SZENE HAMBURG: Cora, in deiner „Anatomie der guten Hoffnung“ geht es um das Gebären. Warum dieses Thema?
Cora Sachs: Ich habe mich vor einigen Jahren mit Hexen im Mittelalter beschäftigt. Dabei bin ich auf die Verfolgung der Hebammen gestoßen, die damals als eine der größten Gefahren für den katholischen Glauben angesehen wurden. Dann habe ich geschaut, unter welchen Umständen Frauen im Mittelalter bis heute Kinder zur Welt gebracht haben, wer in diesem Zusammenhang welche Rechte für sich beansprucht und gemerkt, dass das ein Thema ist, an dem sich sehr schön politische Interessen und Umbrüche zeigen lassen.
Warum hast du dich für eine Trilogie entschieden?
Wir haben uns für jeden Teil einen historischen Wendepunkt herausgesucht: im ersten Teil das ausgehende Mittelalter, wo sich plötzlich die Kirche in die Gynäkologie, Frauenheilkunde und Geburt einmischt, Bereiche, die bis dahin reine Frauensache waren. Im zweiten Teil befassen wir uns mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo die Wissenschaft mit ihrer wiederum männlichen Perspektive die Gynäkologie für sich entdeckt. Mit dem Bestreben, die Geburtenrate zu erhöhen, wird Fortpflanzung ein staatliches Konstrukt. Im dritten Teil befinden wir uns dann im Hier und Heute.
Schwangerschaft und Geburt werden zum Lifestyle-Thema
Cora Sachs
Noch einmal zurück zum Mittelalter: Warum hat die Kirche die Hebammen so gefürchtet und die Kontrolle über das Geburtswesen an sich gerissen?
Das hängt mit der Sünde Evas zusammen. Zur Strafe befahl Gott: „Unter Schmerzen sollst du gebären.“ Die Hebammen handelten also gegen den Willen Gottes, wenn sie schmerzstillende Medikamente verabreichten, und setzten sich für eine aktive Geburtenregelung ein. So haben die meisten Frauen ihre fünf bis sechs Kinder durchbekommen. Die extrem hohen Geburtenraten verbunden mit hoher Kindersterblichkeit ergaben sich erst später durch den Eingriff der Kirche. Die verwarf das ganze alte Wissen, das sich über Jahrhunderte bewährt hatte – zum Beispiel das Abkochen der Instrumente vor der Geburt –, und schrieb ihre eigene Hebammenordnung, die nur auf theoretischen Vorstellungen beruhte.
Ein Gefühl für die jeweilige historische Zeit schaffen
Worum geht es im zweiten Teil der Trilogie?
Dort befassen wir uns mit den sogenannten Accouchierhäusern. Mit ihnen hat die männliche Wissenschaft sich ein System aufgebaut, um mit Übungen an schwangeren Patientinnen neue Ärzte und Hebammen gemäß ihrer Lehrmeinung auszubilden. Frauen, die sich in einer Notlage befanden, weil sie ein uneheliches Kind erwarteten und die damit verbundene Fornikationsstrafe nicht bezahlen konnten, wurden gezwungen, ihre Rechte am eigenen Körper aufzugeben und öffentlich zu gebären. In den Geburtshäusern wurde die Grundlage unserer heutigen Gynäkologie gelegt, die die Frauen nicht empathisch begleitet, sondern den Geburtsvorgang technisch zu optimieren versucht.
Im dritten Teil beschäftigt ihr euch mit der Gegenwart. Was läuft denn heute noch falsch bei der Geburt?
Wir beginnen mit der NS-Zeit und werfen auch einen Blick auf die DDR. Heutzutage sind Frauen zwar relativ sicher und überwacht, trotzdem ist das System nicht optimal. Krankenkassen zahlen Fallpauschalen, die etwa einen Kaiserschnitt für Krankenhäuser lukrativer machen als eine normale Geburt, die schlecht planbar ist. Außerdem gibt es unglaublich viele Berichte über traumatische Geburtserfahrungen, bei denen ohne Vorwarnung Gewalt angewendet wurde. Oft wird auch schlecht kommuniziert. Welche Folgen hat zum Beispiel ein operativer Eingriff, und die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Hebammen und Ärzteschaft besteht nach wie vor: Wer darf welche Behandlungen durchführen? Dabei geht es gar nicht um Wissen, sondern um Geld und Macht. Zugleich hat die Wirtschaft die Geburt für sich entdeckt und kommerzialisiert, von Hormon-Yoga und Hypnose-Geburt bis zur Gender Reveal Party. Schwangerschaft und Geburt werden zum Lifestyle-Thema.
