Reeperbahn-Festival 2017: „Schreib‘ für dich. Nicht für den Erfolg.“

Luisa Reeperbahn Festival
Singer/Songwriterin mit elektronischen Einflüssen: Beim Reeperbahn Festival wird Lúisa alleine performen. Foto: REM

Die Hamburger Singer/Songwriterin Lùisa wird im Programm des Reeperbahn Festivals 2017 als eines der musikalischen Talente dieser Stadt angekündigt. Die Künstlerin ist auf der Schwelle zum Durchbruch. Uns hat sie im Interview verraten, wie Ihre musikalische Vision aussieht. Und warum Frauen auf der Bühne es auch heute noch schwer haben, sich durchzusetzen

/Interview & Beitragsbild: Regine Marxen

Lùisa, wenn man über dich und deine Musik recherchiert, stößt man immer wieder auf Vergleiche mit bekannten Künstlern wie beispielsweise José Gonzáles. Kannst du mit Vergleichen wie diesen leben?

Ich denke, Vergleiche zu machen ist etwas ganz Natürliches. Du hörst oder siehst etwas und versuchst es abzugleichen. Und gerade was José Gonzáles anbelangt, kann ich sagen, dass er mich sehr beeinflusst hat was das Gitarrenspiel angeht. Das ist für mich in Ordnung. Man baut sich einen eigenen Stil auf, aber die Menschen brauchen eben Vergleiche, um es einzuordnen.

Dabei verwebst du ja unterschiedliche Genres in deiner Musik, bist also nicht nur in einer Schublade zuhause, oder?

Stimmt. Man selber ist schließlich auch unterschiedlichen Einflüssen unterworfen in seiner Musik. Ich kam aus der Singer/Songwriter-Ecke und dem Folk-Bereich. Aber mittlerweile ist meine Musik elektronischer geworden, geht auch in die Indie-Dream-Pop-Ecke hinein. Da habe ich Einflüsse wie Beach House zu zitieren. Oder Feist. Ich habe immer sehr, sehr viel unterschiedliche Musik gehört. Auch solche Sache wie The Field oder Moderat, also sehr elektronische Musik. Das bündelt sich ein bisschen und heraus kommt ein eigener Stil.

Seit wann machst du Musik? Wie bist du zur Musik gekommen?

Mit neun oder zehn habe ich Klavierstunden genommen, bin dann schnell zur Gitarre gestapft.

Hat dich da jemand in diese Richtung gelotst?

Mein Bruder hat auch Gitarre gespielt. Das hat mich sehr beeinflusst. Und die Musik, die ich damals hörte, war sehr gitarrenlastig. Ich habe dann mit 15 Jahren in einer Punk-Band gesungen. Und mit 17 begann ich, mit meiner Akustik-Gitarre meine eigenen Songs zu spielen.

Deine Stimme ist sehr prägnant, überraschend rauchig. Als ich mich in deine Musik hineinhörte, war ich zuerst überrascht, was für eine Stimme aus dieser zierlichen Person kommt. Hörst du das öfter?

Ich habe das schon als Kind gehört (lacht). Schon als ich fünf war. Ich war ein kleines, blondes Mädchen, hatte aber eine Lache, als hätte ich morgens fünf Flaschen Whiskey getrunken. Das war auch immer Teil von mir. Diese Diskrepanz zwischen der Optik und meiner Stimme. Aber das sagt natürlich auch viel über die Stereotypen aus, die in unserer Gesellschaft verankert sind. Eine kleine blonde Frau mit dunkler Stimme, das passt erst Mal nicht. Aber ich finde es eigentlich ganz schön, dieses Klischee zu brechen.

Kann sich prügeln: Lúisa hat zwei größere Brüder. Da lernt man, sich durchzusetzen. /Foto: Marie Hochhaus

Du hast als Solo-Künstlerin angefangen, inzwischen spielst du aber auch teilweise mit Band, oder?

Sowohl als auch. Ich arbeite viel mit Loops und Samples, nehme es selber auf, spiele Synths und Drums selber live ein. So, mit dem elektronischen Setup, werde ich auch auf dem Reeperbahn Festival performen. Manchmal spiele ich aber auch mit Band, mit einem Drummer und Basser, die das spielen, was ich sonst alleine mache. Je nach Bühne und Laune.

Du hast bereits mit einigen größeren Acts gespielt. Enno Bunger oder Lindi Ortega, zum Beispiel. Gibt es Auftritte, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Ja, gerade das letzte Jahr war geprägt von größeren Bands. Ich habe Paper Kites auf ihrer Europa Tournee begleiten dürfen. Das ist immer total toll, wenn man bekannte Bands supporten kann und sich neues Publikum erschließt. Man setzt sich sozusagen an den gedeckten Tisch. Und man lernt von den Künstlern, die ja schon einen Schritt weiter sind. Ich war auch mit Cäthe auf Tour, eine tolle Performerin. Wir haben uns großartig verstanden und auch viel darüber gesprochen, wie es ist, als Frau zu touren und auf der Bühne zu stehen. Das ist schön, zu erleben, dass Verbindungen entstehen, die über die Musik hinausgehen.

