Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Begleitet von hvv switch fischen wir sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir Leo begegnet.
Protokoll: Max Nölke
„Mein Leben ist ziemlich ungeordnet. Ich habe einen Lebenslauf, der keinerlei Logik folgt, habe Studiengänge abgebrochen, mal hier und da geschaut, mittlerweile bin ich bei der Musik gelandet und, na ja, mal schauen, wo das hinführt. Es fühlt sich auf jeden Fall gut an. Ich brauche kein geordnetes Leben. Es ist okay, solange ich später nicht von mir selbst enttäuscht bin. Sodass ich irgendwann da sitze und denke, ich war nicht mutig genug und auf einmal Dinge sage wie: „Boah, hätte ich mal…“. Davor habe ich Angst. Vielleicht ist es auch die Angst davor Angst zu haben.
Die Musik fühlt sich gerade nach einem guten Weg an. Ich schreibe viele Songs über das Klima, über Geflüchtete oder andere Ungerechtigkeiten, die mich beschäftigen. So komme ich mit Themen emotional besser klar. Ich habe auch einen Song für Fridays For Future geschrieben, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, der Bewegung fehlt noch der Sound, da muss ein Lied her. Es heißt „It’s Not Too Late“. Ich habe es sogar mal auf einer Demo vor 20.000 Leuten gespielt. Das war krass. In dem Moment war jegliche Unsicherheit und Aufregung weg, weil ich wusste, dass es richtig ist.
Wir als Musiker haben schließlich ein Sprachrohr. Das sollten wir auch nutzen. Ich frage mich eh häufig, warum die meisten Menschen so ruhig sind. Meiner Meinung nach haben wir Menschen sogar die Verantwortung, auf irgendeine Art aktivistisch unterwegs zu sein. Unser Leben, diese Nische, in der es die Menschheit gibt, ist nicht selbstverständlich. Aber wir leben so als wäre es das. Das geht so krass auf Kosten des globalen Südens, das muss doch langsam mal jeder verstehen. Diese Ungerechtigkeiten tun weh, wenn man mal richtig hingeschaut hat. Dann kann man auch nicht mehr wegschauen. Jedenfalls war’s bei mir so.
Andere Realitäten
Ich habe früh schon ganz andere Realitäten kennengelernt, weil ich in Japan geboren und aufgewachsen bin. Daher bin ich viel durch Asien gereist und habe eine Armut gesehen, die unvorstellbar ist. Im Altai-Gebirge habe ich Straßenkinder getroffen, die im Winter in Kanalisationen leben, weil es da wärmer ist. Solche Ungerechtigkeiten haben mich immer schon beschäftigt.
Als ich in der ersten Klasse war, bin ich dann mit meiner Mutter zurück nach Deutschland gegangen, zu meinem Vater habe ich heute keinen Bezug mehr. Er ist dageblieben.
Manchmal glaube ich, dass ich durch die Musik ein schweres Thema auch ein Stück weit schöner machen kann, das Thema quasi anders besetzen kann. Außerdem ist es eine besondere Form, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.
Wenn ich hier auf der Straße spiele, schreiben mir oft Leute, dass sie berührt sind, wollen einen Song haben oder sprechen mich an – so wie du jetzt. Obendrein Geld damit zu verdienen, ist auch nicht ganz verkehrt. Heute müssten es so um die 80 Euro geworden sein. Morgen wollte ich mit einem Kumpel nach Schweden fahren. Damit ist die Hinfahrt schon mal drin. Wir wollen zwei Wochen wandern. Wie es danach weitergeht, schaue ich mal.“