Watu Wote: And the Oscar goes to … Hamburg?

Watu Wote. Foto: Hamburg Media School
Trifft ins Mark: Watu Wote. Foto: Hamburg Media School

Die Hamburg Media School-Absolventin Katja Benrath wurde mit ihrem Kurzfilm Watu Wote für den Oscar nominiert. Wir haben mit ihr und ihrem Team gesprochen: über Authentizität, die Dreharbeiten in Kenia und die Kleiderfrage zur Oscar-Verleihung.

Es sind nur rund 20 Minuten. Die aber so intensiv und berührend sind, dass man unbedingt ein Taschentuch bereithalten sollte. Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt HMS-Absolventin Katja Benrath eine Geschichte über Hass und Angst, Mut und Menschlichkeit in Nordkenia: Hier herrschen kriegsähnliche Zustände, zwischen Muslimen und Christen brodeln Hass und Misstrauen. Doch als Terroristen der Al-Shabaab- Miliz einen Reisebus überfallen, um alle Ungläubigen zu erschießen, stellen sich die Muslime unter Einsatz ihres Lebens vor ihre christlichen Mitreisenden. Zwei von ihnen werden angeschossen; einer von ihnen, ein Lehrer und Vater von fünf Kindern, stirbt später an seinen Verletzungen. Mehr als 30 Auszeichnungen räumte der Kurzfilm bereits ab, darunter den Studenten-Oscar. Wenn in der Nacht vom 4. auf den 5. März in L.A. die richtigen Oscars verliehen werden, könnte auch die wichtigste Auszeichnung der Branche noch dazukommen: „Watu Wote“ wurde in der Sektion Kurzfilm nominiert. Wir haben die sympathische 38-jährige Regisseurin getroffen – zusammen mit Drehbuchautorin und Cutterin Julia Drache sowie Kameramann Felix Striegel. Das war Katja Benrath wichtig: Denn diese beiden und Produzent Tobias Rosen, so sagt sie, hätten zum Gelingen des Filmes genauso viel beigetragen wie sie selber.

SZENE HAMBURG: Am Abend der Oscar- Nominierung hattet ihr Premiere in Kenia. Wie kam der Film dort an?
Katja Benrath: Die fanden ihn gut. Viele der Zuschauer gehörten natürlich zur Crew und zur Besetzung, ganz normal, dass manche dann gelacht haben, wenn sie sich erkannt haben. Das war bei dieser Thematik trotzdem ein sehr interessantes Erlebnis.

Wie realistisch ist denn eure Verfilmung?
Julia Drache: Wir haben mit sehr vielen Leuten gesprochen, die wirklich in dem Bus saßen, und haben sehr viele unterschiedliche Geschichten gehört. Unsere Version ist ein Mix aus dem, was uns am realistischsten erschien. Die muslimischen Frauen haben definitiv Kopftücher verteilt, und sicher ist auch, dass niemand die Christen verraten hat. Und es gab den Lehrer Salah Farah, der später an seinen Verletzungen gestorben ist, der die Terroristen offen konfrontiert hat.

Und die Hauptfigur?
Katja Benrath: Sie ist angelehnt an eine Person, die es wirklich gibt. Natürlich hätte sich der Lehrer als Hauptfigur angeboten. Aber dann hätten wir eventuell die Geschichte dieses Menschen, der auch noch gestorben ist, verändern müssen, dramaturgisch anpassen, unwahre Dinge hinzuerfinden. Das erschien mir anmaßend. Wir haben also eine fiktive Figur mit christlichem Background in den Bus gesetzt. In eine andere Kultur zu gehen und dort als jemand von außerhalb eine Geschichte zu erzählen, finde ich ohnehin sehr schwierig und manchmal fragwürdig. Eine Hauptfigur mit einem anders gefärbten Background ist eine zusätzliche Herausforderung und wir fanden die Christin auch als Identifikationsfigur eine gute Entscheidung.

Julia Drache: Die Christin, mit der wir gesprochen haben, war noch schwer traumatisiert und hatte Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass sie tatsächlich von Muslimen gerettet wurde. Unsere Hauptfigur im Film benimmt sich, genau wie die reale Frau, zunächst sehr feindselig gegenüber den muslimischen Mitpassagieren, obwohl sie ihr nichts getan haben. Sie positioniert sich so offen gegen sie, dass man eigentlich denkt, niemand würde ihr im Ernstfall helfen. Das macht den Schluss natürlich viel stärker, denn trotz all der Anfeindungen stellen sich die muslimischen Mitreisenden schützend vor sie und die anderen Christen.

