Kritik
/Ingrun Gade
Ein Sprachverliebter wie Franz Hohler weiß: „Es gibt Wörter, nach denen dreht man sich um“. Ja, und es gibt Bücher, nach denen dreht man sich um. „Fahrplanmäßiger Aufenthalt“ ist ein solches Buch. In einem Alltag voller Reizüberflutung, Zerstreuung und Stumpfsinn weiß der Schweizer Autor einmal mehr, mit seiner feinsinnigen Beobachtungsgabe einen Kontrapunkt zu setzen und mit seinem Blick auf die kleinen, zwischenmenschlichen Gesten zu berühren.
Da ist zum Beispiel das schmerzliche Hoffen einer Frau, ihr Mann würde sich zum Abschied noch einmal umdrehen, während er, der große Hüne, verkrampft darauf bedacht ist, seine ausbrechenden Gefühle zu verbergen.
In Kurzprosa, nie länger als ein paar Seiten, beschreibt Hohler Alltägliches und Historisches, wird bewusst politisch und hinterfragt gerne auch mal unhinterfragte Begriffe – indem er etwa den juristischen „Allmählichkeitsschaden“ auf greisende Menschen bezieht.
Wäre da noch der Titel: Die kurzen Beobachtungen spielen auf der ganzen Welt verstreut, in Kiew, Odessa, Sarajevo oder in der Bäckerei gleich nebenan. Hohler ist offensichtlich ein leidenschaftlicher Reisender, aber, das spürt man nach dieser Lektüre, nicht nur geografisch, sondern auch mental. Häufig kippen die Kurzgeschichten ins Absurde oder enden mit geschickt gesetzten Pointen, die lange nachwirken.
Beflügelnde Leichtigkeit
Manche seiner Erzählungen erinnern an liebevoll gestrickte Kindergeschichten mit zeitkritischen Seitenhieben, hin und wieder transferiert er dazu märchenhafte Elemente in die heutige Zeit. So sucht in einer Geschichte ein Prinz per Zeitungsinserat eine passende Prinzessin. In einer anderen Geschichte treffen sich ein Hoffnungsschimmer und eine Scheidungsquote in der Eingangshalle der Stadtverwaltung.
Im Zentrum stehen oft abgebrühte Menschen, die im Stress und der Belanglosigkeit des Alltags gefangen sind. Hohlers Stil wirkt mit seiner beflügelnden Leichtigkeit in diesem Rahmen wie eine Unterbrechung. Der Wechsel zwischen Wirklichkeit und Fantastischem, Heiterem und Tragischem fungiert als vom Alltag entrückendes Moment, als ein Innehalten, das den Figuren oftmals verwehrt bleibt – glücklicherweise aber nicht den Lesern dieses literarisch wertvollen Buchs.