Robert Stadlober: „Menschen können das immer wieder tun“

In „Führer und Verführer“ spielt Robert Stadlober einen der schlimmsten Menschen der Geschichte: Joseph Goebbels. Im Interview verrät der 41-Jährige, wie er sich ihm angenähert hat und was man in Zeiten wie diesen gegen Neo-Nazitum tun kann
Robert Stadlober als Josef Goebbels in „Führer und Verführer“
Magda Goebbels (Franziska Weisz), Josef Goebbels (Robert Stadlober) und Lida Baarova (Katia Fellin) bei einer Filmpremiere (©Zeitsprung, SWR, Wild Bunch, Foto: Stephan Pick)

SZENE HAMBURG: Robert Stadlober, wie ist das Drehbuch zu „Führer und Verführer“ zu dir gekommen?

Robert Stadlober: Ich hatte mit dem Regisseur Joachim Lang bereits bei „Mackie Messer“ zusammengearbeitet. Mitten im ersten Corona-Lockdown rief er mich dann plötzlich an und meinte, er müsse mir von einem Projekt erzählen, an dem er bereits seit über 15 Jahren arbeiten würde. Dann begann er mir von den Mechanismen der Propaganda unter Joseph Goebbels zu erzählen: dass er viele neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft über die Manipulation der Medien habe und einiges an unveröffentlichtem Originalmaterial; und dass er darüber gern einen Kinofilm drehen würde und mich bei diesem Projekt gerne dabeihätte. Ich dachte: Wahrscheinlich für eine spannende Nebenrolle. Aber als er mir dann eröffnete, dass er mich gerne als Goebbels besetzen würde, musste ich mich erst mal hinsetzten.

Joseph Goebbels, der ehemalige „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ unter den Nazis, ist, insbesondere aus deutscher Perspektive, eine der schlimmsten realen Figuren, die man spielen kann. Hast du gehadert, diese Rolle anzunehmen?

Ich habe mir tatsächlich zwei Tage Bedenkzeit auserbeten. Die Hauptfrage für mich war: Was ist der Erkenntnisgewinn für das Publikum, aber auch für mich, wenn Joseph Goebbels und die Auswirkungen seiner Ideen in dieser Ausführlichkeit auf der Leinwand gezeigt werden? Nach einigem Nachdenken und Gesprächen mit verschiedenen Leuten, denen ich vertraue, kam ich zu dem Schluss, das meine einzige Handhabe gegen genau solche Ideen, wie Goebbels sie propagierte, und mit denen heute auch wieder gespielt wird, meine Fähigkeit der Darstellung ist. Und dass wir dadurch, dass wir diesen Menschen und seine Komplizen in bestimmten Situationen zeigen, in denen sie nie gezeigt werden wollten, entlarven und möglicherweise dechiffrieren können.

Goebbels permanentes Scheitern an den eigenen Ansprüchen

Gab es Aspekte am Drehbuch, die du schwierig fandest oder bei denen es dir wichtig war, dass man sie mit besonders großer Sorgfalt behandelt?

Den größten Respekt hatte ich tatsächlich vor der besonderen Form: also dass zwischen den Spielszenen Interviews mit Opfern geschnitten wurden, die von den Entscheidungen und Handlungen, die wir fiktiv nachgestellt haben, in ihrem Leben real betroffen waren – und bis heute darunter leiden. Ich muss aber sagen: Im fertigen Film führt die Kombination dieser beiden Ebenen zu einer unglaublichen Eindringlichkeit.

Ich habe mir zwei Tage Bedenkzeit auserbeten

Robert Stadlober

Figuren zu spielen, die es gibt oder mal gegeben hat, ist eine ganz besondere Herausforderung. Wie hast du dich in diesem Fall darauf vorbereitet?

Meine Annäherung an Goebbels war bewusst keine psychologische. Die Grausamkeiten, die dieser Mann zu verantworten hat, wollte ich mir nicht durch Erkenntnisse über Ereignisse in seiner Kindheit erklären und möglicherweise entschuldigen lassen. Ich habe mich performativ genähert – körperlich und sprachlich. Und da war für mich vor allem ein permanentes Scheitern an den eigenen überkorrekten Ansprüchen interessant. Denn die gesamte Führung der NSDAP ist ja dem menschlichen Ideal, das von ihnen propagiert wurde, in keiner Weise gerecht geworden. Bei Goebbels im Speziellen geht es um den Versuch einer möglichst klaren deutschen Sprache und einer körperlichen Zackigkeit, was ihm beides nicht gelungen ist – und was ihn dann in unserem Film in den richtigen Momenten wesentlich kleiner und auch lächerlicher erscheinen lässt, als er sich selbst zu inszenieren versucht hat.

Robert Stadlober verspürt „Verantwortung für jeden Satz“

„Führer und Verführer“ von Joachim A. Lang und mit Robert Stadlober, ab dem 11.7. im Kino (©Zeitsprung, SWR, Wild Bunch)

Wie schwierig war es für dich, wie Goebbels zu sprechen?

Er hat ja immer versucht hat, seinen niederrheinischen Dialekt zu unterdrücken. Der ist aber so stark, dass er permanent durchbrach, obwohl er sich die größte Mühe gegeben hat, möglichst reines Hochdeutsch zu sprechen. Darin lag für mich das Geheimnis.

