03.11. | Literatur | Das kann uns keiner nehmen | Matthias Politycki

Leseempfehlung: Zwei Motive ziehen sich durch Matthias Polityckis Werk „Das kann und keiner nehmen “: Fernweh und Debattenkultur.
Politycki_(c)_Alexander_Tempel-1

Kritik

Zwei Motive ziehen sich durch Matthias Polityckis Werk: Fernweh und Debattenkultur. Beide haben derzeit einen schweren Stand. Das Reisen ist ein gewaltiger Industriezweig, eine Begegnung mit dem Fremden ist nicht möglich, wenn die touristische Vermessung der Welt bis in den letzten Winkel vorgedrungen ist. Ja, selbst die Suche nach dem „echten“ Reisen jenseits der abgetretenen Pfade kann eine Falle sein, ist sie doch auch distinktionsbewussten Westlern ein Mittel zur Anhäufung kulturellen Kapitals. Der Titel, die ebenso abgetretene Phrase „Das kann uns keiner nehmen“, mutet in diesem Rahmen ironisch an.

Matthias-Politycki-CoverWas die Debattenkultur betrifft – sie wird überschattet von einer großen Gereiztheit. Letztes Jahr plädierte Politycki in einem Gesprächsband mit Andreas Urs Sommer für die Debatte trotz und wegen der Differenzen und gegen die absolute Verständnislosigkeit. Hier setzt der Roman an: Am Gipfel des Kilimandscharo will der Erzähler Hans, ein reservierter Hamburger, mit seiner Vergangenheit abschließen. Am Grunde des Kraters zeltet jedoch bereits „der Tscharlie“. Der Bayer ist das Gegenteil von Hans: ein Großmaul, ungehobelt, mit politisch nicht ganz korrekten Ausfällen – und schwerer Erkrankung. Ein Schneesturm schweißt die beiden zusammen, eine gemeinsame Reise beginnt. Man kennt die Ausgangssituation aus zahlreichen Roadmovies: zwei ungleiche Buddys, den Tod im Nacken, auf ihrer aberwitzigen Reise in Richtung Katharsis.

Die Sprache schlendert durch den Plot wie ein Backpacker über den Markt mit „exotischen“ Souvenirs: „Die Straßen waren gesäumt von großen Laubbäumen mit glatten weißen Stämmen, dazwischen sah man Bananenstauden, Palmen, Cashewbüsche. Von einem adrett gekleideten Bürschlein am Straßenrand, älter als sieben oder acht war es kaum, ließen wir uns eine Ananas mit einer Machete in mundgerechte Stücke zerhacken. Seine kleine Schwester lümmelte auf dem Sandboden zwischen dem Haufen Ananas und dem Abfallhaufen, die Hühner stolzierten um sie herum.“ Es fällt schwer, sich zu der emotionalen Geschichte zu verhalten, weil sie einen durch die sprachliche Urlaubsästhetik seltsam unberührt lässt.

/ Ulrich Thiele

Matthias Politycki: „Das kann uns keiner nehmen“, Hoffmann & Campe, 304 Seiten, 22 Euro


Für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf Facebook, Twitter und Instagram.

Details
03. November 2020
04:25
Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf