Malika Rabahallah: „Ich bin ein Kind verschiedener Welten“

Seit Anfang 2024 ist Malika Rabahallah die neue Leiterin des Filmfest Hamburg. Ein Gespräch über die ersten Monate, Hamburg als Filmstadt und ihre besondere Beziehung zum oscarnominierten Film „Das Lehrerzimmer“
Malika Rabahallah leitet seit Januar 2024 das Filmfest Hamburg (©Jasper Ehrich Fotografie)

SZENE HAMBURG: Malika Rabahallah, was war Ihr letztes Kino-Highlight?

Malika Rabahallah: Ich habe mir vor Kurzem auf dem Filmfestival „Diagonale“ in Graz den fantastischen Dokumentarfilm „Die Favoriten“ von Ruth Beckermann angeguckt. Dabei geht es um eine Schule im Wiener Bezirk Favoriten mit Kindern mit Migrationshintergrund und besonders um die Rolle der Lehrerin, eine tolle Frau. Das war für mich die Kraft des Kinos: Ich kam aus dem Film und war beflügelt, wie viel Hoffnung in der Gesellschaft zu sehen ist. Das müsste man noch ein bisschen mehr spüren, und genau da wollen wir auch als Filmfest Hamburg ansetzen.

Seit Anfang des Jahres leiten Sie das Filmfest Hamburg. Wie waren die ersten vier Monate?

Das war wie Salsa und Rock ’n’ Roll gleichzeitig (lacht). Einfach unfassbar.

Warum?

Weil einfach alles neu ist: neue Workflows, andere Strukturen, ein sehr gut eingespieltes Team, und ich jetzt neu mittendrin. Da kommt keine Langeweile auf. Der Tag hat 24 Stunden, aber er könnte von mir aus noch mal sechs Stunden on top haben.

Das war wie Salsa und Rock ’n’ Roll gleichzeitig

Malika Rabahallah

„Die ersten Wochen waren eine Bestandsaufnahme“

Sie sind die Nachfolgerin von Albert Wiederspiel, der das Filmfest Hamburg 21 Jahre lang geleitet hat. Wie sind Sie als neue Chefin aufgenommen worden?

Sehr gut. Das Team ist mir ja nicht unbekannt und es hat die langjährige Festivalexpertise, von der auch ich profitiere. Ich sehe meine Rolle gerade mehr wie ein Kompass, vor allem im ersten Jahr, in dem ich schon an ein paar Stellschrauben drehe

Und was lernen die Kollegen von Ihnen?

Durch meine Arbeit bei der MOIN Filmförderung habe ich ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse der Filmindustrie – bundesweit und auch international. Das heißt, ich kann auf diese Bedürfnisse reagieren, ich weiß, wie die Branche tickt. Hinzu kommt, dass ich sehr viele Produzent:innen, Kreative und Verleiher:innen persönlich kenne und ich nach wie vor eine große Nähe zur Branche habe. Davon profitieren wir.

Was ist der größte Unterschied zwischen Ihrer Arbeit bei der MOIN Filmförderung und der Arbeit als Leiterin des Filmfests?

Ich habe bei Filmfest Hamburg mit viel mehr unterschiedlichen Playern der Stadtgesellschaft zu tun. Das ist spannend und macht großen Spaß. Es ist viel multidisziplinärer und ich habe nicht mehr nur Film im Kopf. Außerdem will ich ständig was von anderen wie Zeit, Sponsoring und vor allem Filme (lacht).

Wie sahen Ihre ersten 100 Tage als Leiterin des Filmfest Hamburg aus?

Für mich waren die ersten Wochen erst mal eine Bestandsaufnahme: Was ist los? Wie werden Entscheidungen getroffen und wie sind die Abläufe? Und wie sollten bestehende Prozesse angepasst werden, damit sie zukunftsfähig sind.

Der Traum: ein Festivalzentrum mitten in der Stadt

Gibt es denn nach 21 Jahren Albert Wiederspiel konkret Dinge, die Sie anders machen wollen?

Ich habe mich auf diese Stelle beworben, weil ich das Filmfest liebe, und die Arbeit von Albert teilweise weiterführen möchte. Aber ich bin auch ein anderer Mensch und möchte neue Wege beschreiten. Ich möchte auf jeden Fall weiterhin internationale und politisch kontroverse Filme zeigen, die bewegen, die Fragen stellen und die natürlich unser Publikum herausfordern. Aber auch die Unterhaltung soll nicht zu kurz kommen. Filmfest Hamburg soll eine Plattform für gesellschaftliche Themen bieten. Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft so zersplittert ist, muss das die Rolle von einem Filmfest sein. Ich will die Leute wieder zusammenbringen und das im Kino. Ich bin sehr international unterwegs und als Filmfest bringen wir die Welt nach Hamburg und Hamburg in die ganze Welt.

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten

Malika Rabahallah

Und wie wollen Sie das erreichen?

