von uns angeregte Kollaboration zwischen einer Butoh-Tänzerin, einer Musique concréte-Koryphäe und einem Licht-Ton-Synthesizer-Erfinder. Am Sonntag senden Mark Schröppel und Deniz Khan ihr mineralisches Sci-Fi-Hörstück „SHTOY“ aus dem Mineralogischen Museum in der Grindelallee in den Äther. Das kann man sich dann ebenfalls im Fleetstreet Theater live anhören.
Wie verbindet sich Papiripar in diesem Jahr mit dem Nachtleben?
Felix: In unserer pandemie-bedingten Radio-Ausgabe des Festivals hatten wir 2021 dem Ende der Nacht in Form einer Schallplatte gehuldigt. Nun ist die Nacht zurück und wir huldigen ihr unter anderem mit Auftritten von Istari Lasterfahrer und Junus aus Hamburg, Jana Rush aus Chicago, Loto Retina aus Brüssel und Ece Özel aus Istanbul.
Warum findet eurer Festival nicht jährlich statt?
Nika: Ein viertägiges Festival zu organisieren, kratzt schon am Nervenkostüm, vor allem, wenn man selbst versucht, von nicht-kommerzieller Kunst zu leben und dafür seine ganze Zeit aufbringen muss. Darum haben wir uns entschieden, eine Biennale zu sein. Wir sind auch weniger am Festivalbetrieb und dem Abgrasen aktueller Trends interessiert als an ungewöhnlichen Aufführungsformaten und kuratorischen Einfällen. Auf unseren Reisen durchs Hinterland der Weltentzückung stolpern wir manchmal über Gedankenreste und Schnapsideen für die kommenden Ausgaben des Festivals.