Bist Du ein Tourmensch?

Ja, total. Ich habe schon gemerkt, dass ich einen Cut für mich mache muss, wenn ich auf Tour war und mich dann auch zurückziehen muss. Es ist für mich wichtig, wenn ich wieder schreibe, was dieses Jahr der Fall ist, das Vagabundenleben zur Seite zu lassen und mich nach Innen fokussieren. Beides, schreiben und touren geht nicht. Aber wenn ich auf Tour bin, bin ich immer total glücklich. Klar ist es auch anstrengend, aber auf eine Weise, die belebend ist.

Was genau macht dich glücklich beim Touren?

Mit Cäthe waren wir im Nightliner unterwegs. Das ist dann wie eine Zirkusproduktion. Du stehst morgens auf, besorgst dir ein Frühstück, ohne zu wissen, wo, weil du wieder in einer fremden Stadt bist und auch gar nicht so genau weißt, wie du da hingekommen bist. Dann bereitet man alles vor, schleppt die Kisten. Ich mag auch dieses Körperliche, diesen Einsatz, den man bringen muss. Und komplett ausgelastet zu sein. Das ist ein Leben, das mir sehr zusagt. Mich nicht in einem Alltag zu befinden, wo ich mich ein bisschen eingesperrt fühle. Und sehr in dem Moment zu leben. Den einen Tag übernachtest du in einem tollen Hotel, am nächsten auf einer verlausten Matratze. Das gehört dazu. Das liebe ich.

Stichwort Hier & Jetzt: Hast du manchmal Zukunftsängste?

Auf Tour nicht. Da lebe ich im Moment. Das ist besonders. Wenn man in einer Routine, an einem Ort, lebt, ist man aber oft nicht so empfänglich für die schönen Momente und die Einzigartigkeit des Tages an sich. Wenn ich also hier in Hamburg in meiner Wohnung in Eimsbüttel bin, dann kommen mir schon Gedanken wie ‚Wie mache ich es nächsten Monat?’ Dann ist viel mehr Planung angesagt. Zukunftsängste kann ich nachvollziehen, diese Sehnsucht nach Sicherheit, aber ich zersetze das in der Reflektion, und lasse das nicht so krass an mich ran. Es ist gar nichts sicher im Leben. Alles ist in Auflösung, vergänglich. Mein Album ‚Never own’ hat genau diesen Ansatz. Man kann nichts festhalten. Nichts besitzen.

„Ich möchte das die ganze Zeit machen. Als Frau. Auf Augenhöhe.“

Aber dein Leben hat feste Säulen, oder? Dinge oder Menschen, die bleiben?

Die größte Säule ist die Musik. Bei mir hat sich immer sehr, sehr viel verändert, aber die Musik war immer da. Und natürlich Familie und Freunde. Das merke ich immer mehr. Wie wichtig diese feste Gruppe ist, mit der man durchs Leben geht. Aus der man sich auch mal rausnehmen kann, aber, wenn man fällt, dort immer ein Netz findet. Diese langfristigen Verbindungen spenden Kraft.

Wie gehst du mit kritischen Stimmen um? Musik ist ja eine sehr intime Geschichte.

Ich bin selber ein sehr kritischer Mensch und finde konstruktive Kritik auch wichtig für meine Musik. Nur so entwickelt man sich weiter. Aus der Reflektion heraus. Aber Kritik muss eben Inhalt haben, konkret sein. Damit kann ich dann arbeiten. Aber: Ich mache ja relativ viel selber auf der Bühne, mit dem elektronischen Aufbau. Und ich merke, dass es immer noch ein großes Thema ist, wenn eine Frau eine größere Eigenständigkeit hat. Den Laden auf der Bühne alleine schmeißt. Manche Kritik muss man mit Vorsicht genießen, weil ich das Gefühl habe, dass einige Männer nur ein bisschen Mansplaining betreiben wollen.

Mansplaining. Gutes Stichwort, zumal du ja schon andeutetest, dass das Thema weibliche Künstler im Musikbusiness auch auf der Tour mit Cäthe von euch diskutiert wurde. In Hamburg hat sich in diesem Jahr das Netzwerk musicHHwomen – art.business.media gegründet. Was hältst du davon?

