Zehn Tage lang konkurrieren beim internationalen Festival 400 Filme um Bären, darunter 25 Kurzfilme. Ausgewählt hat sie die Hamburgerin Maike Mia Höhne
Die Filmemacherin Maike Mia Höhne kuratiert seit zehn Jahren die Sektion „Berlinale Shorts“. SZENE HAMBURG hat mit ihr darüber gesprochen, was einen guten Kurzfilm ausmacht, was die besonderen Glücksmomente auf der Berlinale sind und warum mehr über Sex gesprochen werden sollte.
SZENE HAMBURG: Hallo Maike, wie ist die Stimmung bei euch in Berlin?
Maike Mia Höhne: Super! Stimmung ist ’ne eins. Es geht los, und man spürt: Alle sind aufgeregt, das ist toll. Es ist toll mit den Filmemacherinnen und Filmemachern ins Gespräch zu kommen. Wir haben zum Beispiel einen Film aus Brasilien dabei, „Das Águas Que Passam“. Das ist so ein ganz ruhiger, kontemplativer Film mit einem Fischer, und genau der sitzt jetzt da unten! Ein ganz einfacher, schlichter Mensch, verstehst du, der gerade erst angekommen ist und berührt ist von der Größe dieser Stadt, von diesem Wahnsinn. Er sitzt da, und mir kommen echt die Tränen, und ich denke: Ooooh, wie toll! Diese Momente, die machen das Festival auch aus.
Du hast die Filme ausgewählt. Wie viele hast du dir angeguckt?
Das waren schon viele. Ich habe ein Team von acht Leuten, und wir gucken so um die 4000 Filme.
Uh. Guckt ihr alle zusammen, oder jeder in seinem Kämmerchen?
Nein, wir arbeiten in Gruppen und schauen dann zusammen die Filme, die wir diskutieren.
Wie viele habt ihr jetzt für die Berlinale ausgesucht?
25 im Wettbewerb. Und einer läuft außer Konkurrenz, insgesamt also 26.
Was muss ein Film haben, damit er bei euch eine Chance hat?
Er muss eine sehr starke Handschrift haben und eine starke Haltung. Inhalt und Form müssen zusammengehen und darüber hinaus muss er in die Zukunft weisen. Um es mal so auszudrücken: Anders als zum Beispiel das Hamburger Kurzfilmfestival, das 400 Filme zeigen kann, präsentiere ich eben nur sehr wenige. Und diese wenigen müssen auf das verweisen, was kommt, einfach drei Schritte weitergehen, Avantgarde sein. Es ist weniger ein Kurzfilmprogramm, aus dem man gesättigt rausgeht im Sinne von Popcorn und einen lustigen Abend haben – das sind schon sehr anspruchsvolle Filme. Und davon dann fünf in einem Programm, da geht man schon sehr …
… angeregt?
Ja, genau, da geht man angeregt raus. Man muss auch gar nicht alle Filme mögen, das ist gar nicht unser Interesse. Wichtig ist uns, welchen Diskurs sie anregen. Beispielsweise beim Film „Moms On Fire“, ein feministischer Animationsfilm über zwei Frauen, die mit ihren dicken Bäuchen – die kriegen in vier Tagen ihre Kinder – voll genervt auf dem Sofa abhängen und das sagen, was man so eigentlich gar nicht sagen darf. Das stößt eine feministische Diskussion an, die ich wichtig finde. Ich habe gerne gestillt, aber man kann doch durchaus mal laut fragen: Warum gibt es jetzt auf einmal so ein Dogma, dass alle stillen müssen?
Man wird ziemlich komisch angeguckt, wenn man’s nicht tut …
Genau! Das ist eine gesellschaftliche Diskussion, über die man sprechen kann, und der Film tut das. Hey, und das ist ein Knet-Animationsfilm! Das verbindet man ja eigentlich mit etwas Niedlichem. Der Film hat gerade den Publikumspreis in Göteborg gewonnen. Und der Beitrag, der den Hauptpreis in Göteborg gewonnen hat, ist auch toll. Er zeigt, was wirklich nur der Kurzfilm kann: Er spielt im Schwimmbad auf einem Zehnmeterturm, man sieht nur die Absprungrampe und dann kommen die Leute hoch. Manche gehen wieder runter, manche diskutieren, manche springen. Dann springt das ganze Kino mit, so huuuaah! In einem langen Film wäre das nur eine Sequenz, man würde das nie so auseinandernehmen, und nie so zurückverweisen auf deine eigenen Ängste, nicht in dem Ausmaß.
