SZENE HAMBURG: Ben, kurzer Sprung zurück zum Pandemie-Ende, als es wieder richtig losging mit Live-Konzerten: Wie leicht oder schwer war der Ticketverkauf für Shows von vergleichsweise kleineren Künstlerinnen und Künstlern?

Ben Mitha: Als im Mai 2022 der reguläre Live-Kulturbetrieb wieder aufgenommen werden konnte, gab es zunächst einen großen Überhang an Nachholkonzerten, für die die Fans bereits Tickets gekauft hatten. Gleichermaßen wurden die Bedingungen, Konzerte und Tourneen durchzuführen, durch Personalmangel, gestiegene Preise, den Brexit und die weltpolitische Lage deutlich schwieriger, da sich die Kostenstruktur massiv verschoben hat. Für größere Namen war das schon eine Herausforderung, aber einfacher aufzufangen als für kleinere Acts, deren Tourneen und Besucherzahlen aufgrund der erheblich geringeren Einnahmen schon vor der Pandemie sehr knapp kalkuliert waren und nach der Pandemie nicht mehr aufgingen.
Zudem hat sich das Ausgehverhalten der Menschen und speziell der nachwachsenden Publikumsgeneration in den Jahren der Pandemie stark verändert. In dieser Zeit hatten wir die ersten Tournee-Absagen aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit von Tourneen. Obwohl eine relevante Anzahl an Tickets verkauft wurde, konnten es sich Acts teilweise schlichtweg nicht mehr leisten, auf Tournee zu gehen, weil es keine Chance gab, zumindest kostendeckend ein Konzert oder eine Tournee zu spielen. Das war neben den „klassischen“ nachfragebedingten Absagen eines Konzerts eine ganz neue Dimension, mit der wir uns auseinandersetzen mussten.
Ben Mitha: Die Neugier auf Neues nimmt ab
Hat sich das Kaufverhalten von Konzertbesucherinnen und -besuchern seitdem grundsätzlich verändert?
Klares Ja. Das Überangebot an neuer Musik, die täglich über die Streaming-Plattformen niederschwellig verfügbar ist, macht sich natürlich auch im Live-Bereich bemerkbar. Das Publikum geht zwar immer noch auf Konzerte, aber gezielter zu größeren Acts, deren Megashows vollumfängliche Highlights für alle Sinne versprechen. Dafür reisen viele Fans inzwischen quer durch Europa, wie wir bei den Konzerten von Taylor Swift oder auch K-Pop-Shows festgestellt haben. Das Geld, das in diese Unternehmungen fließt, fehlt zwangsläufig an anderer Stelle. Auch die Lust, sich live auf etwas Unbekanntes und Neues einzulassen, nimmt im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie spürbar ab. Wenn man auf den Socials und Streaming-Plattformen ständig von Neuem überflutet wird, schlägt das irgendwann leider in Überforderung um, die dazu führt, dass die Neugier auf Neues bei den Leuten abnimmt.
Die Lust, sich live auf etwas Unbekanntes einzulassen, nimmt im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie spürbar ab
Ben Mitha
Wie, denkst du, könnte man Shows von weniger etablierten Musikerinnen und Musikerinnen in Zukunft pushen? Vielleicht hast du auch ein erfolgreiches Beispiel?
Es gibt meines Erachtens zwei Wege, die sich in der jüngsten Vergangenheit bewährt haben. Zum einen gibt es die Acts, die sich zunächst durch smarte Social-Media-Strategien eine starke und loyale Community auf ihren Socials aufgebaut haben und diese dann peu à peu ins Live-Entertainment konvertiert haben, wie beispielsweise eine Shirin David oder eine Ayliva – und zum anderen gibt es Acts, die sich aufgrund ihres Charakters und der inhaltlichen Qualität schnell lukrative Support-Slots sichern und mit etablierten Acts kollaborieren konnten, wodurch sie sich schnell eine nennenswerte Reichweite aufbauen konnten, wie beispielsweise ein Apache 207 oder Blumengarten. Was alle Acts eint, ist die inhaltliche Qualität gepaart mit einer smarten und perfekt getimten Strategie im Hintergrund.
Aufhebung der Trennung von E- und U-Musik eine Lösung?
Zukunftsszenario und Expertentipp: Wie können sich deiner Meinung nach weniger etablierte Live-Acts langfristig in der Hamburger und bundesweiten Kulturlandschaft halten?
Zunächst sehen wir, dass sich musikalische Qualität und optische, inhaltliche oder musikalische Alleinstellungsmerkmale immer noch durchsetzen. Allerdings reichen diese allein nicht mehr. Es muss den Acts gelingen, zu ihrem Publikum eine emotionale Verbindung aufzubauen – ob das über die Teilhabe an kreativen Prozessen oder direkter Ansprache der Fans und kontinuierliche quasi „redaktionelle Pflege“ der eigenen Social-Media-Kanäle oder über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Szene ist, innerhalb derer man sich über Support-Slots etabliert, ist fallabhängig. Darüber hinaus wird es meines Erachtens auch immer wichtiger, als Act ein professionelles Team um sich zu haben, dass einen beim Timing und der Umsetzung der Strategien unterstützt und diesen Prozess zudem sinnvoll strukturiert. Zu häufig erleben wir es, dass Acts mit einem großartigen Potenzial letztendlich scheitern, weil das Timing oder die Strukturen im Hintergrund falsch gewählt wurden.
Es muss den Acts gelingen, zu ihrem Publikum eine emotionale Verbindung aufzubauen
Ben Mitha
Und was wünschst du und ihr euch als Veranstalter von der Hamburger Politik, um die hiesige musikalische Live-Subkultur nachhaltig zu stärken?
Ich denke, dass die in Holland bereits erfolgreich gelebte Praxis, die Trennung zwischen E- und U-Musik aufzuheben, ein gangbarer Weg sein könnte. Gerade heutzutage ist der Kulturbegriff deutlich weniger starr als zu der Zeit, als diese Separierung etabliert wurde. Dies sollte dann auch bedeuten, dass für beide Spielarten die gleichen Regelungen, Vorzüge und Subventionen gelten und greifen. Die Erhöhung der Zuwendungen für das Hamburger Clubkombinat sind in diesem Zusammenhang sicher ein erster positiver Schritt, aber hier müssen mit Blick auf die Subventionsetats der E-Musik noch weitere folgen. Es ist absolut wichtig und notwendig, dass die hiesigen Live-Spielstätten bei ihren Bookings weiterhin mutig sein müssen und können, denn sie sind der Nährboden für die Stars von morgen.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 03/2025 erschienen.