Zwischen Vinylstau, Nerdtum und Jugendpflege. Unsere Kolumnistin Andrea Rothaug über geliebte Plattendealer dieser Stadt
Saturn Store. Kasse. Warteschlange. Vorne Bratzen, hinten Bratzen. Unter meiner Achsel: Bose Boxen. Vor mir: zwei Zwanzigerhipster bei der Verdauung ihrer Einkaufserlebnisse. Ich lausche:
„Ey, Bart, zeig mal, was du Dir holen willst?“ Der Dude greift nach den laminierten CDs. Er fingert durch die Beute und reicht sie zurück. Grabbeltisch. „Alter, wieso kaufst du eigentlich CDs? Die braucht doch kein Mensch mehr. Ich steh auf Vinyl.“ Mir piept die Pumpe. Nüstere ich Substanz?
„Das ist richtig geil, Alter“, fährt der Dude fort, „da gibt es so abgefahrene Teile, die sehen richtig krass aus.“ Er blickt Bart applausheischend an. Bart: „Du hast doch überhaupt keinen Plattenspieler?!“ Dude: „Einen was?“ Bart: „Na, zum Platten hören!“ Dude: „Ey, echt nicht, ich will die doch nicht hören! Ich will die einfach nur haben, Alter! Ich stell mir die hin.“ Ich spüre den Kurzschluss. Wie Fön und volle Badewanne.
„Ey, Karohemd Duz-Freunde, darf ich Euch mal kurz was stecken? Vinyl ist kein LIFESTYLEPRODUKT. Vinyl is geil. Vinyl lebt. Aber Vinyl ist eine Leidenschaft, mal größer, mal kleiner!
Deshalb geht mal in einen Plattenladen. Da ist die Schlange kurz und die Leute reden mit Euch. Da arbeiten Plattennerds mit Ahnung, die keinen Bock haben, euch ein paar hohle Trends, wie völlig überteuerte Platten in rosa Vinyl, anzudrehen. Die zeigen euch Musik, die ihr noch gar nicht kennt!“ Der Dude zieht die Augenbrauen hoch. Bart tänzelt nervös. „Die Typen wissen, wo in den Clubs die guten Sachen laufen. Wieso seid ihr nicht lieber selbst DJs? Wie Lorenzo und Julius im Golem. Kleine Plattenläden sind ihre neuen Homelands. Da gibt es Soulfood, ein Zuhause für die wirklich coolen Jungs, die Flaschenpfand sammeln, damit sie ihre Raritäten im Plattenladen kaufen können.“ Uff. Ich fühle mich wie eine Perle im Matsch. Atmen. 1 Woche später.
Groove City Store. Kasse. Vorne Dude, hinten Bart. Probehören. Zwei Zwanzigerhipster bei der Verdauung ihrer Hörerlebnisse. Unter der Achsel: Die Grup Ses Platte. Wir pflanzen uns selbst ins Beet, lauschen der Plattenfrau, die uns erklärt, woher die Samples kommen. DJ Booty Carrell legt hinten Platten auf, die keiner kennt und alle haben wollen. Funk aus dem Iran, pakistanische Filmmusik, türkische Psychedelik. „Thank you for having so many good records“, ruft eine Kundin beim Verlassen des Ladens. Dude lächelt. Bart nickt.
Wir ziehen weiter Richtung Hanseplatte, danach Zardoz, Smallville, Freiheit & Roosen, Minigroove, Selekta. Solange wir regelmäßig hingehen, wird es sie weiter geben. Die besten Plattenläden der Welt!
Who the fuck is…
Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie auf Ihrer Website