So wie die Familie Adzovic leben viele Roma in Hamburg – zwischen Duldung und Abschiebung. Ein Status, der ein Leben unmöglich macht.
Text & Foto: Frank Berno Timm
Das evangelische Gemeindezentrum Mümmelmannsberg am Ostrand der Hansestadt, ist ein Ort, an dem würde niemand die Adzovics wegschicken. Schon gar nicht an diesem Nachmittag: Ein Fest der Begegnung findet statt, Linke, Grüne, Kirchenleute und verschiedene Migrantengruppen haben es vorbereitet. Das Bild ist so bunt, wie man sich solche Anlässe vorstellt: Tanzende muslimische Frauen, türkisches Bier und allerhand exotische Lecke reien, wechselnde Musikgruppen treten auf.
„Wer nur geduldet wird, ist dauernd dazwischen.“
Als es draußen schon dunkel ist, stellen ein paar junge Leute Tische auf, verlegen Kabel und installieren einen Beamer. Schlagzeug und Keyboard kommen dazu, am Rand steht noch ein Pult mit Leselampe. Dorothea Grießbach – Filmerin, Journalistin, eine der Organisatorinnen der Langen Nacht der Weltreligionen im Thalia Theater – arbeitet seit drei Jahren mit der Roma-Familie Adzovic. Herausgekommen ist die Performance „Dauernd dazwischen“, die an diesem Abend ein weiteres Mal gezeigt werden soll. Sie setzt sich mit den schwierigen Folgen der immer wieder verlängerten Duldung auseinander. Ein Status, den die meisten Mitglieder der Familie Adzovic haben. Nach dem Aufenthaltsgesetz ist das die „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“.
Wer geduldet ist, darf – im Fall der Familie Adzovic – nicht arbeiten, Hamburg nicht verlassen und eine Berufsausbildung oder eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde antreten. Für die Arbeitsaufnahme oder eine Ausbildung braucht es die Genehmigung des Einwohnerzentralamts bzw. der Ausländerbehörde. Anders ausgedrückt: Das Leben ist unplanbar, nahezu jederzeit von der Abschiebung bedroht, wer nur geduldet wird, ist „dauernd dazwischen“.
Die Familie Adzovic hat eine lange Wanderung kreuz und quer durch Europa hinter sich. Seit rund acht Jahren leben sie in Hamburg, bis auf wenige Ausnahmen hingehalten durch immer wieder neu ausgesprochene Verlängerungen ihrer Duldungen, die manchmal nur für Wochen erteilt werden und verunsichert von Forderungen der Ausländerbehörde, die sie nicht erfüllen kann. Davon erzählt die Performance: Zitiert werden Briefe der Ausländerbehörde, Ausschnitte eines eigenen, angefangenen Films, Musik – alles selbst gemacht.
„Bis zum 31. Oktober 2018 hatten insgesamt 5.612 Personen eine Duldung in Hamburg.“
Seit dem 6. November 2018 hat sich die Situation der Familie deutlich verschärft. Nachts um elf rücken zwei Mitarbeiter, ein Dolmetscher und sechs Sicherheitsleute von der Ausländerbehörde in der Wohnung der Familie an. „Nach vorliegenden Erkenntnissen kam es in diesem Zusammenhang aufgrund von Diskussionen Unbeteiligter mit den Ausführenden zu einem Einsatz weiterer Polizeikräfte“, so Matthias Krumm von der Ausländerbehörde – sprich Proteste von Unterstützern. Mutter und Vater Adzovic, eine Tochter und zwei weitere Familienmitglieder werden in einen Bus verfrachtet. Die Mutter erleidet einen nervlichen und körperlichen Zusammenbruch – das berichtet Raphael Merkle, der ebenso an der Performance mitgearbeitet hat und Zeuge dessen war. Die Familie wird nach seiner Auskunft die Nacht durch nach Frankfurt gefahren und nach Montenegro ausgeflogen, von wo aus sie sich bei ihm gemeldet haben.
Wie viele Roma mit Duldung in Hamburg leben, kann Krumm nicht sagen: „Angagben über die ethnische Zugehörigkeit werden statistisch und im aufenthaltsrechtlilchen Fachverfahren als auswertbarer Datenbankeintrag nicht erfasst.“ Klar jedoch ist, dass bis zum 31. Oktober 2018 insgesamt 5.612 Personen eine Duldung in Hamburg hatten, es seien 885 Rückführungen vollzogen worden, 324 in die Herkunftsländer, 120 in Drittstaaten und 441 freiwillige Ausreisen.
Die nächste Abschiebung droht. Kulturarbeiterin Sina Schröppel vom Projekt „New Hamburg“, einem Gemeinschaftsunternehmen des Kirchenkreises Hamburg-Ost, der Kirche auf der Veddel und des Deutschen Schauspielhauses, schätzt, dass bis zu sieben Romafamilien auf der Veddel in Unruhe seien. Es bestehe die Gefahr, dass ein 18-Jähriger, der einen Ausbildungsvertrag in der Tasche habe, nach Mazedonien abgeschoben werde. „Ich verstehe nicht, warum man mit einem solchen Schritt zehn Jahre wartet und dann nicht einmal die freiwillige Ausreise zulassen will“, sagt Sina Schröppel. Dann nämlich könne der Junge mit einem Arbeitsvisum zurückkommen. Mazedonisch spricht er nicht.
NEW HAMBURG: Wilhelmsburger Str. 73
Dieser Beitrag stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Januar 2019. Das Magazin ist seit dem 21. Dezember 2018 im Handel und zeitlos im Online Shop und als ePaper erhältlich!