Der Hamburger Elvis Jarrs leistet Freiwilligendienst in Costa Rica und berichtete uns in loser Serie über seine Erlebnisse. Sein Freiwilligendienst nähert sich dem Ende. Und Elvis zieht Bilanz
Als ich Luc das erste Mal sehe, stehe ich mit einem Rucksack und Sonnencreme im Gesicht an der Rezeption eines kleinen Hostels. Ein Freund steht neben mir, ohne Sonnencreme, dafür stilecht in Adiletten. Es ist Oktober und wir sind spontan für das Wochenende an die karibische Küste Costa Ricas gefahren. Der junge Mann hinter Rezeption ist blond, knappe zwei Meter groß und seine spanische Begrüßungsfloskel hat einen derart deutschen Einschlag, dass wir schnell die Sprache wechseln. Es beginnt ein klassischer Ach-du-kommst-auch-aus-Deutschland-Smalltalk an den man sich insbesondere in Costa Rica schnell wird gewöhnen müssen.
Luc ist 19 Jahre alt, kommt aus Berlin und arbeitet als Freiwilliger in Costa Rica, in einem ganz normalen Hostel. „Wie jetzt als Freiwilliger?“ fragt mein Freund mit den Adiletten und stellt seinen Rucksack ab, „das ist doch eher work and travel?“.
Nein. Luc ist zwar mit einer anderen Entsendeorganisation hier, dem ICJA bzw. dem ACI, ansonsten unterscheidet sich sein Dienst auf dem Papier nicht von dem Meinigen. Auch er ist mit Weltwärts in Costa Rica, dem „entwicklungspolitischen Freiwilligendienst“ der zu drei Vierteln vom Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird. Seine Organisation hat ihn an der Rezeption eines Hostels platziert. Hier arbeitet er jeden Tag fünf Stunden und wenn mal wieder keine Gäste kommen vertreibt er sich die Zeit mit seinem Laptop und einer Tasse Mate auf der Couch in der Lobby.
Am Abend sitzen wir mit einem Bier zu dritt in der kleinen Hostelküche. „Wie soll ich überhaupt Spanisch lernen“ fragt Luc und wendet die Zwiebeln im brutzelnden Öl, „wenn die einzigen Leute, mit denen ich hier zu tun habe, Touristen sind?“ Zwar lebt Luc nur einen Steinwurf von einem der schönsten Strände des Landes entfernt und liegt die meiste Zeit in der Hängematte, glücklich ist er damit aber nicht. Ist eine Arbeit in einem Kinderzentrum zwar auch schwer als Entwicklungsdienst zu vermarkten, man ist dort aber immerhin unter Kindern, baut Bindungen auf und gibt den Kleinen ein Gefühl dafür, dass auch außerhalb ihrer Landesgrenzen eine Welt existiert.
Die Bindungen, die er im Hostel mit den Gästen aufbaut dauern im Schnitt drei Tage und gehen selten über eine höfliche Frage nach mehr Klopapier hinaus. Im Grunde genommen hilft Luc seiner Chefin lediglich bei der Profitmaximierung. Wäre er nicht hier müsste sie womöglich einen Einheimischen als bezahlten Mitarbeiter einstellen.
„Wo ist denn hier eigentlich der entwicklungspolitische Aspekt?“ fragt mein Freund, mittlerweile in Sneakern, und nippt an seinem Bier. „Offiziell“ lacht Luc, „ist das hier ein ökologisches Projekt.“ Man hört die Gänsefüßchen heraus die er gern gemacht hätte, wäre er nicht mit Tomatenschneiden beschäftigt. „Wir recyclen nämlich unseren Müll und haben Bäume im Garten stehen“ fügt er hinzu und schürzt die Lippen in ironischer Anerkennung.
Ich treffe Luc einen Monat später bei einem erneuten Wochenendtrip. Seine Chefin ist mittlerweile da und wenn er versucht auf spanisch ein Gespräch zu beginnen antwortet sie ihm auf englisch. Er möchte sein Projekt so schnell wie möglich wechseln. Den Strand wird er dann zwar nicht mehr so oft sehen, vielleicht wird er im Bus zu seiner neuen Arbeit täglich im Stau stehen und nach Kinderpipi riechend abends nach Hause kommen. Doch das ist es ihm wert.
Lucs Situation ist ein Fall, der deutlich macht, welche Probleme die Freiwilligendienste mit sich bringen. Dass in Entwicklungsländern kein Mangel an unqualifizierten, jungen Arbeitskräften ohne fließende Sprachkenntnisse herrscht sollte nicht überraschen. Organisationen werben deswegen mit der „kulturellen Erfahrung“ die ein solcher Freiwilligendienst mit sich bringe.
Oder wie der ICJA, Lucs deutsche Entsendeorganisation, auf seiner Homepage schreibt: „Wer an unserem Programm teilnimmt, begegnet fremden Menschen, fremden Gebräuchen und fremden Dingen. Als Freiwilliger kann man diese Vielfalt erleben.“ All das ist während Lucs Aufenthalt hier bislang weitestgehend ausgeblieben. Womöglich hat sein Dasein sogar eine bezahlte Arbeitsstelle für einen Einheimischen verhindert. Doch warum werden Freiwillige derart wahllos verteilt?
Von der hohen Nachfrage profitieren in erster Linie die Entsendeorganisationen und ihre Partner vor Ort. Das deutsche Entwicklungsministerium überweist ihnen pro Freiwilligem einen gewissen Geldbetrag, von der jede Organisation ihre anfallenden Kosten deckt und ihre Mitarbeiter bezahlt.
Je mehr Freiwillige bei einer Organisation gemeldet sind, desto höher ist demnach die finanzielle Unterstützung. Gerade ein kleines Land wie Costa Rica, bei Freiwilligen extrem hochfrequentiert, scheint um die hohe Nachfrage decken zu können Freiwillige mitunter wahllos auf Projekte zu verteilen.
Die Folgen haben junge Menschen wie Luc zu spüren: Haben sie eben noch mit spanischem Wörterbuch erwartungsvoll am Flughafen gestanden, sitzen sie einige Wochen später resigniert an einer Rezeption und erklären dem vierten Gast in fünf Tagen auf englisch wo der nächste Supermarkt ist.
Das Weltwärts-Programm steht seit jeher in der Kritik. Wenn man solche Programme überhaupt staatlich bezuschussen wolle, so eines der Argumente, solle man die Mittel gefälligst aus dem Bildungsetat nehmen und nicht dringend benötigtes Geld aus der Entwicklungshilfe verwenden. Das ist nicht nur vollkommen richtig, der Fall von Luc gibt dem Scheitern des proklamierten Ideals eine neue Dimension. Es bleibt abzuwarten, wie viel Scheinheiligkeit man sich in Zukunft noch leisten kann.
Elvis Jarrs aus Hamburg ging nach dem Abitur nach Costa Rica, um seinen Freiwilligendienst zu absolvieren. Seine Bilanz? Nur bedingt positiv.