SZENE HAMBURG: Tex, das erste Mal von dir gehört hat man 2021, als die erste Slime-Single mit dir als neuem Sänger veröffentlicht wurde. Der Song beginnt mit den Worten: „Herzlich willkommen in der Scheiße!“ Eine zwar sehr punkige, aber doch recht unhöfliche Art, sich den Leuten vorzustellen. Wie haben die Leute damals auf dich und den Song reagiert?
Tex Brasket: Fast ausschließlich positiv! Manchmal ist es eben sinnvoller, die Tür direkt einzutreten anstatt zu klopfen. Schwierig zu ignorieren, wenn einem so was ins Gesicht geklatscht wird – und das war ja der Sinn der Sache. Wir wollten uns nicht anbiedern, wir wollten liefern – ob nun bestellt oder nicht.
War Slime vorher bereits eine Band, die eine Bedeutung für dich hatte?
Absolut! Ich bin ein Kind der Neunziger. Baseballschlägerjahre. Hoyerswerda. Rostock-Lichtenhagen. Solingen. Mölln. Lichterketten. Bordsteinbeißen. Nur wer dabei war, kann wirklich nachempfinden, was „Schweineherbst“ mit 13 oder 14 für Gefühle in mir ausgelöst hat. Dieses Album hat mich von allen Slime-Platten am extremsten und dauerhaftesten geprägt. Knapp dahinter steht „Alle gegen Alle“.
Wie sah dein Leben aus, bevor du bei Slime eingestiegen bist?
Ich bin 44 Jahre alt. Dementsprechend müsste ich ziemlich weit ausholen. Das habe ich in meinem Buch „Dreck und Glitzer“ nun getan. Die ausführliche Antwort auf diese Frage ist seit dem 10. Oktober überall erhältlich.
Tex Brasket glaubt wieder an das Gute im Menschen
Du warst vor deinem Einstieg bei Slime auf jeden Fall lange Zeit Straßenmusiker. Was sind die wichtigsten Lebenslektionen, die du in dieser Zeit gewonnen hast?
Die meisten Menschen sind gut! Da draußen laufen zwar durchaus Monster rum und die sehen genauso aus wie wir, aber ich habe in dieser Zeit tatsächlich meinen Glauben an das Gute im Menschen zurückgewonnen. Ich denke, diese Lektion war die wichtigste von allen; das und die Erkenntnis, dass Musik Leben retten kann. Das meine ich durchaus wörtlich und beziehe es auf echte Krisensituationen, nicht nur meinen eigenen „Erfolg“ oder mein eigenes Leben. Ein Song, drei bis vier Minuten, können verzweifelte Menschen dazu bewegen, „heute nicht“ sterben zu wollen. Diese Erkenntnis bringt auch ein gewisses Verantwortungsgefühl mit sich und trug somit einen großen Teil zu einem längst nicht vollendeten Reifeprozesses bei – als Musiker, aber vor allem als Mann im allgemeinen.
Dein Buch „Dreck und Glitzer“ ist ja nun so was wie die lange Version des eingangs erwähnten Stücks, denn in beidem geht es ja um dein Leben auf der Straße. Wie kam die Idee auf, ein Buch darüber zu schreiben?
Dass ich mal eins schreiben sollte, wurde mir schon oft gesagt, lange bevor irgendwer jemals irgendwas von Tex Brasket gehört hat. Seit mich mein Co-Autor Christian Schlodder 2017/2018 für den ersten Artikel, den er über mich schrieb, eine Zeit lang begleitet hatte, scherzten wir immer wieder mal darüber, es irgendwann gemeinsam zu tun; dann, wenn ich mich nicht mehr auf dem versifften Beton heiser singe, sondern auf großen Bühnen stehe. Und so wurde aus Spaß irgendwann Ernst.
Es ist und bleibt ein täglicher Kampf
Tex Brasket
Selbstzweifel und Selbsthass
Gerade wenn man ein solch hartes Leben wie du geführt hat, und sich dann noch mal in aller Tiefe mit all dem auseinandersetzt, würde ich vermuten, dass das durchaus eine therapeutische Wirkung gehabt hat. War das so?
