Handys, Hipster und Hochkultur

Eine Destillerie mit einem älteren Mann, der Gin bei einer Frau kauft, David Teniers (Foto: Ashmolean Museum)
Eine Destillerie mit einem älteren Mann, der Gin bei einer Frau kauft, David Teniers (Foto: Ashmolean Museum)

Alte Meister neben Handybildern des Schauspielers Lars Eidinger und Leinwandsprüchen des skatenden Künstlers Stefan Marx. Kann das gut gehen? Die Ausstellung „Klasse Gesellschaft“ wagt es

Text: Karin Schulze

Es wirkt, als könne man sich auch über Jahrhunderte und Kontinente hinweg nahekommen: Ein Mädchen, das irgendwo auf einer dunklen Straße mit geneigtem Kopf in ihr Mobilgerät tippt. Vor ihr ein junger Mann, der ebenfalls mit gesenktem Blick auf ein hochformatiges Ding in seiner erhobenen Hand schaut. Die junge Frau ist in einem Schnappschuss zu sehen, den Lars Eidinger 2016 im chinesischen Tianjin aufgenommen hat. Ihr Gegenüber, festgehalten beim Überbringen eines Briefes, wurde 1670 von Pieter de Hooch gemalt. Das (un-) gleiche Paar, das sich in Haltung und Attitüde verblüffend ähnelt, ist ein kühner Zusammenschnitt im Katalog der Kunsthallen-Ausstellung, die Bilder Alter Meister mit Arbeiten von Eidinger (* 1976) und Stefan Marx (* 1979) konfrontiert.

Moralisierende Untertöne

Lars Eidinger (links) und Stefan Marx in der Ausstellung Klasse Gesellschaft in der Hamburger Kunsthalle (Foto: Nils Müller)

In den Niederlanden des 17. Jahrhunderts boomten Schifffahrt und Handel. Der Wohlstand von Bürgern und Kaufleuten wuchs. Kunst stand hoch im Kurs, zum ersten Mal bildete sich so etwas wie ein Kunstmarkt. Während der Calvinismus den Katholizismus zurückdrängte, waren die künstlerischen Motive nicht mehr mythologischer oder biblischer Herkunft, sondern stammten erstmals vor allem aus dem Alltag von Bürgern und Bauern. Diese Genrebilder zeigen Straßenszenen, Feste, Hausarbeit und bäuerliches Leben oder Interieurs. Zu den Meistern der eleganten Innenräume und inniger Versunkenheit gehörten neben Vermeer, der derzeit in Dresden gefeiert wird, de Hooch und Gerard ter Borch. Raumfluchten, aufwendige Fliesenböden, Porzellan und Orientteppiche belegten den Wohlstand der Bürger und Kaufleute. Viele Bilder aber waren auch imprägniert von moralisierenden Untertönen. Vor allem bäuerliche Szenen warnten vor Alkohol, Tabakrausch, Müßiggang: Laster drohten, wo Tüchtigkeit, Fleiß und Besinnlichkeit schwächelten.

Eidinger bringt die Gegenwart auf den Punkt

Ohne Titel, Paris 2018 (Foto: Lars Eidinger)
Ohne Titel, Paris 2018 (Foto: Lars Eidinger)

Ausstattungsstücke heutigen Alltags nimmt der Schauspieler, Selbstdarsteller und Instagrammer Lars Eidinger meist mit dem Handy aufs Korn: weltweit unterwegs und rastlos in großen Städten umherschweifend. Mitunter sieht es aus, als habe er sein Auge an den aberwitzigen Skulpturen Erwin Wurms geschult, für den er bereits posiert und mit dem er auch ausgestellt hat. Oft jedenfalls bringt Eidinger Gegenwart gewitzt auf den Punkt: die Kühlerhaube, die aus einem halb geöffneten Garagentor herauszuquellen scheint. Oder das Gefäß eines Bettlers, der einen Starbucks-Becher mit einem Madonnenbildchen spirituell aufgerüstet hat.

Während Eidingers Alltagsbelichtungen die gesellschaftlichen Bezüge und die mitunter auch skurrilen Aspekte der Niederländer hervorheben, fügt der Hamburger Künstler, Skater und Designer Stefan Marx ihrer Handlungsebene eine Art stillen Soundtrack hinzu. Mit seinen gemalten Text- und Songfragmenten aktualisiert er etwa die bei den Niederländern so häufigen Briefmotive. Beispielsweise wenn er „Don’t Text Me Back Haha It’s Ok“ in seinen typischen, gleich Lichtreflexen auf Wasser tanzenden Lettern auf Leinwand bannt. Man kann Kulturverfall beklagen, wenn so populär agierende Kreative im Museum landen.

Von Instagram ins Museum

Man könnte aber auch fragen, inwiefern Handyfotografie, Social Media und Street-Art heute die Kunst erweitern, wie es im 17. Jahrhundert die Genremalerei tat. Auf jeden Fall könnten die beiden leidenschaftlichen Instagrammer, die gemeinsam mehr als 230.000 Follower haben, auch ein paar bisher wenig museumsaffine Besucher anlocken. Selbst bei Bildungsbürgern gelten die meisten Genremotive des 17. Jahrhunderts schließlich als wenig sexy. Ihre noch immer direkte Lesbarkeit gilt es ebenso zu entdecken wie ihre spezifischen historischen Kontexte.

„Klasse Gesellschaft. Alltag im Blick niederländischer Meister“ mit Lars Eidinger und Stefan Marx. Kunsthalle, bis zum 27. März 2022


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Dezember 2021. Das Magazin ist seit dem 27. November 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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