Ich habe einen großen Traum: ein richtiges Festivalzentrum mitten in der Stadt. So etwas wie den Alsterpavillon am Jungfernstieg zwischen dem Cinemaxx Dammtor und dem Passage Kino. Das würde die Filmkultur an die Alster bringen. Wäre das nicht schön? Neben dem zentralen Treffpunkt brauchen wir noch mehr Locations auch für unser Veranstaltungsprogramm. Ich möchte das Filmfest Hamburg in die Stadtgesellschaft bringen. Es soll ein Fest für alle Hamburger:innen sein. Deswegen fragen wir uns auch, wie wir in andere Communitys der Stadt kommen. Das machen wir schon mit unserem Stadtteil-Programm „Filmfest ums Eck“, was wir gerne noch weiter ausbauen möchten. Denn wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten (lacht).

„Wir müssen uns über Diversität in der Filmbranche unterhalten“

Malika Rabahallah (Mitte) mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (rechts) und Albert Wiederspiel (links), der das Filmfest zuvor 21 Jahre lang leitete (©Martin Kunze)

Im März 2024 wurden die Oscars verliehen und mit „Das Lehrerzimmer“ war ein Film nominiert, der komplett in Hamburg gedreht wurde. Warum lief der Film 2023 nicht beim Filmfest Hamburg?

Weil er schon auf der Berlinale zu sehen war und vor Festivalbeginn bereits seinen deutschen Kinostart hatte. Damit kam er für uns nicht mehr in Frage. Trotzdem habe ich eine besondere Beziehung zu dem Film und seinem Regisseur.

Warum?

Der Regisseur İlker Çatak hat an der Hamburg Media School studiert und die MOIN Filmförderung hat schon viele seiner Filme gefördert. Auch dann „Das Lehrerzimmer“ – nach diversen Absagen von anderen Förderungen als einzige regionale Förderung. Ich bin froh, dass das Fördergremium entschieden hat, den Film zu unterstützen, um diese wichtige Geschichte in die Welt zu tragen. Dazu kommt das Vertrauen und die Verbindung zwischen İlker und mir. Und dann geht dieser Film auch noch ins Rennen um den Oscar, das hat mich riesig gefreut!

İlker Çatak äußerte in einem „Stern“-Interview starke Kritik an der Berichterstattung im Vorfeld der Oscars. Er wirft Medienvertretern vor, dass sie Menschen mit Migrationsgeschichte übersehen. Wie sehen Sie das?

Ich bin selbst ein Mensch mit Migrationsgeschichte: Ich heiße Malika Rabahallah, meine Eltern sind aus Algerien, ich bin Französin und Deutsche und habe zwischendurch auch noch unter anderem in den USA, Kanada und in Lateinamerika gelebt. Ich bin ein Kind verschiedener Welten. Was İlker angesprochen hat, verstehe ich zu 100 Prozent. İlker ist ein deutscher Filmemacher. Sein Film war für Deutschland im Oscar-Rennen. Und dann sieht er im Vorfeld der Oscars, während er in den USA hart dafür arbeitet, dass ihn die deutsche Presse ganz oft namentlich nicht erwähnt. Das ist definitiv ein Problem und das hat er zu Recht angesprochen.

Ist das auch eine Debatte, die beim Filmfest Hamburg 2024 eine Rolle spielen wird?

Klar müssen wir uns über Diversität in der Filmbranche unterhalten. Es braucht mehr Vielfalt und Inklusion auch beim Film, damit vielseitige Geschichten entstehen.

Das kann dann auch ein Vorbild sein und zeigen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben in Filmberufen zu arbeiten.

Ich möchte Filme zeigen, die bewegen, die Fragen stellen und die natürlich unser Publikum herausfordern

Malika Rabahallah

Filmfest Hamburg: Filme zeigen und Feste feiern

Seit 2015 werden in der Sektion „Hamburger Filmschau“ explizit Filme mit Hamburg-Bezug gezeigt. Wird das die Plattform für den Hamburger Film bleiben?

Diese Sektion haben wir, um die Hamburger Filmemacher:innen sichtbarer zu machen und um zu zeigen, was am Standort entsteht. Außerdem möchten wir noch mehr Branche nach Hamburg holen, um sie mit den hiesigen Kreativen zu vernetzen – dafür gibt es mit den Industry Days eine nationale und mit der Explorer Konferenz eine internationale Plattform.

Ist das auch ein Teil der Zukunftsfähigkeit des Filmfests, von der Sie zu Beginn sprachen?

Ja, absolut. Für mich gibt es drei Hauptthemen für die Zukunftsfähigkeit von Filmfest Hamburg: Diversität – dazu gehört auch der Filmnachwuchs – Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Das sind alles Prozesse, die weit über das Jahr 2024 hinausreichen, jetzt aber angegangen werden müssen.

Dem NDR haben Sie gesagt, dass es Ihnen beim Filmfest Hamburg um Begegnungen mit Menschen geht, die man kennt, und dass Sie es lieben, Leute aus der ganzen Welt einzuladen. Jetzt sind es noch rund 150 Tage bis zum Filmfest. Worauf darf sich Hamburg mit Malika Rabahallah freuen?

Auf viele tolle Filme, wunderbare Gäste, spannende Gespräche und Begegnungen und ein Fest. Denn es heißt auch Filmfest Hamburg. Wir wollen Filme zeigen, Feste feiern und das vor der schönsten Kulisse: Hamburg.

Das 32. Filmfest Hamburg findet vom 26. September bis zum 5. Oktober 2024 in zahlreichen Hamburger Kinos statt.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 05/2024 erschienen.

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