Der Film wirkt extrem authentisch. Wie habt ihr das als Europäer hinbekommen?
Katja Benrath: Intensive Beschäftigung und Empathie spielen eine Rolle. Die gemeinsame Entwicklung der Geschichte. Dann die großartige Kamera- arbeit. Sehr unmittelbar, ganz dicht dran und mitten im Geschehen. Und dann waren wir vier, fünf Monate vor Ort und haben da sehr eng mit den kenianischen Filmemachern zusammengearbeitet.

Felix Striegel: Wir sind ja nicht nach Nairobi geflogen, haben Urlaub gemacht und dann anderthalb Wochen gedreht, sondern uns ganz intensiv mit dem Land und den Leuten auseinandergesetzt. Wir haben in einer ganz normalen Wohnung in Nairobi gewohnt und monatelang den Alltag miterlebt. Da bekommt man schon einen anderen Bezug und einen anderen Blick auf das Land.

Wie wurdet ihr und euer Plan denn aufgenommen?
Felix Striegel: Erstaunlicherweise besser als zuerst erwartet.

Katja Benrath: Ja, der Dialog war sehr schnell da.

War es schwierig, Schauspieler zu finden? Gerade bei diesem Thema?
Katja Benrath: Wir hatten tatsächlich viele Bewerber, es gibt in Nairobi eine ziemlich große Theaterszene und dann ja auch Tom Tykwers Produktionsfirma „One Fine Day“, die seit acht Jahren in Kenia Filme dreht. Das Schwierigste war, somalische Schauspieler zu finden. Am Ende haben wir dann sogar zwei aus Minnesota eingeflogen, die schon mit Tom Hanks in „Captain Phillips“ gespielt haben. Aber die meisten sind tatsächlich Laiendarsteller.

Dream-Team (v. l.): Tobias Rosen, Katja Benrath, Julia Drache und Felix Striegel. Foto: Hamburg Media School
Dream-Team (v. l.): Tobias Rosen, Katja Benrath, Julia Drache und Felix Striegel. Foto: Hamburg Media School

Kann man denn im Film erkennen, ob jemand wirklich Somali ist?
Felix Striegel: Ja, klar! Das ist ein riesiger Kontinent mit unglaublich vielen Ethnien und Stämmen, die sich vom Teint, von der Physiognomie her unterscheiden. Alleine in Kenia gibt es 42 verschiedene Stämme! Die Somali haben ganz andere Gesichtszüge und einen ganz anderen Teint. Man hätte nicht einfach irgendjemanden nehmen und ihm ein Kopftuch aufsetzen können. So etwas wollten wir nicht, das wäre auch rassistisch und menschenverachtend. Wir wollten nicht einfach Klischees bedienen.

Katja Benrath: Das war übrigens auch die größte Sorge der kenianischen Filmemacher, sie haben bei internationalen Filmproduktionen sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

Ist es nicht merkwürdig, in einer Sprache zu drehen, die man nicht versteht?
Katja Benrath: Die paar Sätze, die im Film vorkommen, kann ich inzwischen. Julia hat das Drehbuch auf Englisch geschrieben, und wir haben es übersetzen lassen. Ich habe dann sehr eng mit der Casterin zusammen- gearbeitet, die beurteilen konnte, ob das authentisch klingt. Ich fand es eigentlich nicht so problematisch. Die Kommunikation im Team war immer auf Englisch.

Das klingt jetzt alles so unkompliziert. So einfach war es aber nicht, oder? Felix, wurde dir nicht zum Beispiel die Kamera geklaut?
Felix Striegel: Ja, genau. Das war natürlich ein Schock. Glücklicher- weise war das noch kurz vor dem Dreh, sodass wir noch Ersatz besorgen konnten. Wäre das später passiert, hätte es wohl das Aus für den Film bedeutet. Wir hatten ja 50 Komparsen und noch mal fast 50 Leute Team, wir hätten das nicht mehr verschieben oder die Drehorte ändern können. Es gibt eigentlich nichts, das bei diesem Dreh nicht passiert wäre. Der Hauptdarsteller war während des Drehs ja auch im Gefängnis.

Warum?
Julia Drache: Weil er ein Somali ist. Es war eine ganz ähnliche Razzia wie die, mit der wir in den Film einsteigen, bei der Somalis manchmal grundlos verhaftet werden, wenn sie keinen Ausweis dabeihaben.

