Unter strengen Auflagen fand im September das Reeperbahn Festival statt. Ob Maßnahmen wie Mitsing- und Tanzverbot oder Bestuhlung Vorbild für einen zukünftigen Clubbetrieb sind und wie man die Zeit im Lockdown nutzt, erzählt Uebel & Gefährlich-Betreiber Wolf von Waldenfels, dessen Club Teil des Festivals war
Text & Interview: Ole Masch
Der Begriff Urgestein mag im Musikjournalismus zuweilen recht inflationär gebraucht worden sein. Auf Wolf von Waldenfels trifft er mit Sicherheit zu. Seine Karriere als Clubbetreiber begann bereits 1986 mit dem Fun Club im Hinterzimmer der Kneipe Eimer in der Klopstockstraße. Es folgte der HipHop-Laden Powerhouse und später an gleicher Stelle das Cubic. 1997 dann die Gründung des legendären Technoclubs Phonodrome im Zirkusweg 20 auf St. Pauli. Nach dessen Umzug ans Nobistor und einer, mit dem Click, weiteren für die elektronische Szene prägenden Cluberöffnung, zog es von Waldenfels in den Bunker an der Feldstraße. Im Frühjahr 2006 eröffnete er hier zusammen mit Tino Hanekamp das Uebel & Gefährlich. Anfang März 2020 wurde pandemiebedingt der reguläre Betrieb bis heute eingestellt.
Wolf von Waldenfels im Interview
SZENE HAMBURG: Wolf, über ein halbes Jahr befindet sich die Clubszene bereits im Lockdown. Wie seid ihr rückblickend mit dieser Ausnahmesituation umgegangen?
Wolf von Waldenfels: Natürlich hatte man erst mal Angst, aber wir haben uns sehr schnell dazu entschieden, den Club dichtzumachen. Noch bevor es eine offizielle Regelung der Behörden gab. Publikum war ohnehin schon kaum mehr da und im Grunde gab es gar keine andere Möglichkeit. Wer will schon Superspreader sein.
Wie ging es weiter?
Ziemlich Zack auf Zack. Es gab drei, vier Wochen eine gewisse Unsicherheit, aber dann wurde schon signalisiert, dass bestimmte Hilfen kommen. Und Mitte April haben wir das erste Mal Kurzarbeitergeld für unsere 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beantragt. Aber man wusste natürlich nicht, was noch kommt.
Zum Beispiel?
Wir hatten beispielsweise laufende Verbindlichkeiten, die noch bezahlt werden mussten. Klar war, dass wir nicht einfach komplett zumachen konnten, sondern irgendwie weitermachen mussten.
Wie sah das konkret aus?
Zum einen wollten wir die Leute weiter bedienen und sind vermehrt ins Streaming eingestiegen. In den ersten Monaten gab es fast jede Woche etwas von uns. An dieser Stelle will ich auch mal ein Lob an die Stadt Hamburg aussprechen. Dort hat man sich ziemlich schnell entschieden, relevante Clubs am Leben zu erhalten. Das heißt, dass wir 80 Prozent der Fixkosten bekommen und die Kulturbehörde auch noch etwas dazusteuert. Insofern ist es für uns ganz gut erträglich.
Ohne Unterstützung wäre es zur Schließung gekommen
Ans Aufhören hast du also nie gedacht?
(Zögert) Doch, schon. Aber dann ging es wie gesagt recht schnell mit den Hilfen. Leute aus der Politik haben angerufen und mitgeteilt, dass etwas gemacht wird und ich cool bleiben soll, weil nicht gewollt sei, dass die ganze Kultur den Bach runtergeht. Ich habe mich zum Glück nie allein gefühlt. Ohne diese Unterstützung wäre es aber sicher zur Schließung gekommen.
Wie sind die Hilfen begrenzt?
Zunächst bis zum Ende des Jahres. Ich glaube aber, dass es danach noch verlängert wird. Danke dafür.
Zahlreiche Veranstaltungen mit bereits verkauften Tickets wurden abgesagt. Haben viele Menschen ihr Geld zurückgefordert?
Nein, ganz und gar nicht. Das war alles nicht so ein großes Problem. Die Leute waren cool. Und unser Büro hat mächtig rotiert, um Termine zu verlegen. Die Tickets behalten ja ihre Gültigkeit.
„Wir sind in Hamburg ohnehin solidarisch“
Gab es auch unter den Clubs eine größere Solidarität?