Auf jeden Fall und in jeder Hinsicht. Ich bin heute nicht mehr derselbe Mann, der sich vor zwei Jahren an den Schreibtisch gesetzt hat. Da fand und findet immer noch so einiges in mir statt. Plus: Es entstanden Songs, die es ohne dieses Buch so nie gegeben hätte. Manche werden Slime-Songs, andere landen bei meinem anderen Projekt Teluxe.
Du hast mal gesagt: „Irgendwann kann man nicht mehr vor sich selbst wegrennen, nur noch vor anderen.“ Was war der Moment zu dieser Erkenntnis?
Das war eine ziemlich wilde Zeit. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wann oder wo ich das gesagt habe. Wichtig ist am Ende aber auch nur die Erkenntnis an sich.
Am Anfang des Buches bezeichnest du dich als „ein vom Imposter-Syndrom geplagten, egomanischen Schwindler und zweifelnden Hochstapler“. Warum und wie kommst du darauf?
Ich habe seit der 9. Klasse keine Schule mehr von innen gesehen. Als gebildet im herkömmlichen Sinne kann man mich also nicht bezeichnen. Ich hatte mein ganzes Leben mit Selbstzweifeln bis hin zum Selbsthass zu kämpfen. So was wird man nicht von heute auf morgen los, nur weil man plötzlich als Künstler wahrgenommen wird – oder überhaupt wahrgenommen wird. Es ist und bleibt ein täglicher Kampf. Nur die Arena ist eine andere.
Mut ist, wenn man Angst hat und es trotzdem tut
Tex Brasket
Tex Brasket ist Vater, Sohn, Partner, Freund – kein Held
Im Buch geht es um Situationen deines Lebens, die zum einen von dir selbst, zum anderen von Christian beschrieben werden, also einmal von innen, einmal von außen. Wie kamt ihr auf diese Idee?
Durch einige lange Nächte in zwielichtigen Kneipen und Schultheiß aus zweifelhaft-schmierigen Zapfhähnen.
Welches Kapitel im Buch war am schwierigsten zu schreiben?
Das über meine Kindheit, diverse Traumata – schon aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen musste ich das ja alles von meinen Eltern absegnen lassen, sprich: Wir mussten gemeinsam noch mal alle alten Wunden aufreißen. Das war hart. Aber am Ende half es uns auch, endgültig Frieden zu schließen. Dafür bin ich, gerade heute, unbeschreiblich dankbar.
Du wirst auch aus dem Buch vor Publikum vorlesen, eine vermutlich etwas andere Live-Erfahrung. Bist du nervös, auf der Bühne auf diese Weise eher leise Töne anschlagen zu müssen?
War ich. Bis ich mit Helene Hegemann und Westbam im Theater des Westens auf einer Bühne saß, stand, las und sang. Lief. Seitdem hab ich richtig Bock drauf.
In deiner Zeit als Straßenmusiker hast du mal ein T-Shirt mit dem Schriftzug „The Anti-Heroes Hero“ getragen. Siehst du dich immer noch als einen solchen an oder hat sich das verändert?
Heldentum hat ja immer auch etwas mit Mut zu tun. Mut ist, wenn man Angst hat und es trotzdem tut. Heldentaten, große wie kleine, sehe ich jeden Tag. Jeder Mensch, der zu Empathie fähig ist und nicht komplett alleine durchs Leben gehen will, wird auch immer wieder Mut beweisen müssen. Manche meiner Helden sind kaum gesellschaftsfähig, andere retten jeden Tag Dutzende von Leben. Ich habe keinerlei Interesse daran, mich selbst als irgendetwas zu titulieren, höchstens als Vater, Sohn, Partner, Freund und von mir aus auch als Künstler. Den Rest überlasse ich anderen.
Tex Brasket, Christian Schlodder: Dreck und Glitzer, KiWi, 240 Seiten, 18 Euro
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 11/2024 erschienen.