Es war ein Fallrückzieher mit 19 Jahren, der das Leben des Artur Podkopayev (25) verändert hat. Der Linksverteidiger aus der Ukraine war mit 15 Jahren als Spätaussiedler nach Hamburg gezogen. Sein Ziel: Bundesligaprofi werden. Er spielte beim HSV Barmbek-Uhlenhorst, erhielt ein Probetraining beim FC St. Pauli. Doch eine Aktion auf dem grünen Rasen veränderte alles. „Ich habe mir beim Aufprall nach einem Fallrückzieher die Rippen gebrochen und weitere Verletzungen im Oberkörperbereich zugezogen. Da habe ich meinem Traum die Hand gedrückt und ihm gesagt ,Tut mir leid, wir werden kein Bundesligaprofi mehr‘“, sagt Podkopayev.
Heute läuft Podkopayev als Kapitän des Sportclubs Feine Ukraine in der zehntklassigen Kreisklasse B4 auf. Bei einem Verein, den es gar nicht geben würde, hätte sich Podkopayevs Profitraum erfüllt. Im Mai 2023 wandte sich Podkopayev an den 2011 gegründeten Dachverein Feine Ukraine, der ukrainische Migrantinnen und Migranten in Deutschland seit 2011 unterstützt und ihnen bei der Integration in Deutschland hilft. 40.000 von ihnen leben in Hamburg. „Unsere Idee war es, Trainerinnen und Trainer mit sehr hohen Qualifikationen und Menschen aus der ukrainischen Community in Hamburg, die gerne Sport treiben möchten, zusammenzubringen“, sagt Podkopayev. Dem Verein Feine Ukraine wurde auf diese Weise ein sportlicher Teil hinzugefügt: der Sportclub Feine Ukraine (SC FU).
Diverse Sportarten und Projekte beim SC Feine Ukraine
Mittlerweile hat der SC FU 200 Mitglieder, bietet neben Fußball auch Sportarten wie Yoga, Fitness, Lady Dance, Selbstverteidigung, Karate und Ju-Justsu an. Der Verein Feine Ukraine hat viele Projekte für Ukrainer auf die Beine gestellt. Er bietet psychologische Unterstützung an, eine Sozialberatung, betreut Kriegsverletzte, Geflüchtete mit Behinderung, betreibt eine Kleiderkammer. Wo immer der SC FU kann, kooperiert er und hilft als sportlicher Teil des Vereins mit, das Leben der ukrainischen Menschen in Hamburg etwas schöner zu gestalten.
So durften Kinder aus dem SC FU beim Champions League-Spiel zwischen Schachtar Donezk und dem FC Barcelona im Volksparkstadion als Einlaufkinder an den Händen der großen Stars den Rasen betreten. „Da haben wir hinterher viele leuchtende Augen gesehen. Die Kinder haben uns erzählt, wie toll es war, an der Hand eines Robert Lewandowski oder eines Ilkay Gündogan auf den Platz gehen zu dürfen“, sagt Podkopayev. Kriegsverletzte aus der Ukraine durften bei der Partie außerdem in der Loge Platz nehmen und sich das Spiel anschauen.
Zu den Schachtar-Fans besteht zudem eine besondere Verbindung. Sie trainierten die Texte ihrer Lieder zur Anfeuerung ihres Schachtar-Teams bei Heimspielen des SC FU in der Kreisklasse B und sorgen dort immer wieder für großartige Stimmung, unterstützen auch soziale Projekte des Vereins. So existiert ein „Fanclub Feine Ukraine“, der Jugendlichen bei Problemen helfen und ihnen Alternativen zur digitalen Welt zeigen soll.
Der SC Feine Ukraine ist offen für alle Nationen
Der Sport im SC FU findet in ukrainischer Sprache statt. „Es ist wichtig für die Community, in ihrem Sportverein keine Sprachbarriere vorzufinden. Das hilft auch sehr bei der Integration in Deutschland“, sagt Podkopayev. Auch deshalb, weil der SC FU für alle Nationen offen sei. Deutsche, Aserbaidschaner, Moldawier und Bulgarier sind unter anderem Mitglieder beim SC FU. „Für uns ist aber wichtig: Mitglied im SC FU kann nur sein, wer die Ukraine unterstützt. Sonst wird es nicht einfach, sich mit den Werten unseres Vereins zu identifizieren“, sagt Podkopayev.
Über den seit dem 24. Februar 2022 tobenden völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine werde im Verein auch unter den Mitgliedern ab und zu gesprochen. Aber, so Podkopayev, „hauptsächlich geht es darum, beim Sport einmal abschalten zu können, den Krieg aus dem Kopf zu kriegen und einfach mal runterzukommen“. In seiner Heimat ist das nicht möglich. „Ich habe natürlich Kontakt in die Ukraine. Manchmal müssen Fußballspiele mittendrin wegen Luftalarm unterbrochen werden. Dann flüchten alle in den Bunker – und wenn der Luftalarm vorbei ist, geht es weiter.“
Trotz der nun noch kritischeren Lage nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist Podkopayev gleichwohl sicher, dass die Ukraine nicht untergeht. „Ich bin optimistisch. Ich glaube an das Gute. Es wird immer siegen. Und das Böse wird sterben“, sagt er.
Ich bin optimistisch. Ich glaube an das Gute
Artur Podkopayev
Volle Konzentration auf den Sport
Ähnlich äußert sich die Ukrainerin Diana Skrypniuk (20), die 2022 nach Deutschland kam. „Es soll so sein, dass die Ukraine überlebt. Ich bin sehr optimistisch“, sagt die Weltklasse-Sportlerin im Ju-Jutsu. Skrypniuk steht stellvertretend für das hohe Niveau der Trainerinnen und Trainer im SC FU. Anfang Dezember ist sie bei der Ju-Jutsu-Weltmeisterschaft auf Kreta in drei Kategorien Weltmeisterin geworden. Auch den Titel der Europameisterin hat sie schon gewonnen. Ihr Vater Volodymyr Skripniuk, der ebenfalls beim SC FU als Trainer aktiv ist, weckte ihre Liebe zum Ju-Jutsu. Bislang kämpft sie für die ukrainische Nationalmannschaft. Ein Wechsel ins deutsche Nationalteam wäre möglich, ist aber noch an einige Bedingungen wie einen deutschen Pass und den Auswahlprozess des deutschen Verbandes geknüpft.
Deutsch jedenfalls spricht Diana Skrypniuk längst fließend, beim SC FU trainiert sie zwei Kinderkurse im Ju-Jutsu. Über den Krieg werde so wenig wie möglich gesprochen, die volle Konzentration gelte dem Sport. „Es macht mir großen Spaß, mein Wissen an die Kinder weiterzugeben. Ein Umzug in ein anderes Land ist oft zunächst eine große Belastung. Eine schöne Zeit mit gleichaltrigen Kindern zu verbringen, kann da sehr helfen. Wir alle im SC FU wollen den Kindern das Gefühl vermitteln, mit ihrem Heimatland in Kontakt und mit ihren Problemen hier nicht alleine zu sein, damit sie sich in Deutschland gut integrieren können“, sagt Skrypniuk. „Und natürlich“, fügt sie hinzu, „gebe ich mein Bestes, damit sie alle die Chance haben, herausragende Sportlerinnen und Sportler werden.“
Mehr Infos gibt’s auf der Website vom SC Feine Ukraine
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/25 erschienen.