Katja Benrath: Gerade weil die Somalis so verfolgt werden, war es für sie wirklich eine Frage des Muts, bei dem Film mitzumachen. Bei den Castings waren einige, die dabei sein wollten, aber ohne ihr Gesicht zu zeigen. Weil sie tatsächlich eine Gefahr witterten, wenn sie sich im Film so klar gegen Al-Shabaab positionieren.

Bislang gab es aber keine Repressalien?
Katja Benrath: Nein.

Dann reden wir von etwas Schönem. Ihr wart gerade beim Oscar-Lunch der Nominierten in L. A?
Katja Benrath: Unser Produzent Tobias Rosen und ich waren da.

Und du hast mit Meryl Streep gesprochen …
Katja Benrath: Ja, ich habe kurz mit ihr die Kleiderfrage geklärt.

Ha! Gibt es wieder einen #MeToo- Dresscode?
Katja Benrath: Nein. Meryl Streep hat mir sinngemäß gesagt: Trag, was immer du tragen möchtest und mach den Mund auf, wenn es notwendig ist. Das fand ich sehr schön.

Was haltet ihr denn davon, wie diese Debatte verläuft? Ist das nicht langsam ein bisschen hysterisch?
Julia Drache: Allein die Tatsache, dass viele Frauen es offenbar über Jahrzehnte nicht gewagt haben, über sexuelle Belästigung bis hin zu Missbrauch zu sprechen, zeigt doch, dass diese Debatte längst überfällig war. Hysterisch finde ich daran gar nichts. Man muss natürlich darauf achten, dass alle Vorwürfe geprüft werden. Aber ich denke, dass es allein aufgrund der Debatte seltener bis zum Schlimmsten kommen wird. Und wenn doch, werden die Frauen viel wahrscheinlicher gleich aufstehen und den Mund aufmachen. Natürlich gibt es jetzt die armen Männer, die sagen, sie trauen sich gar nicht mehr, einer Frau ein Kompliment zu machen oder zu flirten. Aber denen sei gesagt: Wenn ihr irgendwelche Zweifel habt, dass euer Verhalten unangebracht ist, dann lasst es einfach gleich bleiben. (Die anderen beiden nicken)

Dann kommen wir zur wichtigsten Frage überhaupt: Was zieht ihr an?
Felix Striegel: Ich werde von Thorsten Lewin aus dem Portugiesenviertel gesponsert. Von ihm bekomme ich einen sehr coolen Smoking.

Julia Drache: Ich war gerade in Ottensen bei Estomo, die schneidern mir ein Kleid.

Katja Benrath: Im Rahmen der Solidarisierung habe ich mich für ein schwarzes Outfit entschieden und werde von Kaviar Gauche Berlin ausgestattet.

Und was macht ihr mit dem Teil, wenn ihr es wirklich gewinnt? Wie viele davon bekommt ihr eigentlich? Einen?
Katja Benrath: Leider kann man neben der Regie nur einen weiteren anmelden. Finde ich falsch, denn alle haben ihren Teil geleistet. Wir haben uns für den Produzenten entschieden. Wenn wir gewinnen sollten, geben wir vielleicht einen nach Kenia, und den anderen reichen wir wie einen Wanderpokal hier in Hamburg rum. Oder teilen ihn in vier Stücke …

Und wie geht’s jetzt weiter? Bleibt ihr vier zusammen?
Katja Benrath: Wir haben gerade alle diverse eigene Projekte, planen aber, zusammen ein dänisches Jugendbuch zu verfilmen. Das wurde gerade in dieser Konstellation gefördert und Julia ist dabei, das Drehbuch zu schreiben.

Julia Drache: Ja, ich adap-tiere gerade den Roman „Pferd, Pferd, Tiger, Tiger“ von Mette Eike Neerlin. Es geht um ein Mädchen, das mit einem drogendealenden Vater, einer nicht so ganz zuverlässigen Mutter und einer geistig behinderten Schwester aufwächst. Sie ist die „Erwachsenste“ aus der Familie, kümmert sich liebevoll um jeden und vergisst dabei sich selbst. Als sie zufällig in einem Hospiz landet, freundet sie sich mit einem im Sterben liegenden Mann an und lernt durch ihn, mehr an sich zu denken und auch mal „Nein“ zu sagen. Klingt nach hartem Tobak, ist aber sehr, sehr rührend und vor allem auch lustig.

Text & Interview: Maike Schade

Live-Übertragung der Oscar-Verleihung im Savoy Filmtheater, 4.3., 23.30 Uhr; „Watu Wote“ im TV: 8.3., BR, 0.30 Uhr

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Februar-Ausgabe SZENE Hamburg

 Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, März 2018. Das Magazin ist seit dem 24. Februar 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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