Bedrohte Räume #6. Der Schnackomat im öffentlichen Raum

Schnackomat. Kolumne Andrea Rothaug Szene Hamburg

Nur 20 Pfennig und meine Welt war gelb. Andrea Rothaug über die Ära der Münzfernsprecher

Nur 200 Meter lang war er, der Weg von der Haustür zur gelben Kabine mit Strippe, Drehscheibe und zerfledderten Telefonbüchern, in der wir heimlich qualmten und die ersten Gehversuche in Sachen Gagbranche starteten.

„Halloooooo??? Haaaaaallo??? Ja, wer is’ denn da?“ näselte es aus dem Hörer.

„Guten Tag, Frau Schnipkoweit, hier ist der Chef von Karstadt. Sie haben bei uns einen Vibrator bestellt!“

„Was? Iiiiich? Nie im Leben? Das war ich nicht!“

„Doch, Frau Schnipkoweit, das waren sie und wir bringen Ihnen den jetzt vorbei!“

„Nie im Leben, Ihr Schweine!“ Frau Schnipkoweit schlug den Bakelit-Hörer auf die sogenannte Gabel.

Ach, schön war das, damals in der Ära des Münzfernsprechers. Anonyme Anrufe. Nur 20 Pfennig und meine Welt war gelb.

Ich war derart verknallt in diese Schnackomaten, dass ich später verschiedenste Szenarien der auf einen Quadratmeter beschränkten Lebensführung entwarf. Urlaub in der gelben Zelle: Ich schaffte zwei Nächte. Grillen in der Kabine: Ich schaffte keine 10 Minuten. 24 Stunden Disko: machbar ohne rauchen. Meine liebste Gymnastik aber war der Versuch, zu ermitteln, wie viele Menschen in der Mini-Klause Platz finden. Mehr als sieben Leute – unmöglich. Es folgten Mini-Bibliothek, Erbsen-Büro, Eigentumszelle, Tindertreff oder Käseplattenhort. Doch dann schlich sich die Digitalisierung ins Revier: Vom Telefonhäuschen zur offenen Telefonhaube TelHb82, auch für Rollstuhlfahrer geeignet, war es nur ein Hüpfer. Es folgte die TeleCom-Terrorzelle in Chromenta, natürlich nur mit Karte zu bedienen, bis hin zum faden Metallpfosten mit Sprechgerät, der nun so gar keinen intimen Komfort mehr bot.

Es ist vorbei mit der schallgedämmten gelben Zelle und der herrlich veratmeten Spuckeluft. Vorbei auch die Zeit der Zelle als Quelle der Kunst: Inspector Spacetime und der Doktor reisen stets in Telefonzellen, Harry Potter & Mr. Weasly reisen per Telefonzelle ins Zaubereiministerium und Melissa Benoist kann ohne die Kabine nicht mehr in ihr Alter ego Supergirl schlüpfen. Sind wir verloren?

Keineswegs! Ich werde jetzt die Wiederbelebung der Telefonschatulle als Kulturbox initiieren, mit Ausstellungen, Flash Mobs, Musik, Büchern, kurz allem, was mit Kultur und Anfassen zu tun hat. Verschwiegenes Telefonieren im öffentlichen Raum? Das geht ab heute in Dixieklos, da sparen wir Zeit, frönen dem Multitasking und haben neben Mund, Augen und Ohren auch noch die Nase im Team!

Eure Raumsonde Andrea Rothaug

Foto oben: Fotolia


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin

Andrea Rothaug

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie auf  Ihrer Website


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