Das letzte Treffen war doch vergangenen Sonntag. Ich war auch dort. Eine gute Sache! Ich merke immer wieder, dass der Support um einen herum oftmals männlich dominiert ist. Wenn es um Tour-Organisation geht, oder du eine Schlagzeugerin suchst. Oder du eine Gruppe von Frauen suchst, die mal zusammen jammt. Das ist schwierig. Eines der Anliegen von musicHHwomen ist, eine Datenbank zu erstellen, damit sich Künstlerinnen schneller und einfacher verbinden können. Ich finde, ein Netzwerk wie dieses ist ein Empowering, stärkt das Selbstbewusstsein. Man eiert nicht alleine rum, sondern es gibt eben viel mehr von uns. Das ist total wertvoll, sich mit den anderen zu verbinden. Man betrachte nur die Zahlen: Unter elf Prozent der Frauen auf der Bühne tragen ihre eigenen Kompositionen vor.

Da ist noch Luft nach oben.

Genau. Ich merke, dass mich dieser Gedanke auch immer mehr beschäftigt, zumal ich nicht mehr in dem Alter bin, indem ich wild auf die Bühne gehen, sondern weiß: Ich möchte das die ganze Zeit machen. Als Frau. Auf Augenhöhe.

Ist deine Optik, klein zierlich, blond, Türöffner oder eher hinderlich und fördert das Schubladen-Denken?

Mich hat das Denken in Stereotypen in Sachen Genderfragen immer gestört; ich glaube, deshalb habe ich so viel an mir gearbeitet. Ich war nie das niedliche Wendy-und-Barbie-Mädchen. Und ich wollte eben nicht nur die niedliche kleine Sängerin sein. Ich möchte noch besser produzieren lernen. Ich möchte die technischen Sachen verstehen. Für mich war das eher ein Ansporn. Ich sehe nicht ein, warum ich auf etwas reduziert werden sollte, was ich nicht bin. Ich denke, das ist auch gerade im Umbruch. Es gibt immer mehr Künstler, die nicht dem Klischee entsprechen.

„Es wäre schön, wenn die Musikszene in Zukunft durchmischter wäre, und die Frage, ob du Frau oder Mann bist, irgendwann egal ist und es nur noch um die Musik geht.“

Nimmst du das wirklich so wahr?

Ja, aber das ist natürlich Szenenabhängig. Ich rede von der Indie-Szene, wenn ich mir kommerziellere Szenen anschaue, ist das anders. Wenn ich darüber nachdenke, was für ein Frauenbild Helene Fischer symbolisiert… Und ich habe das Gefühl, dass Deutschland hinterher hinkt. Die Strukturen sind hier noch eingekrusteter als in England oder Frankreich. Als ich in Paris auftrat, war eine Frau für den Bühnensound verantwortlich, und bei Aufnahmen für eine Life-Session im Studio übernahm eine Frau die Technik. Die Emanzipation in der Musikszene ist in diesen Ländern ein ganzes Stück weiter.

In Deutschland muss man also Ellenbogen zeigen im Business?

Auf jeden Fall. Aber ich bin mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen, ich kann mich prügeln (lacht). Als Künstlerin, die ihre eigenen Kompositionen produziert, hast du noch immer den Exklusivcharakter. Und ich selber bin ja auch mehr von männlichen Künstlern geprägt worden in meiner Entwicklung als von Frauen. Es wäre schön, wenn die Musikszene in Zukunft durchmischter wäre, und die Frage, ob du Frau oder Mann bist, irgendwann egal ist und es nur noch um die Musik geht.

Dein Tipp an die Kolleginnen? Was muss man mitbringen, um sich durchzusetzen als Künstlerin?

Wichtig ist die Gabe, mit Selbstzweifeln umzugehen. Und mit Down Times. Bleibt immer bei der Musik und grenzt euch von der Industrie ab. Schreibt nicht für den Erfolg, sondern um eure eigene Vision zu verwirklichen.

Auf dem Reeperbahn Festival erleben wir dich und deine Vision gleich mehrfach, unter anderem am Freitag um 23.30 Uhr im Mojo Club? Aufgeregt?

Ich bin 2013 schon mal beim Reeperbahn Festival aufgetreten, aber in der Pooca Bar. Mojo ist natürlich Mega. Ich freue mich sehr, ich hab’ voll Bock auf den Auftritt. Ich war heute im Proberaum und es ist so schön, sich darauf vorzubereiten. Und es ist so toll, dass es um die Ecke ist. Ein kleines Heimspiel, aber so international.

Hast Du Angst, unterzugehen in der Menge der Newcomer?

Ne, ich finde Konkurrenzdenken in der Musikszene fehl am Platze. Wir sitzen ja alle im selben Boot und sollten uns verbunden fühlen. Ich finde es eher schade, dass ich selber so viele Künstler verpasse, weil sie parallel zueinander spielen.

Letzte Frage: Wen sollte man deiner Meinung nach unbedingt ansehen auf dem Reeperbahn Festival?

Alice Merton. Ich hoffe, dass ich die auch sehen kann. Und Vök aus Island, die sind auch megacool.


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