Sterbehilfe ja oder nein?

Unter welchen Voraussetzungen darf ein Mensch seinem Leben ein Ende setzen und dabei medizinische Hilfe in Anspruch nehmen? Die Ärztin Beate Winkler und die Psychologin Pola Hahlweg im Gespräch über selbstbestimmtes Sterben
Sterbehilfe ist ein sensibles Thema. Zwei Expertinnen des UKE erläutern die relevanten Fragen (©Robert Kneschke / Adobestock)

Das Thema Tod ist in unserer Gesellschaft nach wie vor tabuisiert. Man wünscht sich, dass der Tod einen erst in ferner Zukunft beschäftigen wird und will mit der gesamten Thematik eigentlich nichts zu tun haben. Doch was passiert, wenn man auf einmal doch damit in Berührung kommt? Oder anders: Was passiert, wenn man schwerst erkrankt ist und seinem Leben ein selbstbestimmtes Ende setzen will? Gerade der Suizid ist oft ein sehr schambehaftetes Gesprächsthema ebenso die Sterbehilfe.

Die vier Formen der Sterbehilfe

Hierbei unterscheidet man vier Formen: die aktive und die passive Sterbehilfe, die indirekte Sterbehilfe und der assistierte Suizid. Unter passiver Sterbehilfe versteht man den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, auf Therapien oder den Abbruch einer begonnenen Therapie: Der Patient stirbt auf eigenen Wunsch an der Erkrankung. Die indirekte Sterbehilfe kann bei Therapie am Lebensende in Betracht gezogen werden, um leidvolle Symptome zu erleichtern. Beispielsweise werden schmerzlindernde Medikamente verabreicht, die als Nebenwirkung möglicherweise zu einem früheren Tod führen können. Diese beiden Varianten der Sterbehilfe dienen in erster Linie dazu, Leiden zu lindern. Im Gegensatz dazu stehen die aktive Sterbehilfe (oder Tötung auf Verlangen) und der assistierte Suizid.

Diese beiden Varianten der Sterbehilfe sind darauf ausgerichtet, dass eine Person explizit sterben möchte. Bei aktiver Sterbehilfe wird dem Patienten ein unmittelbar tödlich wirkendes Medikament von einer weiteren Person verabreicht. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Unter einem assistierten Suizid versteht man Unterstützungsleistungen, damit ein erkrankter Mensch einen Suizid eigenständig durchführen kann, zum Beispiel durch die Verordnung eines entsprechenden Medikaments. Das Bundesverfassungsgericht hat 2020 entschieden, dass ein assistierter Suizid nicht mehr strafbar ist. Diese Form der Sterbehilfe bleibt jedoch umstritten.

Ist Assistenz beim Suizid illegal?

Dr. Pola Hahlweg ist Diplom-Psychologin und unter anderem Mitglied des Ethikkomitees am UKE (©UKE / Eva Hecht)

PD Dr. Beate Winkler, Oberärztin in der Kinderonkologie im UKE und Palliativmedizinerin, und Dr. Pola Hahlweg, Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin, weitergebildete Psychoonkologin und Forschungsgruppenleiterin im UKE, sind neben ihren Haupttätigkeiten auch als Ethikberaterinnen im UKE im Einsatz und zeichnen sich daher als Expertinnen zum Thema selbstbestimmtes Sterben aus.

Gesellschaftlich bleibt der Suizid ein tabuisiertes Thema

Beate Winkler

SZENE HAMBURG: Frau Winkler, Frau Hahlweg, in Bezug auf Sterbehilfe wird häufig über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Februar 2020 geredet. Was genau besagt dieses Urteil?

Pola Hahlweg: Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat mit diesem Urteil den Paragrafen 217 für verfassungswidrig erklärt. Konkret heißt das: Von 2015 bis 2020 war die geschäftsmäßige Sterbehilfe, also auf Wiederholung, aber nicht notwendigerweise auf finanziellen Gewinn ausgelegte Sterbehilfe, verboten. Im Februar 2020 hat das BVG argumentiert, dass die Autonomie der Person, die den Wunsch hat zu sterben, als wichtig zu betrachten ist. Auch aufgrund der Grundrechte, dass jeder das Recht hat, über sein Leben zu bestimmen und damit auch über sein Sterben. Dadurch, dass Suizid in Deutschland nicht illegal ist, kann auch Assistenz beim Suizid nicht illegal sein.

Sterben und Suizid sind sensible Themen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen oder es sind, kontaktieren Sie die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von über 7.000 ausgebildeten Beraterinnen und Beratern. Für Hamburg stehen darüber hinaus regionale Krisendienste zur Verfügung.

Jede Person kann also in Deutschland ärztliche Beihilfe zum Suizid erhalten?

Hahlweg: So einfach ist es nicht. Das BVG hat gesagt, dass es ausreichend Schutz geben muss für Menschen, die einen Wunsch auf assistierten Suizid äußern. Keine Person darf bei dieser Entscheidung unter Druck gesetzt oder in den assistierten Suizid gedrängt werden. Das BVG hat auch entschieden, dass  Ärzt:innen nicht dazu verpflichtet werden können, sich an assistierten Suiziden zu beteiligen. Zudem hat das BVG auch entschieden, dass es dem Staat freisteht neue Regelungen festzulegen.

Was ist dann das Problem mit dem Urteil?

Beate Winkler: Das System passt momentan nicht zusammen. Die ärztliche Berufsordnung besagt, dass die Suizidassistenz keine ärztliche Aufgabe sei und das Arzneimittelrecht verbietet zum Beispiel die Herausgabe von Natrium-Pentobarbital, einem Medikament, das häufig für einen assistierten Suizid eingesetzt wird. Das passt mit dem Urteil des BVG nicht zusammen. Gesellschaftlich bleibt der Suizid ein tabuisiertes Thema. Ich schätze das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr, aber ich glaube, es ist weiter als Teile der Gesellschaft, was die Idee des selbstbestimmten Sterbens betrifft. 