Schon vor längerer Zeit wurde in Hamburg mal eine sehr gute Entscheidung getroffen. Damals rumorte es gewaltig wegen der immer größeren Kosten für die Elbphilharmonie. Es gab dann unter der Kultursenatorin Karin von Welck einen größeren Betrag für die Clublandschaft.
Das Geld wurde aber nicht einfach aufgeteilt, sondern mithilfe des Clubkombinats die Clubstiftung ins Leben gerufen. Sie greift immer dann unter die Arme, wenn ein Laden Probleme hat. Und das hat zu Corona-Zeiten natürlich auch funktioniert. Wir sind in Hamburg, trotz der Konkurrenz, also ohnehin solidarisch.
Klingt fast so, als hätte die Pandemie für euch kaum größere Probleme verursacht …
Finanziell und materiell kommen wir gerade so über die Runden, obwohl für die Mitarbeiter die Gehaltseinschnitte schon ein Problem sind. Aber das Fehlen von Aktivitäten ist natürlich absolut furchtbar und macht uns wahnsinnig.
Wir alle machen diese Arbeit sehr gerne, haben große Lust darauf und jetzt können wir sie nicht ausüben. Die Stimmung geht auf und ab wie bei einer Achterbahnfahrt. Und natürlich befürchte ich, wenn ein Impfstoff zum Beispiel erst Ende nächsten Jahres verfügbar wäre, dass das Geld irgendwann ausgeht.
Beim Reeperbahn Festival gab es unter hohen Auflagen erstmals wieder Konzerte bei euch. Wie war dein Eindruck. Wäre eine ähnliche Umsetzung für die Zukunft denkbar?
Nein, das Reeperbahn Festival war kein Beispiel dafür, wie es weitergehen kann. Klar sah der Saal toll aus, die Musik war laut und einige unserer freien Techniker konnten wieder arbeiten und Geld verdienen. Aber mit 80 Personen auf Stuhlreihen ist es nicht das Gleiche. Dies sind nur vorsichtige Schritte, um Erfahrungen zu sammeln, damit die Anzahl der Gäste irgendwann wieder steigen kann.
Eine Begrenzung auf 100 Leute rechnet sich nicht
In Niedersachsen sollen ab Oktober Clubs erneut öffnen dürfen. Mit maximal hundert Leuten, Maske beim Tanzen und Alkoholverbot ab 18 Uhr …
Das macht für uns keinen Sinn. Ich war zwar immer der Meinung, dass jedem Menschen eine Maske und vernünftige Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt werden sollte, mit der man dann eventuell wieder feiern gehen könnte. Aber eine Begrenzung auf hundert Leute würde sich niemals rechnen.
Wie könnte es dann in Zukunft weitergehen?
Wir sind nach wie vor in einem Lernprozess. Man muss jetzt erst mal testen, ob sich bestimmte Maßnahmen positiv auswirken. Zum Beispiel planen wir ein neues Lüftungssystem, wofür der Staat ebenfalls Geld dazugibt.
Wenn wir trotz Lockerungen weiterhin Unterstützung erhalten, würden wir eine schrittweise Öffnung mit wenigen Gästen mitmachen. Vielleicht gäbe es dann eine Kombination aus Livestream und geringem Publikum vor Ort. Aber grundsätzlich glaube ich, dass, bevor es keinen Impfstoff gibt, wir nicht ohne Hilfen auskommen.
Zuletzt noch ein anderes Thema: Der Fortschritt der Baustelle des sogenannten Hilldegarden auf dem Bunkerdach wird täglich sichtbarer. Wie steht ihr zu dem Projekt?
Da sind wir hier im Team etwas gespalten. Da ich persönlich, und nicht das Uebel & Gefährlich, die dort geplante Veranstaltungshalle für 2200 Gäste betreiben werde, stehe ich dem Ganzen natürlich positiv gegenüber. Der Grund, warum ich mich hier beteilige, liegt ja gerade daran, dass man den Geschäftsleuten, die dort Geld verdienen wollen, nicht das Feld komplett alleine überlässt.
Dadurch, dass man mitarbeitet und Einfluss geltend machen kann, entstehen vielleicht doch wieder neue spannende Orte, die nicht nur dem Kommerz verschrieben sind. Alle können übrigens bei Hilldegarden Mitglied werden, Ideen einbringen und das Projekt mitgestalten.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2020. Das Magazin ist seit dem 27. September 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!