Holsten knallt immer noch am dollsten!
Foto (o.): Holsten Brauerei
Sie sind im Sommerblues? Sie haben wirklich überhaupt keine Lust mehr auf ihre Wetter-App? Auf kreischende Teenies auf der Barkassenfahrt oder 2-jährige Greenhörnchen mit iPad im Kaifu Schwimmbad? Dann geht es Ihnen wie mir. Auch ich finde Ferien genauso doof, wie Schlagermove oder Harley Days. Aus diesem Grunde verweigere ich mich den Ferien und gehe der Frage nach, was uns Hamburgers eigentlich am ultimativ wichtigsten ist im Leben? Nein, Kinder sind es nicht! Urlaub, E-Roller oder Segway fahren? Sie liegen da- neben! Mit Häusle baue, Heirat oder Instagram landen Sie sogar vollkommen im Abseits! NOPE! ES IST BIER TRINKEN! BIER, BIER UND NOCH MAL BIER! Wir Hamburger lieben es zu gluckern, zu süffeln und zu schnasseln! Am liebsten morgens das Stützbier, mittags ’n kleines Helles und ab 18.00 Uhr Pils, Craft oder Kölsch – wir schwanken halt gern.
Wer als Bewohner dieser Stadt eins und eins zusammenzählen kann, weiß genau: bei BIER denken wir an Holsten oder Astra, egal, ob Mama jetzt „in Craft Beer“ macht oder nicht. Holsten knallt immer noch am dollsten. Das ist unsere Muttermilch, davon bringt uns keiner ab. Deshalb mögen wir auch das schöne große Holsten-Areal, von dem es all die Jahre so säuerlich nach Maische, Hopfen oder Gerste roch, all das haben wir ertragen, weil wir wussten: Morgen ist die Pfütze in der Flasche und wir wieder blitzeblau. Die Profis unter uns haben damals sogar am Zaun gestanden und sehnsüchtig in die alte Schwankhalle geblinzelt, bis das Gebräu verzapft war. Ach, ja, die alte Schwankhalle, das Sudhaus und all die schönen Funktionsgebäude des Holsten-Areals, die uns den süßen Saft bescherten, alles pure Nostalgie.
2019 sehen die Biergeschichte und das Areal nämlich schon ganz anders aus. Das alte Holstengelände ist heute das bedeutendste Stadtentwicklungsprojekt Hamburgs. Statt Bier werden hier jetzt 822 Millionen Euro bewegt, indem 1.400 Wohnungen, Gewerbeflächen, Community-Center und ein Hotel entstehen. Doch Investor SSN Development und Projektentwickler sind stinkesauer, denn genau dort, wo sie das Hotelchen geplant hatten, darf unsere wunderschöne 1911 erbaute Schwankhalle als frühes Kleinod des Eisenbetonbaus stehen bleiben. Kulturbehörde und Denkmalschutz haben sich für sie in die Bresche geworfen und in letzter Sekunde unter Denkmalschutz gestellt. Uff ! Das war knapp.
Nun aber geht das Gemecker los. „Das wussten wir vorher nicht! Ein neues Konzept können wir uns nicht leisten! Wie soll das denn gehen?“ Und statt die kleine Schwankhalle einfach klug in das Projekt zu integrieren, wird ein teures Ingenieursgutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob die Halle vielleicht doch lieber baufällig sein soll und Altonas CDU-Fraktionschef Hielscher geht sogar so weit, dass er eine neue Planung im Bereich der Halle für vollkommen unmöglich hält!
Meine Damen und Herren Investierende, liebe CDU: Wir fliegen zum Mond! Ursula von der Leyen ist EU-Kommissionspräsidentin und Paul McCartney und Ringo Starr sind wieder gemeinsam auf der Bühne. Und sie wollen uns erzählen, dass es unmöglich sei, die kleine Schwankhalle zu erhalten? Schauen sie doch einmal nach Bremen, ja, ich sage Bremen und meine es auch: Deren große Schwankhalle ist als Labor und Arbeitsraum für lokale, nationale und internationale Projekte ein Knüller. Sie ist ein Künstlerhaus, in dem Künstler Zeit, Raum und Unterstützung für transdisziplinäre und selbstbestimmte Recherche, Fortbildung und Entwicklung bekommen. Sie ist auch Theater, Radiostudio, Probebühne und Gästewohnung.
Kultur auf historischem Gelände ist mehr als nur eine Option, es ist eine Notwendigkeit. Kulturhistorisch bedeutsame Industriegebäude zu retten, sollte Ihnen ein wichtiges Anliegen sein und damit wäre diese schöne Überraschung der Behörde, dass ein weiteres architektonisches Kleinod gerettet werden kann, für Sie eine geliebte Herausforderung, die zu bewältigen Sie jawohl imstande sind! Stoppen sie das Gejammer, krempeln sie die Ärmel hoch, um der schönen Schwankhalle zu neuem Glamour zu verhelfen und gluckern Sie diesen Sommer mal ein bis zwei Holsten. Die knallen auch bei Betriebsblindheit am dollsten.
Who the fuck is…
Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahrt ihr unter www.andrearothaug.de
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG, August 2019. Titelthema: Wie sozial ist Hamburg? Das Magazin ist seit dem 27. Juli 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!