Die aktuelle Situation is kompliziert

PD Dr. Beate Winkler ist Oberärztin am UKE und studiert daneben im Master „Medizinethik“  (©UKE / Henning Heide)

Was bedeutet das konkret in Hinblick auf assistierten Suizid?

Hahlweg: Wir befinden uns gerade in einer ungeklärten Situation. Es fehlen klare Richtlinien, anhand derer Behandelnde oder auch Institutionen gesetzliche und ethische Entscheidungen treffen können. Dadurch entsteht aktuell viel Unsicherheit auf Seiten der Behandelnden.

Winkler: Das ist vor allem für Ärzt:innen problematisch. Wenn man mit Jurist:innen spricht, sagen die manchmal: „Was habt ihr denn? Ihr dürft doch jetzt!“ Es gibt auch eine Menge Juristen, die sagen, man muss es gar nicht weiter regeln und klarer stellen. Aber die Lage aktuell sorgt dafür, dass man auch in Institutionen nicht weiterkommt und keine Regularien aufstellt.

Was genau meinen Sie damit?

Winkler: Im Moment könnte ich mir als angestellte Ärztin am UKE nicht vorstellen, einen assistierten Suizid an einem Patienten oder einer Patientin, selbst wenn er oder sie in meiner Therapie und über 18 Jahre alt wäre, durchzuführen, weil ich nicht sicher wäre, ob meine Institution aufgrund bislang fehlender Regularien rechtlich zu mir stehen kann. Das ist gut begründet, da in der Politik und der Gesellschaft das Thema strittig bleibt und die Sorge besteht, dass etwaige Regularien zum assistierten Suizid gegebenenfalls nicht hinreichend wären. Grundsätzlich dürfen Ärzt:innen Patient:innen nicht töten.

Neu in der ärztlichen Berufsordnung ist aber: „Die Hilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe.“ Und jetzt? Darf ich das als Privatperson tun? Das ist tatsächlich sehr schwierig. Ein Punkt, der ganz besonders an dem deutschen Urteil ist: Das BVG bezieht sich hier rein auf die Autonomie des Menschen und hat es von Gründen wie schweren Krankheiten als entsprechende Voraussetzung abgekoppelt.

Ich würde mir wünschen, dass wir besser darin werden, offen über selbstbestimmtes Sterben zu sprechen und dass wir Stigmata und Tabuthemen abbauen

Pola Hahlweg

Ist das in anderen Ländern auch so offen geregelt?

Hahlweg: Soweit ich das überblicke, ist diese Situation international einmalig. Andere Länder sehen eine schwere körperliche Erkrankung als Voraussetzung für die Möglichkeit eines assistierten Suizids. Das Bundesverfassungsgericht in Deutschland hat expliziert gesagt, dass soll hier nicht so sein. Die Gründe darf nur die Person selbst bewerten oder entscheiden und nicht jemand anderes, ohne dass die Bedingungen geklärt sind, unter denen Ärzt:innen einen assistierten Suizid durchführen dürfen.

Es braucht klarere Richtlinien und mehr Verständnis

Sie haben es gerade schon gesagt, Frau Hahlweg, Suizid gilt in Deutschland als Tabuthema. Ähnlich diffus sieht es auch in Bezug auf die Sterbehilfe aus. Wie kann man dieser Problematik entkommen?

Hahlweg: Indem wir alternative und klarere Begriffe verwenden und verbreiten: Also passive Sterbehilfe als Behandlungsbegrenzung bezeichnen, indirekte Sterbehilfe als Symptomlinderung und aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen. Auch für assistierten Suizid werden verschiedene Begriffe wie Beihilfe zur Selbsttötung benutzt. Behandlungsbegrenzung und Symptomlinderung haben in erster Linie nicht die Absicht der Lebensbeendigung. Hierbei ist das primäre Ziel, Leiden zu lindern, wenn die Behandlung oder die Erkrankung zu belastend oder einschränkend ist. Im Gegensatz dazu haben Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid explizit die Absicht, das Leben schneller zu beenden. Und das sind auch die Gründe, warum das Thema kontrovers diskutiert wird.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft in Bezug auf das Thema selbstbestimmtes Sterben?

Hahlweg: Klarere Richtlinien, mehr Verständnis. Ich würde mir wünschen, dass wir besser darin werden, offen über selbstbestimmtes Sterben zu sprechen und dass wir Stigmata und Tabuthemen abbauen. Winkler: Ich wünsche mir mehr Freiheiten für Patient:innen und Ärzt:innen. Ein größeres Zutrauen der Gesellschaft, dass wir es schaffen, mit Sterbewünschen umzugehen.

Es ist hoch problematisch, jeden Menschen, der diesen Wunsch äußert, als krank abzustempeln. Man redet in diesem Zusammenhang immer nur über die Patient:innen, nicht aber mit ihnen. Mir wäre es wichtig, mit meinen Patient:innen und Eltern in die Diskussion zu gehen und offen sein zu können, was für den Einzelnen der richtige Weg ist, ohne die Sorge haben zu müssen, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Ich glaube, dass wir das können und ich habe auch keine Angst, dass es dem Ansehen der Ärzt:innen schadet, wenn einzelne Ärzt:innen sich bereit erklären, beim Suizid zu assistieren oder auch aktive Sterbehilfe zu leisten.

Mitarbeit: Paula Budnik

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2024 erschienen.

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