In „Die Kommune“ erinnert sich Dogma-Star Thomas Vinterberg an seine turbulente Kindheit zurück. Der Film läuft seit Ende Mai im Hamburger Kino
Tränen glitzerten in den Augen von Thomas Vinterberg („Das Fest“), als seine Hauptdarstellerin Trine Dyrholm auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Mitreißend, bezaubernd und schonungslos zeigt sie, wie die TV-Moderatorin Anna im Kopenhagen der 70er-Jahre mit ihrem Mann in ein neues Leben aufbricht und eine Kommune gründet, dann aber damit fertig werden muss, dass er sich in eine Jüngere verliebt. Wie über alles andere wird in „Die Kommune“ auch darüber abgestimmt, ob diese bleiben darf. Auch der Regisseur Thomas Vinterberg hat in der Kommune fürs Leben und den Beruf gelernt.
Interview: Sabine Danek
SZENE HAMBURG: Sie selbst sind in einer Kommune aufgewachsen und nennen den Film eine Liebeserklärung an Ihre Kindheit. Für mich war „Die Kommune“ allerdings viel mehr die traurige Geschichte gescheiterter Beziehungen und Ideale.
Thomas Vinterberg: Der Film ist beides. Ich habe die Zeit in der Kommune geliebt, aber natürlich gab es auch Dämonen, die dort ans Tageslicht kamen und auch diese wollte ich so ehrlich wie möglich zeigen.
Die Politik aber bleibt außen vor. Man sieht in den Nachrichten Bilder vom Vietnamkrieg oder vom Tod Pol Pots, aber darüber diskutiert wird in der Kommune nicht.
Ehrlich gesagt, hat es mich einfach gelangweilt, darüber zu schreiben. Damals wurden politische Ansichten oft benutzt, um sich dahinter zu verstecken, sie wurden wie ein Schutzschild vor sich hergetragen. Ich wollte die Menschen dahinter zeigen, ihre Gefühle erforschen und wie es ist, sich als Individuum einer Gruppe unterzuordnen. Deshalb habe ich die Politik genauso gemieden wie alles andere, das man in einem Film über eine Kommune erwartet: viel nackte Haut, Cannabis, Sexorgien, Vietnam. Es finden sich lediglich Spuren darin. Einem Klischee bin ich aber dennoch auf den Leim gegangen: Ich lasse sie alle nackt in einen See springen und ausgerechnet diese Szene wird jetzt überall gezeigt (lacht).
Ist die Kommune auch eine Metapher für die heutige Gesellschaft? Dafür, dass man zusammenhockt und redet, die Dinge aber dennoch nicht funktionieren?
Das hatte ich nicht im Sinn, als ich mit dem Schreiben angefangen habe. Der Film war nicht als Metapher gedacht, sondern soll vielmehr einen Mikrokosmos geistiger Haltungen und Gefühle zeigen, von Liebe und Zusammengehörigkeit erzählen. Jetzt plötzlich ist das ganz aktuell, denn daran herrscht in Europa, und vor allem in Ungarn und Dänemark, akuter Mangel. Und die Stimmung ist aufgeheizt. Als ich auf der Pressekonferenz hier gesagt habe, dass ich mich für mein Land schäme, hat das in Dänemark einen riesigen Sturm ausgelöst. Dabei schaltet die Regierung in iranischen Zeitungen Anzeigen, um Menschen, die fast alles verloren haben, davon abzuhalten, nach Dänemark zu kommen. Ich finde bei diesem unanständigen Verhalten habe ich ein Recht dazu, mich dafür zu schämen.
Hat das Leben in der Kommune ihr heutiges Leben und ihre Haltung beeinflusst?
Es hat mich total geprägt. Ich war sehr jung und musste lernen, mit den verschiedensten Leuten zurechtzukommen. Schon allein wenn sich neue Mitbewohner vorgestellt haben, war das ein Erlebnis. Da saßen wildfremde Menschen, die plötzlich ihr ganzes Leben vor einem ausgebreitet haben und man selbst spielte im Kopf durch, wie sie sich wohl Montagmorgen beim Frühstück benehmen oder wenn sie betrunken sind, ob sie wohl abspülen oder man ständig mit dem Essen auf sie warten muss. So habe ich sehr früh angefangen, Menschen zu studieren und das später zu meinem Beruf gemacht. Außerdem war ich in der Kommune derjenige, der sich immer darum gekümmert hat, dass alle glücklich sind und so benehme ich mich heute beim Dreh immer noch.
Ist ein Dreh nicht sowieso immer etwas wie in einer Kommune zu wohnen?
Zumindest dieser war es, denn wir haben in dem Haus tatsächlich mehrere Tage zusammengewohnt und dort ausgiebig geprobt. Wenn ich noch mal in eine Kommune ziehen würde, dann unbedingt mit Trine Dyrholm. Sie ist so großzügig, offen und teilt einfach alles. Mit anderen aus dem Team würde ich allerdings auf keinen Fall zusammenleben wollen (lacht).