Es ist auch ein Hamburger Kurzfilm dabei, „Die Unzugänglichkeit der griechischen Antike und ihre Folgen“ von Paul Spengemann und Gerrit Frohne-Brinkmann. Was hat der?
Das ist eine Skulptur, moderne Bildhauerei, die auch auf der großen Leinwand funktioniert, und das auf mehreren Ebenen. Ein sehr sinnlicher Film, der einen sofort in die Schulzeit zurückwirft – er wurde im Hamburger Christianeum gedreht –, aber auch den Körper thematisiert: Wie sehr versteht man seinen eigenen Körper, was hat der für eine Geschichte? Und dann sind da auch noch die Perser (griech. Tragödie von Aischylos, Anm.d.Red.), die eine Rolle spielen, der Titel verrät es ja. Es geht um die Frage: Wer verzeiht eigentlich wem, wenn man gewonnen hat, und wie geht man mit den Besiegten um? Man kann den Film konkret zum Thema „Schule“ lesen, aber es gibt unheimlich viele Assoziationen.
Es wird viel gemault, dass nur ein einziger deutscher Langfilm im Wettbewerb vertreten ist, nämlich „24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached. Wie sieht es denn bei den Kurzfilmen aus?
(genervt) Oooh. Immerhin ist eine Frau dabei, man könnte ja auch mal sagen: Wow, da ist sie endlich – die junge deutsche Frau mit einem Wettbewerbsbeitrag über ein Tabuthema, mutig! Es ist ein Jahr, in dem nicht viele deutsche Filme am Start waren, das ist halt manchmal so und ist bei den Kurzfilmen auch so. Wer einfach durchgehend herausragend ist, sind die Franzosen. Aber die haben eben auch eine ganz andere Filmbildung.
Inwiefern?
Film ist ganz anders in der kulturellen Bildung verhaftet als bei uns. In Paris kannst du dir ein Abo kaufen, das kostet dich im Monat 20 Euro, und dann kannst du in jedes Kino gehen. Auch in der Schule hat Film einen ganz anderen Stellenwert. Beispielsweise der Gewinner des Goldenen Bären vor vier Jahren: „A Separation“. Ein unglaublicher Film, der hat ein Drehbuch, da leckst du dir die Finger nach. In Deutschland hat der eine ganz okaye Zuschauermenge gehabt. In Frankreich spielte er eine halbe Million Euro am ersten Wochenende ein. So ist das da.
Lass uns noch kurz über deine eigenen Filme reden. Warum geht’s da meistens um Sex?
Weil ich glaube, dass das ein großes Thema ist, das nicht wirklich besprochen wird. Es gibt Bilder, die als Sex verkauft werden, aber das Eintauchen, das wirkliche Empfinden fehlt. Man hat ja Sex im besten Fall nicht alleine, und das heißt, man muss sich ins Gespräch begeben. Und das ist etwas, das im übertragenen Sinne oft fehlt.
Ja, stimmt: Porno ist überall, aber es geht nicht um Sex …
… da wo es zärtlich wird. Ich habe „Von der Hingabe“ gedreht, wo eine Frau einem Mann einen bläst, weil ich zeigen wollte, dass das doch etwas Schönes ist! Dafür muss ich mich nicht erniedrigen. Das kann für beide toll sein. Gerade im Film wird es meistens so dargestellt, dass die Frau das nur tut, wenn sie muss. Als Bestrafung oder für Geld. Warum eigentlich? „Von der Hingabe“ konnte aber auf ARTE nicht ausgestrahlt werden. Das ging nicht durch. Aber Morde zu zeigen, ist ab 17 Uhr überhaupt kein Problem. Das stört mich wahnsinnig. Für mich steht auf der Berlinale deshalb der Film „Notre Héritage“ von Caroline Poggi und Jonathan Vinel im Mittelpunkt. Das Regieduo stellt die Frage: Wie können wir lieben, wirklich lieben, den anderen empfinden, in pornografischen Zeiten?
Interview: Maike Schade
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