Sven Weiss: „Adipositas ist eine Krankheit und keine Frage von Disziplinlosigkeit“

Mit „Der Butterberg“ veröffentlicht Sven Weiss seinen ersten Roman – eine humorvolle, aber ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema Adipositas. Dabei verarbeitet er eigene Erfahrungen, viel Witz und ein gutes Stück Selbstironie
Schwarz Weiss Aufnahme des Autors Sven Weiss
Debüt-Autor Sven Weiss schreibt humorvoll über den Umgang mit Adipositas (©Kirsten Haarmann)

Sympathisch, humorvoll und herrlich bodenständig – so lässt sich Sven Weiss am besten beschreiben. Als Werbetexter und Journalist hat er bereits für TV, Radio und diverse andere Medien geschrieben. Am 28. Oktober erscheint nun sein erstes Buch. Darin verarbeitet er auf unterhaltsame Weise seine eigenen Erfahrungen aus einer psychosomatischen Klinik und erzählt eine Geschichte über Selbstakzeptanz, persönliche Entwicklung und den Mut, einen neuen Weg einzuschlagen. Im Gespräch mit SZENE HAMBURG gibt Sven nicht nur Einblicke in seinen Debütroman, sondern auch in die Hintergründe und die Entstehung der Geschichte.

SZENE HAMBURG: Sven, wann hast du angefangen zu schreiben?

Sven Weiss: Schon in der Schulzeit habe ich ständig geschrieben. Meine Hefte waren voll mit Songtexten für Songs, die es gar nicht gab. Ich habe schon früh davon geträumt, etwas Größeres zu machen, etwas Eigenes zu schaffen. Immer wieder habe ich es versucht, aber jedes Mal bin ich an einem Punkt stecken geblieben, weil ich gemerkt habe: „Nee, das ist es noch nicht.“

Ein persönliches Thema, das alles veränderte

Gab es ein persönliches Erlebnis oder eine bestimmte Phase, die dich zu „Der Butterberg“ inspiriert hat? 

Vor ein paar Jahren war ich in einer Klinik, weil ich selbst an Adipositas leide. Freitags stand dort immer ein großer Spaziergang mit der Gruppe auf dem Programm. Bei einem solchen kam ich dabei mit einer Mitpatientin ins Gespräch – ganz spontan sagte ich zu ihr: „Mensch, über all das hier müsste man eigentlich mal ein Buch schreiben.“ Und genau in diesem Moment hat es Klick gemacht. Ich wusste plötzlich: Das ist mein Thema! Dieser Gedanke hat mich seitdem nicht mehr losgelassen, auch nicht nach dem Klinikaufenthalt. Und das Ergebnis liegt jetzt hier vor mir.

Gibt es in deinem Roman also auch eine Figur oder Szene, die dir besonders nah ist? 

Die Figur Jan, also der Hauptcharakter, ist mir sehr ähnlich. Manche Dinge, die ihm passieren, habe ich selbst so erlebt. Ich habe sie aber leicht verändert, zugespitzt oder neu zusammengesetzt. Es ist also eine fiktive Geschichte, eine eigene Welt, aber sie basiert stark auf dem, was ich erlebt habe.

Seit wann bist du dir bewusst, dass Adipositas eine chronische, nicht heilbare Erkrankung ist, die weit mehr als nur „Übergewicht“ bedeutet?

Gute Frage. Ich habe vor allem vor Ort viel darüber gelernt. Ich bin da im Gegensatz zu meinen Mitpatienten ziemlich naiv reingegangen. Viele waren schon viel weiter als ich. Ich dachte einfach: „Okay, ich wiege zu viel, ich muss abnehmen.“ Erst in der Klinik habe ich gelernt, wie viel ich selbst noch nicht wusste und wie viel man in so einer Zeit lernen kann.

Du musst sprichwörtlich nicht mehr den Bauch einziehen. Vielleicht kommt genau daraus der Humor – aus der Leichtigkeit, wenn man nichts mehr verstecken muss

Sven Weiss

Wie kam es, dass du ein so ernstes Thema auf humorvolle Weise erzählst?

Ich habe gar nicht viel darüber nachgedacht, ich habe einfach geschrieben. Der erste Satz war wichtig, der erste Absatz auch, und dann lief es, es musste einfach raus. Aber auch weil die Zeit in der Klinik – trotz allem – wirklich schön und oft auch witzig war. Natürlich beschäftigt man sich dort intensiv mit der Krankheit, aber es gab so viele Momente, in denen wir gemeinsam lachen konnten. Vielleicht hatte ich einfach Glück mit den Mitpatienten – wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Für mich war das eine wertvolle, positive Zeit, von der ich sehr profitiert habe. Man verbringt sechs bis acht Wochen fast ununterbrochen miteinander, teilt den Alltag, die Sorgen, die kleinen Erfolge. Der Austausch mit den anderen hat mir am Ende sogar mehr gegeben als die Gespräche mit den Therapeuten – und das wird auch ganz bewusst gefördert. Wenn du in so eine Klinik kommst, spürst du sofort dieses große Vertrauen. Du musst niemandem etwas vormachen, musst sprichwörtlich nicht mehr den Bauch nicht einziehen. Du kannst einfach du selbst sein, weil jeder weiß, warum du da bist – und dass du etwas verändern willst. Diese Offenheit, diese ehrliche, fast vertraute Atmosphäre war etwas ganz Besonderes. Vielleicht kam genau daraus auch der Humor: aus dieser Leichtigkeit, die entsteht, wenn man nichts mehr verstecken muss. 

Der Butterberg: „Das war ganz mein Ding, mein kleines Geheimprojekt“

Kannst du den Weg von der Idee bis zur Zusage des Verlags HarperCollins beschreiben und welche Gefühle dich dabei begleitet haben?

Illustration des Buchcovers: Oben steht der Name des Autors, darunter erstreckt sich der Buchtitel über drei Zeilen. Im unteren Teil ist eine gezeichnete Figur ab der Hüfte abwärts zu sehen, die einen kleinen Koffer hinter sich herzieht.
Buchcover „Der Butterberg“ von Sven Weiss (©Harper Collins)

2018 habe ich mit dem Schreiben von „Der Butterberg“ angefangen. 2022 habe ich das Manuskript dann verschickt. Zuerst habe ich es an verschiedene Agenturen geschickt, aber das hat nicht geklappt. Irgendwann dachte ich mir: Warum eigentlich nicht direkt an einen Verlag schicken? Also habe ich es an HarperCollins geschickt – und plötzlich hat es irgendwie funktioniert. Ich hatte einfach unglaublich viel Glück.

Den ganzen Prozess habe ich mit niemandem geteilt. Ich wollte das erst zeigen, wenn es wirklich fertig ist, dann wenn es etwas geworden ist. Das war ganz mein Ding, mein kleines Geheimprojekt. 

Es war mein Rückzugsort, mein eigener kleiner Kosmos. Niemand wusste davon

Sven Weiss

Früher hatte ich schon andere Projekte, bei denen ich irgendwann dachte: Das ist nicht gut genug. Aber diesmal war das anders. Mal hatte ich Phasen, in denen ich ganz viel geschrieben habe, dann wieder wochenlang gar nicht. Neben dem normalen Beruf bleibt ja oft wenig Zeit. Manchmal habe ich nachts geschrieben oder zwischendurch, wenn sich irgendwo ein Moment ergab. Aber es hat mir so viel Spaß gemacht, diese Welt zu erschaffen. Es war mein Rückzugsort, mein eigener kleiner Kosmos. Niemand wusste davon, aber ich konnte richtig spüren, wie da etwas wächst – etwas, das größer und größer wird. Natürlich gab es auch Zweifel. An manchen Tagen dachte ich: Gib das bloß niemals jemandem zu lesen! Und am nächsten Tag war ich wieder völlig überzeugt davon. Diese Zeit war wirklich besonders – intensiv, kreativ, aufregend. Und als HarperCollins dann tatsächlich zugesagt hat, war ich einfach nur überwältigt. Ich glaube, so etwas passiert nicht oft. 

Der Titel ist auffällig und symbolisch stark. Wie ist er entstanden? 

Normalerweise legt der Verlag den Titel fest, aber mir war dieser Name sehr wichtig, weil er ein Teil meiner kreativen Arbeit ist. Zum Glück fand der Verlag ihn auch großartig. Der Titel ist beim Schreiben entstanden: Die Klinik liegt auf einem Hügel, und ein Patient nennt sie so, weil dort so viel Fett ist – symbolisch gemeint, da es eine Klinik für Adipositas-Patienten ist. 

