SZENE HAMBURG: Johanna, was hat dich dazu veranlasst das Projekt „Archiv Sternbrücke“ zu starten?
Johanna Klier: Ich bin in meinem Alltag immer wieder an der Sternbrücke vorbeigekommen und war in meinen frühen Zwanzigern auch im Nachtleben rund um die Brücke in den Clubs unterwegs. Die Idee zum „Archiv Sternbrücke“ hatte ich 2020. Damals wurden die Pläne für die Schließungen der Clubs konkret. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die Clubs früher oder später endgültig schließen werden müssen. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich mir diesen Ort einfach noch mal genauer anschauen wollte. Dabei habe ich mich gefragt, was diese Kreuzung städtisch so interessant macht und warum sie so viele Leute anzieht. Mit diesen Fragen im Hinterkopf habe ich dann angefangen die Sternbrücke und die Nachbarschaft zu fotografieren.
Weißt du mittlerweile, was die Sternbrücke so besonders macht?
Genau beantworten kann ich das nicht, denn ich weiß nicht, ob alle das gleiche Gefühl haben, wenn sie dort sind. Allerdings denke ich, dass bei der Sternbrücke die Clubs sehr stark zu der Atmosphäre beigetragen haben. Ich habe da auch mal ein Jahr gewohnt. Durch den Verkehr ist es sehr laut. Man könnte meinen, dass es dort gar nicht so angenehm ist zu wohnen. Doch die Atmosphäre macht es aus, das ist gar nicht so richtig greifbar. Wahrscheinlich ist es ein Gefühl, das diesen Ort ausmacht.
Die urbane Wirkung
Was meinst du damit?
Wenn man sich an der Sternbrücke aufhält, dann verknüpft man den Ort emotional mit etwas, zum Beispiel mit der Musik bei einem Konzert. Oder der Augenblick, wenn man nachts im Fenster der Astra Stube sitzt und auf die glitzernden Lichter der Kreuzung guckt. Das ist einfach speziell.
Die Sternbrücke verbindet seit 1926 in ihrer heutigen Form Hamburg-Altona und den Hauptbahnhof und steht seit 2015 unter Denkmalschutz. Aktuell laufen erste Arbeiten zum Abriss der Brücke. In den nächsten drei Jahren soll ein kompletter Neubau entstehen – ein hoch umstrittenes Bauprojekt. Seit Jahren streiten Bürgerinnen und Bürger mit der Politik und der Deutschen Bahn um den Erhalt der Brücke.
Im Rahmen des Neubaus sollen sämtliche angrenzenden Gebäude abgerissen sowie etwa 100 Bäume gefällt werden. Fünf Musikclubs, das Künstlerhaus Faktor sowie weitere Gewerbebetriebe stehen vor dem Aus. Das „Archiv Sternbrücke“ will das Areal vor dem Abriss „als Schnittstelle urbaner Kultur erlebbar und unvergesslich machen“.
Hat die Sternbrücke eine besondere Wirkung?
Ja, die Brücke ist vor allem ein Ort, der in bestimmten Momenten einfach sehr urban in seiner Wirkung ist. Dazu kommt ein filmischer Reiz. Nicht umsonst haben etwa Fatih Akin oder Ayşe Polat an diesem Ort gedreht. Zu dem urbanen und cineastischen kommt dann auch die Nachbarschaft. Die kleinen Gewerbe wie Imbisse, Cafés, Kioske, deren Betreiber teilsweise auch vor Ort wohnen, prägen diesen Ort sehr stark: Sie sitzen auch tagsüber auf der Straße und füllen die Gegend mit Leben. Die Leute halten sich dort den ganzen Tag an dem Kreisel oder an der Pizzeria auf. Insgesamt ist es ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren.
Jetzt seid ihr mit dem „Archiv Sternbrücke“ beim Hamburger Architektur Sommer. Wie ist euer Archiv aufgebaut?
Das Archiv soll ganz verschiedene Perspektiven zusammenbringen. Ich habe recht schnell gemerkt, dass sich viele Menschen mit der Brücke unter einem ästhetischen und künstlerischen Gesichtspunkt beschäftigen. Mit dem Archiv habe ich versucht, viele dieser Leute und deren Arbeiten zusammenzubringen. So sind etwa Urban Sketches der Brücke von Gereon Töpper zu sehen. Dazu kommt mit Simone Kessler eine Künstlerin, mit der ich zusammen die Bäume zwischen der Max-Brauer-Allee und der Sternbrücke fotografiert habe, die für den Brückenbau gefällt werden sollen.
Wer ist noch dabei?
Wir haben auch noch Fotografien von Stephan Pflug, der schon sehr lange an der Brücke fotografiert. Anna Grabo setzt sich mit filmischen Arbeiten rund um die Brücke auseinander. Und Manuel Gies hat akustische Aufnahmen an der Brücke gemacht. Außerdem stellt die Initiative Sternbrücke ihren Infotisch aus. Es werden aber noch viele weitere Künstlerinnen und Künstler ihre Werke ausstellen.
Wahrscheinlich ist es ein Gefühl, das diesen Ort ausmacht.
Johanna Klier
Das heißt ihr seid noch nicht fertig mit dem Archiv?
Das Archiv ist so konzipiert, dass es wachsen kann und soll. So hoffe ich, dass Anwohnende, Zeitzeugen und Sammelnde noch mehr Material einreichen, sobald die Ausstellung gestartet ist. Im Prinzip möchte ich mit dem Archiv eine Vernetzung generieren. Leute, die sich mit der Sternbrücke identifizieren, können ins Archiv kommen und ihre Erinnerungen, in welcher Form auch immer, teilen. Der Begriff „Archiv“ ist in diesem Sinne sehr weit gefasst: Alles kann zu einem Dokument werden, sowohl ein Foto als auch eine Erzählung einer Erinnerung und eine Zeichnung. Diesen Aspekt verdeutlicht das Rahmenprogramm rund um die Ausstellung mit Rundgängen, Vorträgen, Performances und vielem mehr.
Für immer im Stadtgedächtnis
Und was wünscht du dir persönlich für die Zukunft der Sternbrücke?
Von den Politikern und Politikerinnen würde ich mir wünschen, dass sie mehr darauf hören, was die Leute zu sagen haben. Ich bin nicht dagegen, dass sich die Stadt verändert. Ich bin auch nicht dagegen, dass neu gebaut wird. Aber an so einem Ort wie der Sternbrücke müsste viel behutsamer geplant werden. Momentan sieht es danach aus, dass überhaupt keine Rücksicht auf die Anwohnenden, Gewerbetreibenden, die Stadtnatur und das Stadtbild genommen wird. Ich glaube das Archiv kann verdeutlichen, was für einen besonderen Ort die Stadt mit der Sternbrücke hat. Und temporär wird das Archiv auf jeden Fall Aufmerksamkeit schaffen können und die Sternbrücke unvergesslich machen.