„Der Redebedarf nach unseren Aufführungen ist sehr groß“
Du bist nicht nur Regisseurin, sondern auch Kostüm- und Figurenbildnerin. Mit welchen ästhetischen Mitteln bringst du diese komplexe Thematik auf die Bühne?
Mir war es sehr wichtig, das recherchierte Material sinnlich zu übersetzen und ein Gefühl für die jeweilige historische Zeit zu schaffen. Dabei versuche ich, sehr behutsam vorzugehen und nicht vorschnell zu urteilen. Wir haben mit Pablo Konrad nur einen Schauspieler auf der Bühne und erschaffen zusätzlich mit Figuren und Live-Video ein Art Collage aus symbolisch aufgeladenen Räumen. Im ersten Teil ist der im Mittalalter allgegenwärtige Tod die Hauptfigur, die spielerisch und provokant in viele verschiedene Rollen schlüpft. Die Masken, die ich aus Stoff nähe, wirken dabei menschlich und zugleich abstrakt.
Außerdem gibt es zwei Priester in Form von Handpuppen, die zu jener Zeit auf Jahrmärkten ja auch sehr populär waren. Zusätzlich arbeite ich mit Elementen des japanischen Butoh-Tanzes, bei dem die Tänzer sich komplett weiß eintalken. Im zweiten Teil haben wir einen Geburtshausdirektor aus verschiedensten Materialien zusammengebaut. Ein ziemlich gruseliger Typ, der auf historischen Vorlagen beruht und bei uns als morbide Clownsfigur auftritt. Den dritten Teil „Ready to Pop“ werden wir dann etwas bunter und poppiger aufziehen.
Wir haben uns für jeden Teil einen historischen Wendepunkt herausgesucht
Cora Sachs
Warum hast du deine Trilogie, deren Stoff zunächst einmal die Frauen betrifft, mit einem männlichen Darsteller besetzt?
Ich möchte herausstellen, dass es sich hierbei nicht um ein Frauen-, sondern um ein Menschenthema handelt. Auch Männer leiden unter dem patriarchalen System. Der männliche Tod, der in die verschiedenen Rollen schlüpft, ist ein Abstraktionsmittel. Über die Bühnenästhetik und die weiblichen Stimmen bekommen aber auch die Frauen bei uns sehr viel Raum.
Gehst du mit fertigen Konzepten in die Probenphasen?
Nein, wir setzen uns zunächst mal mit unseren Büchern zusammen an einen Tisch. Irgendwann haben wir dann einen riesigen Karteikasten mit Texten, die wir collagenartig sortieren. Dann gucken wir, welches Bühnenmittel zu welchem Thema passt. Die fertige Textfassung haben wir oft erst zwei Tage vor der Premiere.
Sechs Tage nach der Uraufführung des dritten Teils wird zum Abschluss des Projekts eure Trilogie am 22. und 23. Juni von 17:30 Uhr bis circa 23:30 Uhr jeweils komplett gezeigt. Die reine Aufführungszeit ist aber deutlich kürzer …
Bei unserem abschließenden Fest wird es zwischen den einzelnen Teilen Publikumsgespräche mit Essen und Trinken geben, zu denen wir noch weitere Expert:innen eingeladen haben. Wir haben gemerkt, dass der Redebedarf nach unseren Aufführungen sehr groß ist.
„Anatomie der guten Hoffnung – Teil 3“ feiert am 16. Juni 2023 seine Uraufführung im Monsun Theater, weitere Vorstellung am 17. Juni. Am 22. und 23. Juni ist „Anatomie der guten Hoffnung – Die Trilogie“ mit Rahmenprogramm zu sehen.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.