Fällt es dir schwerer, als Schauspieler Sätze zu sprechen, die beispielsweise menschenverachtend sind, wenn du weißt, dass jemand diese Sätze wirklich mal aus tiefster Überzeugung ausgesprochen hat? Oder ist eine Rolle immer eine Rolle?

Nein, die Rolle ist nie eine Entschuldigung für den Inhalt. Als Schauspieler trägt man immer die volle Verantwortung für jeden Satz, den man in einem Film oder auf einer Bühne spricht. Den Kontext muss man überblicken und überprüfen. Das ist ein essenzieller Teil dieses Berufes.

Wie gehst du als Künstler damit um, jemanden zu spielen, der ein skrupelloser Massenmörder ist, gleichzeitig aber auch eine menschliche Seite hat?

Gerade dadurch, dass er ein Mensch war, was wir ja auch zeigen, werden seine Taten so grausam. Der Nationalsozialismus, die Shoah, diese Taten, diese Ideen wurden nicht von irgendwelchen abstrakten Filmschurken begangen und erdacht, sondern von Menschen. Und das muss man zeigen, um klar zu machen: Menschen können das immer wieder tun. Und darum ist es eine der wichtigsten Aufgaben, die wir als Menschen haben, uns daran zu hindern, solche Grausamkeiten wieder anderen Menschen anzutun.

„Wir brauchen die ehrlichen Fragen“

Ist es dir schwergefallen, die Rolle nach einem Drehtag wieder abzustreifen?

Wir haben ja in Bratislava gedreht und hatten so eine Art Basiscamp in der Stadt. Von dort bis zu meiner Unterkunft war es ein 30-minütiger Spaziergang. Den brauchte ich jeden Abend. Auf der Hälfte der Strecke gab es so eine kleine Open-Air-Bar in einem Park, und da habe ich jeden Abend junge Menschen mit verschiedensten Hintergründen und aus völlig unterschiedlichen Nationen beim Glücklichsein beobachtet; sie haben getanzt, getrunken, geflirtet, geknutscht. Und jeden Abend dachte ich mir: Genau das wollte dieser Mensch, den du da gerade verkörperst, verhindern. Und das hat er nicht geschafft. Hier, mitten in Europa, treffen sich junge Menschen und sind frei und lassen jede und jeden so sein wie sie wollen.

Der Film ist aus verschiedenen Gründen leider erschreckend aktuell. Da ist zum einen das Erstarken der Rechten, und zwar nicht nur in Deutschland durch rechte Parteien wie die AfD, sondern in ganz Europa. Glaubst du, ein Film wie „Führer und Verführer“ kann helfen, Menschen klarzumachen, wie wichtig es ist, sich nationalsozialistischen Tendenzen stets entgegenzustellen?

Ich hoffe das. Und ich hoffe vor allem, dass wir in dem Film eine Welt und ein Menschenbild zeigen, in das niemand bei klarem Verstand zurückwollen kann.

Ganz generell gefragt: Wie viel „Macht“ und Einflussnahme hat Kultur, um einen gesellschaftlichen Rechtsruck zu stoppen?

Jede ergebnisoffene Beschäftigung mit der Wirklichkeit, also jedes Buch, jeder Film, jedes Lied, jedes Gespräch, das Fragen an die Gegenwart stellt, verhindert ein Stück weit den Rechtsruck. Die Rechten haben die einfachen Antworten – wir brauchen die ehrlichen Fragen, auf die diese Antworten nichts entgegnen können.

Gleichzeitig möchte ich vor zu großer Panik warnen

Robert Stadlober,

Hoffnung und notwendige Herausforderung

Eine weitere Aktualität des Films ergibt sich aus dem Umstand, dass er der damaligen systematischen Verbreitung von Fake News auf den Grund geht; etwas, dass wir derzeit überall auf der Welt beobachten können. Ein Schlüsselsatz im Film von Joseph Goebbels dazu lautet: „Wir sind so wahrheitsgetreu, wie es uns nützlich ist.“

Der größte Schutz gegen falsche Wahrheiten sind Fragen; sich niemals mit der einfachen Erklärung zufrieden zu geben; die wunderschöne Komplexität der Welt und des menschlichen Daseins nicht als Bedrohung, sondern immer als herausfordernden Gewinn zu betrachten.

Wie siehst du den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg entgegen?

Mit Besorgnis natürlich. Aber gleichzeitig möchte ich vor zu großer Panik warnen. Denn das ist genau die Währung, mit der diese Parteien handeln: mit unserer Angst und der seltsam gruseligen Faszination, die sie anscheinend auf Teile der Bevölkerung ausüben. Ich habe große Hoffnung an die Menschen im Osten. Ich bin dort viel unterwegs, trete dort auf und es gibt dort so viele Menschen, die so klar für eine freie Gesellschaft eintreten – das können diese Schreihälse des Hasses gar nicht zerstören.

„Führer und Verführer“, Regie: Joachim A. Lang. Mit Robert Stadlober, Fritz Karl, Franziska Weisz. 135 Minuten. Ab dem 22. Juli 2024 im Kino

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Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 07/2024 erschienen.

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