Bedrohte Räume #22: #stopshopping #startthinking

Bedrohte Räume - Kolumne von Andrea Rothaug. Foto: David Königsmann

Investoren shoppen Hamburg kaputt. 

Aus der Ferne betrachtet, sieht alles besser aus, heißt es. Ich sage: „Papperlapapp.“ Während ich nämlich fernab auf den Wogen der thailändischen Küstenregion surfe, sieht Hamburgs Raumsituation auch aus der Ferne betrachtet grauslig aus. Unsere wichtigsten Kulturräume, die uns Erker einer l(i)ebenswerten Zukunft sind, verschwinden. Hamburg wirkt auch aus der Distanz bald wie eine kulturell und kreativ ausgedorrte Savanne. Hamburg Ciddy, Du stirbst!

Nun, betrachten wir das neue Rettungsteam aus der Nähe: The Scholzing ist ja nun Geschichte. Stattdessen wird ein durchsetzungsstarker, ökologisch, kulturell, sozial und wissenschaftlich hoch kenntnisreicher und motivierter Mann, der sogenannte rote Peter, unser Kapitän. Er will dafür Sorge tragen, dass die Stadt in Zukunft eine kulturelle Perspektive bekommt. Die New York Times und The Guardian sprechen bereits vom sog. Tschentscherism. Was zunächst nach Zungenbrecher klingt, ist mehr als die Summe seiner Konsonanten. War er erst Balken im Auge vieler Hamburger, wird er dieser Tage zum Hoffnungsträger für die „No art – no future“-Bewegung.

Auch Carsten Brosda, unser Kultsenator, weiß, er muss nur alle Moleküle an einem Ort haben und dann … wusch, schon kann sein beständiger Versuch, kulturelle Herkunft mit kreativer Zukunft zu verknüpfen, gelingen. Er kennt die wahre Bedeutung von Kultur, deshalb gilt auch sein Fokus ihrem Erhalt. Schon mal ganz geil, oder? Bei all den bedrohten Räumen auf dem Globus, deren Dichte die Übersicht auch aus dem fernen Thailand verstellt, scheinen beide den Blick für das Wesentliche zu haben. Und wenn nicht, sei hier ein wenig Nachhilfe geboten:

Lieber Herr Tschentscher, lieber Herr Brosda,

wir begrüßen Ihr Vorhaben, den Berliner Investoren Raffke & Müll, die den Hinterhofkomplex Bernstorffstraße 117 gekauft haben und jetzt paragraphenreitend das Kackebeil schwingen und dabei so tun, als hätten sie von einer „Gemeinschaftsimmobilie“ nichts gewusst, den Riegel vorzuschieben. Wir sagen Bravo und gehen mit Ihnen und dem Bezirk durch dick und dünn.

Wir sind Fans von Ihren Ideen, Investoren via städtebaulicher Erhaltungsordnung zu regulieren, Mietwucher durch städtischen Ankauf abzufedern und damit den galoppierenden kulturellen Ökozid in Hamburg zu stoppen. Immerhin, die Bernie117 ist nicht irgendein Hinterhof. Die Band Fettes Brot hat ihr Studio hier, der Künstler Rocko Schamoni seine Werkstatt. Es ist eine gewachsene Gemeinschaft von mehr als 100 Menschen mit handwerklichen Betrieben, die das Viertel inhaltlich mit konstituieren.

Auch Ihr Engagement zum Thema Barner42 ist äußerst lobenswert. Selten haben wir so engagierte Verantwortliche in den Bezirken gehabt, die sich am Berliner Modell orientieren und von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, um Immobiliendeals zum Schutz der Mieter selbst abzuschließen oder denen die Klamotte bei Missbrauch wieder abzujagen. Wir sind da voll dabei, denn das Beteiligungsverfahren der Immobilien-Entwickler Köhler & von Bargen ist Bullshit und bietet den Mietern nur eines: Sie wählen Henker und Todesart selbst.

Und wenn alles gut läuft, dann könnten Sie sich auch gleich um Schnelsen49 kümmern, der Hof verfällt schneller als Sie das Problem googlen können. Auch die alte Likörfabrik in Harburg kracht jeden Moment zusammen. Lösung: Sie shoppen, wir erhalten! Die Sternbrücke mit ihren Clubs, dem Bauwagenplatz Zomia und den Altbauten drum herum warten auf Sie, greifen Sie zu! Ihre Fanbase macht den Rest und baut Ihnen Leuchttürme. Sie haben eine Vision – wir haben die Inhalte! Lassen Sie es uns tun!

Eure Raumsonde

Andrea

Beitragsbild: David Königsmann


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin
Foto: Katja Ruge

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie unter www.andrearothaug.de

 

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