„Survival in the 21st Century“ in den Deichtorhallen

Mit einem zitronengespeisten Stromgenerator und 40 weiteren Positionen macht die Schau „Survival in the 21st Century“ in den Deichtorhallen fit für die Krisen der Zukunft
Cao Fei: Asia One, Videostill, 2018 (©Caro Fai, Courtesy of Vitamin Creative Space and Sprüth Magers)

Kaum hat man die Ausstellung betreten, fühlt man sich hineinversetzt in eine Infografik voller lustiger Piktogramme. Raumhohe Tafeln rahmen an drei Seiten die Schau. Zuerst scheinen sie gesellschaftlich relevante Statistiken anschaulich wiederzugeben. Schnell aber werden die Bezüge immer irrwitziger und immer aussichtsloser die Hoffnung, unsere Lebensbedingungen durch objektive Zahlen und Kategorien zu beschreiben.

Diese Arbeit von Liam Gillick gibt den wenig optimistischen Rahmen ab für die Schau „Survival in the 21st Century“, die mit 40 Werken fragt: Mit welchem Wissen, welchen Werten und Praktiken können wir uns in den multiplen Krisen dieser Zeit behaupten? Oder eben auch nicht. Denn die Kuratoren – der Autor Georg Diez und der Ausstellungsmacher Nicolaus Schafhausen – haben „survival“ durchgestrichen. Schließlich hat sich in der fünfjährigen Vorbereitungsphase des Projekts die ursprüngliche Problemlage, die von der Klimakrise bestimmt war, verschärft und resignativ eingefärbt – nicht zuletzt durch Russlands Krieg in der Ukraine, den Terrorangriff der Hamas von 2023 und den Krieg Israels im Gazastreifen.

Ein Kurzschluss und ein souveräner Konter

Trotzdem enthalten viele Arbeiten Elemente einer Sprache der Hoffnung. Die Sci-Fi-Romcom „Asia One“ von Cao Fei beschwört die Macht der Gefühle im Zeitalter der Robotik. Christelle Oyiri erinnert an die Kraft des in den 1980er Jahren in Abidjan entstandenen Tanzes Logobi, der später von der schwarzen französischen Jugend adaptiert wurde. Goshka Macugas aus Metalldetektoren gebautes Regal enthält Bücher aus der Ukraine und Russland, aus Israel und Palästina, aus Taiwan und China: Wissen und kulturelles Erbe, das explosiv wirken, aber auch Keime einer Lösung enthalten könnte.

Reichlich politischen Zündstoff hat New Red Order angerichtet, ein Kollektiv, das sich für indigene Belange insbesondere in Nordamerika einsetzt. Eingeladen zur Ausstellung wurde die Installation „Dexter and Sinister“: Zwei große animierte Figuren – ein Baum und ein Biber – palavern über respektvolle beziehungsweise gewaltsame Formen von Landnahme. Später aktualisierte die Gruppe die Arbeit durch israelkritische Postulate, die den „Genozid in Gaza“ (New Red Order) leichtfertig mit dem Holocaust kurzschließen. Zusammen mit den Kuratoren aber konterten die Deichtorhallen souverän: Sie reagierten mit einer schriftlichen Distanzierung, nicht aber mit Zensur.

„Survival in the 21st Century“. schwer angesagt

James Bridle: Aegina Battery, 2022 (©Billie Clarken, Courtesy the Artist and Nome, Berlin)

Einen unterkühlten Blick auf die Welt richtet Charles Stankievech mit seinem Video „The Eye of Silence“. Es zeigt Aufnahmen eines Milliarden Jahre alten Planeten, der unberührt ist von der nur kurz aufflackernden Existenz der Menschheit. James Bridle dagegen hilft Letzterer auf: mit DIY-Lowtech, Kooperation, Lernen und konstruktiven Humor. So nimmt seine von 72 Zitronen gespeiste „Aegina Battery“ die nachhaltig energetisierende Inspirationskraft von Beuys’ legendärer Capri-Batterie auf.

Der Schwung Bridles wiederum setzt sich in der „School of Survival“ fort. 100 Lectures, Seminare und Workshops bilden mitten in der Ausstellung einen Zwitter aus Kunstvermittlung und Zukunftslabor. Im Juli gibt es etwa Achtsamkeitstraining, eine Begegnung mit dem Dokumentar- und Spielfilmmacher Nelson Carlo de los Santos Arias oder eine Projektwoche, in der Kinder und Jugendliche Visionen für ein anderes Hamburg entwickeln.

Im Katalog heißt es: „Uns fehlt ein moralisches und ein politisches Ethos. Wir können beides nur dann neu entwickeln, wenn wir aus einer heutigen Perspektive zu grundlegenden menschlichen Vorstellungen zurückkehren, zu uralten, zeitlosen Konzepten wie Freude über die Würde des Menschen, aktive Zuwendung, Glaube an die Menschheit, Freundschaft als politische Umgangsform und Nächstenliebe.“ Das klingt nicht gerade cool. Es ist aber schwer angesagt.

Die Schau „Survival in the 21st Century“ ist noch bis zum 5. November 2024 in den Deichtorhallen zu sehen

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 07/2024 erschienen.

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