Adipositas: Eine Krankheit, keine Frage von Willensschwäche oder Disziplinlosigkeit

Spürst du mit „Der Butterberg“ auch eine Verantwortung, Aufklärung zu leisten oder Denkanstöße zu geben?

Es war nie mein Ziel, mit dem Buch gezielt Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber natürlich ist mir bewusst, dass ich damit einen Blick auf ein Thema werfe, das sonst oft nur einseitig dargestellt wird. In Zeitschriften oder online geht es fast immer um Diäten, Ratgeber oder Erfolgsgeschichten. Die Perspektive, aus der ich erzähle, ist jedoch eine andere: Adipositas ist eine Krankheit und keine Frage von Willensschwäche oder Disziplinlosigkeit, wie viele glauben. Dahinter steckt so viel mehr. Viele Menschen, die betroffen sind, tragen schwere seelische Belastungen mit sich. Manche entwickeln Adipositas auch als Folge anderer Erkrankungen.

Die Frage, warum jemand isst, greift viel tiefer

Svenn Weiss

Und obwohl das Thema allgegenwärtig ist – immerhin ist mehr als die Hälfte der Deutschen übergewichtig, Wahnsinn, oder? – wird dieser Aspekt kaum thematisiert. Gerade in den sozialen Medien zeigt sich das deutlich: Dort gibt es unzählige Tipps und vermeintliche Lösungen. Aber sobald jemand mit Übergewicht sichtbar wird, folgen schnell abschätzige Kommentare. Die gängige Meinung ist dann: „Selbst schuld, der isst zu viel.“ Doch das greift viel zu kurz. Die Frage, warum jemand isst, greift viel tiefer. In der Klinik habe ich Geschichten gehört, die mich sehr bewegt haben – von Menschen, die als Kinder im Keller eingesperrt wurden oder Schlimmes erlebt haben. Da wird einem klar, wie komplex dieses Thema wirklich ist. Ich habe dort unglaublich viel gelernt, was mir vorher selbst nicht bewusst war. Und jetzt, im Zusammenhang mit dem Buch, spreche ich natürlich offener darüber, weil ich glaube, dass genau das fehlt: ehrliche, vielschichtige Einblicke hinter die Fassade.

Am 28. Oktober erscheint dein Roman, am 13. November liest du im Erikahaus des UKE. Was bedeuten diese Termine für dich? Warum hast du diesen Ort für die Premierenlesung gewählt?

Der 28. Oktober – im Prinzip habe ich mich mein ganzes Leben auf diesen Tag gefreut. Ich bin sehr aufgeregt und denke seit einem Jahr an nichts anderes. Wahrscheinlich wird der Tag selbst dann aber viel normaler und weniger aufregend sein, als ich es mir jetzt ausmale. Eine große Release-Party wird es nicht geben; der Fokus liegt auf der Premierenlesung im UKE. Dass diese genau dort stattfindet, hat der Verlag entschieden – da hatte ich wenig Einfluss. Natürlich haben wir aber gemeinsam überlegt, ob ein Krankenhaus der richtige Ort ist, und ja, das passt sehr gut. Eventuell wird es später auch noch weitere Lesungen in anderen Kliniken geben.

Was sollen Leserinnen und Leser nach der Lektüre deines Buches im Bestfall mitnehmen?

Na ja, es ist immer noch ein Roman. Er wird die Welt nicht verändern. Aber wenn die Botschaft bei jemandem ankommt oder jemand einen neuen Blick auf das Thema gewinnt, dann macht mich das glücklich. Vor allem aber soll der Roman unterhalten. Auch wenn das Thema ernst ist, hoffe ich, dass das Buch leicht zu lesen ist, Spaß macht und berührt. Ich wollte kein schwermütiges, trauriges oder todernstes Buch schreiben – und natürlich auch kein wissenschaftliches. Das kann und will ich gar nicht leisten. Ich habe einfach das gemacht, was ich kann: meine Erfahrungen einfließen lassen und sie in eine unterhaltsame Geschichte verpackt.

Wer den Autor persönlich treffen und mehr über „Der Butterberg“ erfahren möchte, hat dazu am 13. November im Erikahaus des UKE bei der Premierenlesung Gelegenheit.

Abonniere unser
"Heute in Hamburg"
Update per E-Mail oder WhatsApp!

Die spannendsten Events in der Stadt und das Neueste aus der Hamburger Gastro- und Kulturszene. Wir halten dich auf dem Laufenden. 😃

👉 Stattdessen via Messenger abonnieren

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf