3 Nappos, 6 Salinos und eine Tüte Pommes mit Mayo – das war meine sonntägliche Beute, wenn ich vom Kiosk zu meinen wilden Schwestern auf den Spielplatz an die Bullerberge zurückkehrte, während meine Arbeiterklasse-Hippie-Eltern sich in Latzhosen den Wasserlichtspielen hingaben.
Damals, als Familiensonntage in den Wallanlagen legendär waren, Horden von Kindern auf den Resten der IGA 1973 herumtobten und jeden zugänglichen Winkel der Wallanlagen nutzten, ganz wurst, ob sie auf den Gräbern des Dammtorfriedhofs tanzten oder nicht.
Jeden Sommer bauten wir matschige Sandlandschaften, stürmten die Töpferstube, hingen in den Seilen der Spielgeräte oder pennten vor der Musikmuschel in Decken gerollt ein. Im Winter hieß es Pinguinschieben auf der Eislaufbahn oder Riesenkakteen im Tropengewächshaus betrachten. Hier haben wir Fahrradfahren, Jonglieren und Reiten gelernt und den Gefangenen von der Parkbank aus zugewunken. Das alles für ganz umsonst. Fast erwachsen boten die Wallanlagen dann neue Perspektiven vom Blumenmopsen bis zum heimlichen Punkgelage, und bis heute muss ich sagen, wer nie im japanischen Garten der Teezeremonie beigewohnt hat, der weiß nicht, wie schmerzhaft nah unterdrückte Lachkrämpfe und die Inbrunst asiatischer Teebereitung einander stehen.
Doch nun rückt die wachsende Stadt dem 47 Hektar großen Naherholungsprachtkerl von allen Seiten auf die Pelle und die Wallanlagen müssen ihre historisch attestierte Wehrhaftigkeit erneut unter Beweis stellen. Anstatt der grünen Lunge der Stadt noch ein paar Hotels für Insekten zu spendieren und sie zu einem zeitgemäßen Mekka für Botaniker, ökologischem Schmuckstück und Natursteinoase zu entwickeln, genehmigt die SCHOLZ-Brigade Neubauten: geplant sind die Erweiterung des CCH, der irre Neubau der Bucerius Law School, der überdimensionierte Neubaukomplex am Stintfang oder die Streckenführung der U5, die eine offene Baugrube vorsieht – genau da, wo denkmalgeschützte Wallgräben und wertvoller Baumbestand des Botanischen Gartens stehen. Stück für Stück, Zug um Zug wird hier an unserem urbanen Gedächtnis genagt, werden historische Anlagen unwiederbringlich zerstört.
Denkmalpfleger, Botanik- und Naturschutzverbände, Architekten, Ingenieure und Gartenkünstler gehen deshalb jetzt auf die Barrikaden und nehmen Olaf Scholz & seine Freunde in die Zange. Sie fordern einen Senatsbeschluss, der verhindert, dass Planten un Blomen von Bauvorhaben zerstört, beeinträchtigt oder sogar überbaut wird.
Deshalb noch mal zum Mitschreiben, die Herren Scholz & Kerstan: Denkmalschutz heißt immer, noch die Substanz im Original zu erhalten und bedeutet nicht Wiederaufbau oder Neuanpflanzung. Wir sind hier ja nicht im Miniaturwunderland und wir hätten unser kollektives Gedächtnis gern im Original. Danke!l
Eure Raumsonde
Andrea
Beitragsbild: Holger Ellgaard
Who the fuck is…
Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie auf Ihrer Website