Die Rote Flora selbst versteht sich als „Zentrum für emanzipatorische Politik und Kultur“. Andere verstehen sie als Störfaktor: politisch und ästhetisch. Mit ihren rauschenden Partynächten und traditionellen Straßenschlachten hat sie Generationen geprägt.
Seit ihrer Errichtung im Jahr 1888 beherbergt die Flora ein Kino, Tanzlokale, ein Warenhaus, Cafés und vieles mehr. Ein knappes Jahrhundert später, im Jahr 1987 schmieden Stadt und Investoren Pläne, die Flora in ein Musical-Theater umzubauen. Aus Angst vor Verdrängung regt sich Widerstand im damaligen Studenten- und Arbeiterviertel. Dieser ist so massiv, dass es zu ersten Reibereien mit der Polizei kommt. Die Forderungen der Bevölkerung schon damals ein hanseatischer Evergreen: „Keine Sanierung gegen die Bevölkerung!“, „Yuppieprojekte verhindern“. Die Widerstände sind erfolgreich. Die Investoren ziehen sich zurück. Die Stadt erlaubt den damaligen Aktivisten vorübergehend ein Kulturzentrum in der Flora zu erschaffen. Nach dem Ablauf der Nutzungsfrist fürchten die „Rotfloristen“ jedoch die Räumung und erklären das Gebäude deshalb ab dem 1. November 1989 offiziell für besetzt.
Die Anziehungskraft der „Anti-Bürgerlichen“ in der Schanze
Der größte Albtraum linker Großstädter damals wie heute: Gentrifizierung. Mit großer Akzeptanz aus der Nachbarschaft versuchen die Flora-Besetzer, das Viertel vor Luxussanierungen und Kommerzialisierung zu schützen. Bis sich Ende der Neunzigerjahre die Drogenszene festsetzt und zum Bruch zwischen den Autonomen und Anwohnenden führt. Während die Aktivisten den Konsumraum „Fixstern“ verteidigen, wünschen sich die Nachbarn und Gewerbetreibenden eine Eindämmung der Situation und die Umsiedlung der Suchtkranken. Die Stadt reagiert mit erhöhter Polizeipräsenz. Die Flora antwortet mit Krawallen und einem Spritzencontainer. Schlussendlich wird der Konsumraum geschlossen. Und mit ihm verschwinden auch die Suchtkranken. Für viele scheint dies der Startschuss der Gentrifizierung des Viertels zu sein. Die alten Mieter werden vertrieben, ihre Wohnungen saniert. Die Besserverdienenden reklamieren von nun an das „anti-bürgerliche“ Flair zwischen Susannenstraße und Schulterblatt für sich. Für die Floristen eine verlorene Schlacht.
Politik gegen Flora: Risse im Elfenbeinturm
Zu den natürlichen Feinden der Roten Flora gehört seit 1990 die CDU. Nach nur einem Jahr Besetzung fordert der damalige Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Christian Lochte, erstmalig die Räumung des autonomen Zentrums. Elf Jahre später skandiert Ole von Beust im Wahlkampf sogar den Abriss des Gebäudes und die Neubebauung der Fläche. Im Juli 2017 sind die Augen der ganzen Welt auf Hamburg gerichtet. Und was sie sehen, ist ein in Schutt und Asche gelegtes Schanzenviertel. Der damalige Bürgermeister, Olaf Scholz, gibt den Rotfloristen eine Mitschuld an der Eskalation. Schließlich waren sie es, die Demos wie die „Welcome to Hell“ angemeldet hatten. Für die CDU Anlass, die endgültige Schließung vehement zu fordern. Paradoxerweise ist es der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, der der Flora zur Seite steht und sich gegen die Schließung ausspricht. Auch dieses Beben übersteht die Flora. Sie bleibt.
Die Rote Flora heute: Neue Zeiten, alte Feinde
Selbst wenn der Trouble um die Rote Flora nachgelassen hat, bleiben die Aktivisten konsistent in ihren politischen Forderungen. Diese plakatieren sie am liebsten für jedermann sichtbar an ihre Hauswand mit Blickrichtung Schulterblatt. Vor Kurzem erregten sie Aufsehen mit ihrer Anleitung zur Bekämpfung der AfD: „13 Dinge, die du gegen die AfD tun kannst“. Anlass waren die Landtagswahlen im Osten. Die Aktivisten riefen unter anderem dazu auf, AfD-Wahlkampfmaterial unschädlich zu machen und AfD-Immobilien und Veranstaltungsorte anzugreifen. Nun ermittelt der Staatsschutz. Es ist das alte Spiel: Flora gegen rechts. Flora gegen Staat und Polizei. Doch die politischen Zeiten haben sich geändert. Auch für die Rotfloristen. So sahen sie sich zuletzt durch Palästina-Aktivisten mit Rassismusvorwürfen konfrontiert, sogar mit der langfristigen Übernahme der Flora wurde gedroht.
35 Jahre: Rote Flora feiert Jubiläum der Kontroverse
Es fliegen keine Steine mehr. Polizeiwagen brennen nicht. Und im Park wird auch nichts gespritzt. Böse Zungen mögen behaupten, die Flora sei nicht mehr das, was sie einmal war. Ihr Programm habe nachgelassen. Weniger radikal. Doch das macht sie nicht zu einem überholten Relikt aus längst vergangener Zeit. Eingeengt zwischen sanierten Altbauten und teuren Cafés, ist die Rote Flora seit 35 Jahren kontrovers. Und bleibt wohl die letzte Institution, die Hamburg deutschlandweit als linken Schmelztiegel repräsentiert.
Rote Flora, Schulterblatt 71
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 11/2024 erschienen.