Zeit alleine zu verbringen, muss nicht unbedingt Langeweile bedeuten! Hier sind Tipps der Redaktion für eine erfolgreiche, gemeinsam einsame Zeit im Corona-Ausnahmezustand.
Angucken
Ich bin Old-School-Fernsehgucker: Was läuft, gucke ich. Also nicht alles, aber das, was mich im vorgegebenen Programm interessiert. Streaming mache ich nicht, Mediatheken nutze ich nicht. Ich vertraue den Sendern, dass schon was für mich dabei ist. Das zahlt sich in der Regel nur am Feierabend aus. Oder am Wochenende. In dieser unfassbaren Zeit hingegen muss ich nicht lange warten.
Aufstehen, einschalten. Und zappen, was das Zeug hält. Voll meins! Klar, anfänglich wollte ich nur Nachrichten sehen. Allerdings war der Overload schnell eingestellt und Corona durch die Infoflut gefühlt in jede Ecke meines Wohnzimmers gespült. Selbstauferlegte Regel seitdem: News täglich nur dreimal, nämlich morgens, mittags, abends. Dazwischen verzichte ich bewusst auf Absurdes und setze auf Dokus. Ehrlich: Noch nie so viele Dokus gesehen! Und so gute. Zum Beispiel über Politik kurz vorm 20. Jahrhundert. Über Mode der 1960er. Über Börse im Allgemeinen. Über Bachforellen im Speziellen. Corona-Krisen-Fernseh-Fazit bisher: ungewollt, aber viel gelernt.
/ Erik Brandt-Höge
Buch: „Fast genial“ – Benedict Wells, Podcast: „Freistil“, Film: „Herr Lehmann“
Aufheben
Vor einer Weile habe ich mir einen Müllgreifer für gut 15 Euro im Internet bestellt. Kurz nach Neujahr habe ich begonnen, damit an der Alster aufzuräumen. Konfetti, Raketenstile, Flaschen, Feuerwerkskörper und deren Verpackungen. Zu diesem Zeitpunkt sah es dort fürchterlich aus.
Dieses Fleckchen Erde in Ottensen (Foto oben) war mir schon lange ein Dorn im Auge. Also die leeren Kippenpackungen, Bierdeckel, Plastikfolien, Einwegbecher und Schnapsflaschen, die in den toten Sträuchern fast schon eingewachsen waren. Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass man beim Müllsammeln schnell schlechte Laune bekommt, schließlich macht man den Dreck anderer Menschen weg. Sehe ich zum Ende einer Aktion eine saubere Grünfläche, dann erfüllt mich das mit Stolz. Es geht aber um mehr als meinen Stolz. Und zwar darum, dass mich meine Mitmenschen sehen, dass sie dadurch an ihren eigenen Konsum erinnert werden und im eigenen Viertel oder Hinterhof vielleicht selbst zum Schnapper greifen. Schließlich sind Schmutz und Unsauberkeit auch Verursacher von Krankheiten, vom Anblick ganz abgesehen. Ich nutze die freie Zeit also gern, um meine Stadt etwas reiner zu machen.
/ Basti Müller
Buch: „Into Thin Air“ – Jon Krakauer, Podcast: „Jonna & Pumba“, Film: „Scary Movie“
Anhören
Mit 15 habe ich im Kinderzimmer meines Onkels seine alten Platten aus den 80ern gefunden. Darunter viel von Die Ärzte, zum Beispiel das Dreifach-Live-Album „Nach uns die Sintflut“ und die „Ab 18“EP. Weil ich Ärzte-Fan war und alles, was im Entferntesten mit der besten Band der Welt zu tun hatte, gesammelt habe, war ich völlig aus dem Häuschen, als mein Onkel mir die Platten einfach geschenkt hat. Da brach mein purer Materialitätsfetisch durch, diese riesigen Platten sind ja viel schöner als CDs und als MP3s sowieso und dann rochen die Platten meines Onkels auch noch so antik.
Ich habe mir dann jedenfalls vorgenommen, eine Plattensammlung aufzubauen. 15 Jahre später besteht diese Sammlung aus sage und schreibe 30 (!) Platten, die bis vor einer Woche keine Verwendung fanden, weil ich die ganze Zeit keinen Plattenspieler hatte. Jetzt aber, haha!
Letzte Woche kam, nach 15 Jahren der Prokrastination, völlig aus dem Nichts die Einsicht aufgeploppt, dass ich mir jetzt sofort eine Vinyl Anlage kaufen muss. Hab’ ich dann auch gemacht. Konnte sie zum Glück noch rechtzeitig abholen, nur einen Tag später, und es wäre zu spät (höhöhö) gewesen, Corona hätte mir einen Strich durch die Rechnung gemacht – und ich hätte mein Anliegen wieder liegenlassen. Achso: Während der Quarantäne werde ich einfach die ganze Zeit schlafen.
/ Ulrich Thiele
Buch: „Naokos Lächeln“ – Haruki Murakami, Podcast: „Dear Reader“, Film: „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“
Ausmisten
Bett, Bücherregal, Kommode, Schreibtisch, Pflanze – mein Hab und Gut nimmt einen Großteil meines 14-Quadratmeter-WG-Zimmers ein. Das stört mich im Regelfall überhaupt nicht, es macht mein Zuhause sogar richtig gemütlich. Wäre da nicht die Quarantäne. Denn spätestens an Tag drei der selbstauferlegten Isolation rücken die Wände immer näher und der Hamburger Himmel beim Blick aus dem Fenster immer weiter weg. Die Lösung: Ausmisten.
Wenn die Klaustrophobie zunimmt, muss eben mehr Platz her. Wer braucht schon den zerknautschten Sessel in der Ecke, der sowieso immer unter einem Haufen Klamotten verschwindet? Und apropos Klamotten: Die alten Blusen ganz hinten in der Schublade kommen auch in fünf Jahren nicht mehr in Mode. Klar, der Schnickschnack im Wandregal sieht ganz nett aus – aber die eingerahmten Fotos von der Abi-Fahrt und die ungelesenen Ratgeber fangen dort nur Staub. Was raus muss, wird auf dem Dachboden zwischengelagert und gespendet, wenn das Leben irgendwann wieder in gewohnten Bahnen verläuft. Außerdem: Wer hat im schnelllebigen Alltag die Zeit, sich durch sein ganzes akkumuliertes Eigentum zu wühlen? Ausmisten ist also nicht nur eine wunderbare Beschäftigungstherapie, sondern auch ein Projekt, das wir insgeheim schon alle viel zu lange aufschieben.
/ Sophia Herzog
Buch: „Alles Licht, das wir nicht sehen“ – Anthony Doerr, Podcast: „Your Own Backyard“ (Englisch), Film: „Lost in Translation“
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, April 2020. Das Magazin ist seit dem 28. März 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!