Trine Dyrholm wird für ihr Spiel in „Die Kommune“ gefeiert. Haben Sie eine bestimmte Methode mit den Schauspielern zu arbeiten?
Trine Dyrholm ist einfach das Beste, was dir passieren kann. Sie ist nicht nur fantastisch, sondern auch sehr mutig. Aber dennoch ist ihre Rolle natürlich sehr schmerzhaft und sehr entblößend. Meine einzige Methode ist, dass wir sehr, sehr viel proben, damit die Schauspieler beim Drehen auf sehr solidem Boden stehen und ganz loslassen können. Ich glaube, das ist das Geheimnis dahinter.
Berühmt geworden sind Sie mit ihrem Film „Das Fest“, mit dem die spektakuläre Dogma-Bewegung begann. Heute ist Dogma überholt. Gilt das auch für Kommunen?
Auf jeden Fall, beides ist überholt. In Sachen Dogma freut es mich, dass ich das Thema mittlerweile ignorieren kann. Was die Kommunen angeht, kamen bereits in den 80ern neue Werte auf. Individualismus und das Recht auf Privatheit wurden plötzlich viel wichtiger als der Konsens und das Zusammensein. Die Ironie ist, dass heute viele Menschen über Einsamkeit klagen. Auch deswegen finde ich es interessant, ihnen zu zeigen, was es für andere Möglichkeiten gibt. Natürlich muss man etwas dafür riskieren, wenn man in einer Kommune lebt, aber man bekommt auch etwas zurück. Und ich meine richtiges Zusammenleben, nicht dieses WG-tum, wo jeder ein eigenes Fach im Kühlschrank hat. Das Einzige, das heute noch freiwillig geteilt wird, scheinen Posts auf Facebook zu sein.
Macht Sie das traurig?
Ein wenig schon. Ich finde die heutige Gesellschaft viel zu ängstlich und rational und dann gibt sie auch noch freiwillig so etwas Fantastisches wie ihr erotisches Leben auf und schaut sich Pornos an, anstatt miteinander ins Bett zu gehen. Aber natürlich durchzieht den Film selbst auch eine Traurigkeit. Es beschäftigt mich sehr, wie Realitäten und Menschen verschwinden, wie vergänglich alles ist.
Deswegen ist der Film auch einer über das Älterwerden …
Und der Film geht sehr konfrontativ damit um. Er stellt Trine Dyrholm das junge Fleisch der Geliebten ihres Mannes entgegen und erinnert uns alle daran, wie wir altern. Das ist ein Thema, das mich beschäftigt. Auch ich habe eine Scheidung durchgemacht und die Brutalität erlebt, dass Menschen einfach ersetzt werden können. Es ist fast wie in einer Shopping-Mall. Ich selbst habe meine Frau durch eine jüngere ersetzt und fühle mich schuldig. Deshalb ist der Film sicherlich auch so etwas wie eine Beichte für mich. So, jetzt habe ich aber mehr als genug Privates preisgegeben und schließe jetzt mein Tagebuch wieder (lacht).
Haben Sie eigentlich noch Kontakt zur ehemaligen Kommune?
Ich habe sie wieder getroffen, um ihr den Film zu zeigen. Ich habe die 70er und das Leben damals so geliebt, und dann saßen wir plötzlich alle wieder um einen Tisch herum und ich habe realisiert, dass es kaum mehr Gemeinsamkeiten gibt. Sie waren so alt und so geschieden und leben so andere Leben. Das hat mir vor Augen geführt, dass das alte Leben verschwunden ist und das war ganz schön hart.
Wie hat der Kommune der Film gefallen?
Beim ersten Mal waren sie vor allem damit beschäftigt zu schauen, was real war und was nicht. Beim zweiten Mal aber hörten sie auf zu analysieren, ließen sich auf die Gefühle ein und waren am Boden zerstört. Manche weinten, denn sie wurden auf die alten Zeiten zurückgeworfen, auf das Gefühl und den Idealismus, der damals herrschte und haben gleichzeitig ebenfalls gespürt, dass diese Zeit vorbei ist.
In diesen moralischen Zeiten ist es schön, die Kommune so viel rauchen und trinken zu sehen.
Ich freue mich sehr, dass Sie das sagen. Denn es gibt heute viel zu viel politische Korrektheit, Mittelmäßigkeit und Angst. Deswegen wird mein nächster Film über Alkohol sein. Er wird zeigen, was man mit Alkohol alles erreichen kann und was für eine wunderbare Waffe er gegen die ganze Bevormundung ist.
„Die Kommune“ läuft im Hamburger Programmkino, zum Beispiel hier:
Abaton Kino, Allende Platz, Programm hier
Passage Kino, Mönkeberstraße, Programm hier
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