Natürlich war Cindy Sherman sich schon immer der Macht der Kleidung bewusst, zeigte sich in Miniröcken und in Seidenmorgenmänteln, mit biederen Kopftüchern, die sie unter dem Kinn verknotete oder braven Hütchen auf dem Kopf, in Schürzen und Spitzenunterröcken, Abendkleidern und im Smoking. Ihre Garderobe ist zentral für die Verkleidungskünstlerin, die in jeder ihrer Arbeiten zu sehen, aber dennoch nicht zu erkennen ist und seit fast fünf Jahrzehnten Stereotypen auf den Punkt bringt und mit Identitäten spielt. Suchte Sherman in den Anfängen ihrer Verwandlungskarriere in den 1970ern noch in Secondhand-Läden nach den passenden Klamotten, kamen mit ihrem Erfolg bald erste Anfragen von Modemarken, ob sie für sie Kampagnen entwerfen würde und posieren.
Der erste Anlauf scheiterte noch. Die Modestrecke mit krummer Haltung, die Sherman 1984 in Strick von Dorothée Bis für die französische „Vogue“ entwickelte, landete in der Schublade. Bald aber entstanden für das Magazin und auch für „Harper’s Bazaar“ erste Cover. Später posierte Sherman auf Stromboli in Chanel, setzte als Bad Girl mit blutunterlaufenen Augen und einer imaginären Knarre an der Schläfe, Comme des Garçons in Szene. Im Partnerlook und mit wunderbar uneitlem Humor modelte sie gemeinsam mit Juergen Teller für Marc Jacobs, setzte sich in ihren eigenen Werken in Issey Miyake und John Galliano in Szene. Und ließ sie selbst zur Mode werden, indem sie den japanischen Designer Jun Takahashi Stills aus ihrer berühmten „Untiled Film“-Serie auf eine seiner Kollektionen drucken ließ.
Cindy Sherman und die Mode: eine Hassliebe
Da überrascht es fast, dass die Ausstellung „Cindy Sherman: Anti-Fashion“, die Alessandra Nappo für die Staatsgalerie Stuttgart kuratierte, die erste ist, die sich explizit mit der Mode in Cindy Shermans Werk beschäftigt. Mit rund 50 Werken aus fünf Jahrzehnten und exklusiven Leihgaben aus dem New Yorker Archiv der Künstlerin, wird sie in Hamburg zudem mit Arbeiten von Karla Black, Monica Bonvicini, Richard Prince oder Robert Longo aus dem Bestand der Sammlung Falckenberg ergänzt.
Es ist eine Hassliebe, die Sherman mit der Mode pflegt und auch die Linie zwischen Verkleidung und Mode ist schwer zu ziehen. Nie steht ein Label im Mittelpunkt ihrer Rollenspiele, sondern immer das Bild der Frau, die sich bis hin zur Groteske, äußeren Erwartungen anpasst.
Oft hängen die Designerklamotten an ihr wie Lappen. Als sie zu Zeiten des Heroin Chics eine Designerkollekton in den üblichen abgemagerter Models geschickt bekam, zeigt sie sich in Röcken, die nicht zugehen, in Kleidern, die am Rücken offen stehen, mit grotesken Grimassen und verrenkten Gliedern, die so absurd erscheinen wie die Modewelt selbst.
Dann wieder trägt sie Prothesen mit Hängebrüsten, schminkt sich Brandnarben und Körperhaare, lässt das Make-up verlaufen oder zeigt sich gleich als Clown.
Exzessive Bildbearbeitung der Modeindustrie persifliert
Längst hat auch das Digitale Einzug in ihre Arbeiten gefunden. Per Photoshop verändert sie den Abstand zwischen Lippen, Nase und Augen, um die exzessive Bildbearbeitung der Modeindustrie zu persiflieren, überzieht die Haut statt mit einem strahlenden Teint mit Altersflecken und fügt Falten hinzu.
Authentizität interessiert sie nicht. Und das lange bevor es Instagram mit seinen Facefiltern – und der radikalen Selbstinszenierung gab und auch die Geschlechtergrenzen löste sie bereits 2017 auf, zeigte sich als Bauer mit femininem Touch oder als Großgrundbesitzer mit zartem Bart.
Cindy Shermans Antennen sind fein, sie ist immer auf der Höhe der Zeit – und ihr meistens voraus. Sie selbst aber ist die Künstlerin mit den tausend Gesichtern geblieben. Ihre Selbstinszenierungen gehen unter die Haut, sind umwerfend furchtlos und beeindrucken durch ihre radikale Ästhetik – auch, wenn sie einem nicht immer Neues erzählen.
Cindy Sherman – Anti-Fashion, Sammlung Falckenberg der Deichtorhallen in Harburg, verlängert bis 3.3.2024
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2024 erschienen.